DOMRADIO.DE: Der französische Präsident hat bis heute Sonderrechte im Lateran, der historischen Basilika des Papstes in Rom. Was heißt das?
Ulrich Nersinger (Vatikanexperte): Er ist Ehrendomherr der Lateranbasilika. Das ist eine ganz besondere Würde, eine außergewöhnliche und heute nicht mehr so übliche Ehrung, dass man für eine hochgestellte Person an einer Basilika ein Ehrenkanonikat schafft, zudem noch für einen Laien. Das ist eigentlich ein historisches Überbleibsel, dass aber in der Lateranbasilika bis zum heutigen Tag besteht.
DOMRADIO.DE: Warum hat Frankreich diese enge Bindung an den Lateran?
Nersinger: Da müssen wir weit in die Vergangenheit zurückgehen. Das damalige Frankenreich hatte im achten Jahrhundert sehr gute Beziehungen zum Papst und auch zum Lateran. 774 zum Beispiel reiste Karl der Große zum Osterfest nach Rom und nahm dann an den Liturgien im Lateran teil und danach auch an einem Festmahl mit dem Papst.
DOMRADIO.DE: Waren denn alle französischen Staatspräsidenten, Ehrendomherren?
Nersinger: Nein, man muss vielleicht vorher sagen, dass wir seit 1604 diesen Brauch haben. Und natürlich betraf das zunächst den französischen König, und dann später, als Frankreich Republik wurde, war es das Staatsoberhaupt. Aber da gab es natürlich auch immer Streitigkeiten, weil sich die französische Republik als laizistischer Staat definiert, wo Kirche und Staat ganz klar getrennt sind.
DOMRADIO.DE: Waren die modernen Staatspräsidenten alle Domherren?
Nersinger: Nicht alle, aber das hat ganz unterschiedliche Gründe gehabt, manche natürlich aus ihrer politischen Einstellung heraus. Aber das ist auch nicht immer klar zu definieren, warum. Der französische Staatspräsident hatte meist nicht nur ein Ehrenkanonikat am Lateran, sondern auch in drei Basiliken in Frankreich.
Nach dem Zweiten Weltkrieg hat de Gaulle das zunächst mal abgelehnt, weil sein Vorgänger Pétain, der mit den Nazis eine Verbindung eingegangen war, diese Ehrenkanonikate eingenommen hatte. Zwar nicht in Rom, aber in Frankreich. Und so hatte sich de Gaulle zunächst einmal zurückgehalten. Aber später kam es wieder unter den französischen Präsidenten zu einer Rückkehr zu dieser Tradition. Vor allen Dingen ist da Chirac zu nennen. Er hat 1996 diese Ehrendomherrenwürde angenommen, unter riesigem Protest in Frankreich. Die atheistischen Vereinigungen haben laut aufgeschrien, aber er hat sich davon nicht abhalten lassen.
DOMRADIO.DE: Wie ist das jetzt bei Emmanuel Macron?
Nersinger: Der zeigt sich ja sehr deutlich als Ehrenkanonikus, also der hat diese Würde nach einem Besuch beim Papst am 26. Juni 2018 angenommen. Unmittelbar nachdem er beim Papst war ist er zum Lateran gefahren und hat sich dann dort installieren lassen. Er ist dann im vergangenen Jahr, im Oktober auch noch einmal in Rom gewesen und hat das bekräftigt, hat sich gezeigt im Kreise der Domherren der Lateranbasilika.
DOMRADIO.DE: Wenn es mal eine französische Präsidentin geben sollte, könnte sie dann auch ihrem Domherrin in der Lateranbasilika werden?
Nersinger: Das ist eine sehr interessante Frage, da weiß ich auch keine Antwort drauf. Das müsste man dann wirklich mal drauf ankommen lassen, um es mal salopp zu sagen. Man kann natürlich argumentieren, dass ein Ehrendomherr ja nicht in irgendeine sakrale Handlung eingebunden ist, also von daher könnte ich mir das vorstellen. Aber das ist wirklich eine interessante Frage.
Das Interview führte Carsten Döpp.