Neutestamentler erklärt Bedeutung des Reiches Gottes

"Mehr Gott, weniger Kirche"

Am letzten Sonntag im Kirchenjahr feiert die Kirche das Hochfest Christkönig. Jesus spricht häufig von dem Reich Gottes und der Gottesherrschaft. Axel Hammes erklärt, was es damit auf sich hat und was die Kirche daraus lernen kann.

Figur Christi des Königs der Welt in Swiebodzin in Polen / © DyziO (shutterstock)
Figur Christi des Königs der Welt in Swiebodzin in Polen / © DyziO ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Was meint Jesus, wenn er in den Evangelien vom Reich Gottes spricht?

Dr. Axel Hammes (Lehrbeauftragter für die Exegese des Neuen Testaments am Studienhaus St. Lambert in Lantershofen): Jesus spricht ungewöhnlich häufig von der "Gottesherrschaft", wie die entsprechende Wortverbindung wohl noch treffender zu übersetzen ist. Denn er blickt besonders in seinen Gleichnissen nicht zuerst auf ein bestimmtes Territorium, ein Heiliges Land oder das Jenseits des "Himmels". Es geht ihm um ein Geschehen. Und Jesus ist dazu berufen, es in Kraft zu setzen. In seinen Worten voller Wirkung, in seinen Machttaten, die heilen und dunkle Mächte bannen, und in seinen prophetischen Zeichen lässt Gott selbst etwas völlig Neues anbrechen, tritt er nun seine Herrschaft an.

Pfarrer Dr. Axel Hammes / © Beatrice Tomasetti (DR)
Pfarrer Dr. Axel Hammes / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Schon die Psalmen bekennen: "Gott ist König". In der Zeit römischer Fremdherrschaft besaß dies durchaus politische Sprengkraft. Denn wer als König herrscht, dessen Ordnung bestimmt die realen Verhältnisse. Jesus betont, dass der Gott Israels im Hier und Jetzt sein Königtum beginnen lässt. In Jesus kommt es den Menschen unfassbar nahe. Aber es wird nur auf dem Weg des konsequenten Gewaltverzichts, der Versöhnung, des Neuanfangs durch Vergebung durchgesetzt.  

DOMRADIO.DE: Johannes der Täufer kündigt bereits an, dass das Reich Gottes nahe ist. Gibt es das Bild vom Reich oder von der Königsherrschaft Gottes auch schon in vor-neutestamentlicher Zeit?

Axel Hammes

"Immer wieder steht Gottes Volk vor dem Trümmerhaufen seiner Versuche, sich als starke Nation zu behaupten."

Hammes: Die Wortverbindung "Königsherrschaft Gottes" kommt im Alten Testament nur selten vor. Die Katastrophen in der Geschichte des auserwählten Volkes aber – Zerstörung des Tempels, Vertreibung, Exil und eine fremde Großmacht nach der anderen – machen sie zu einem Hoffnungsgut für die Zukunft. Von Gott allein wird die große Wende zum Guten erwartet am Ende der Zeit.

Immer wieder steht Gottes Volk vor dem Trümmerhaufen seiner Versuche, sich als starke Nation zu behaupten. Eine apokalyptische Strömung gewinnt ab dem 2. Jahrhundert vor Christus im Frühjudentum immer mehr an Einfluss. Sie rechnet mit einem totalen Abbruch der bisherigen Geschichte, einer universalen "Stunde Null", damit Gott ein vollkommen neues Reich für die Treuen und Gerechten aufrichten kann.

DOMRADIO.DE: Jesus sagt im Lukasevangelium, das Reich Gottes könne nicht an äußeren Zeichen erkannt werden. Es sei vielmehr mitten unter uns. Woran kann man erkennen, dass es da ist oder angebrochen ist?

Hammes: Apokalyptische Schriften ergehen sich manchmal in endlosen Spekulationen über die Vorzeichen des Endes, um möglichst genau ermessen zu können, wo wir jetzt gerade im Ablauf der Geschichte stehen. Jesus will uns zu einer anderen Perspektive ermutigen, die das Schneckenhaus aus tausend Vergewisserungen und Absicherungen verlässt.

Die Gleichnisse vom Senfkorn, vom Sauerteig, von der selbstwachsenden Saat etwa lenken die Aufmerksamkeit auf unscheinbare Anfänge, auf die kleinen Schritte, die nicht umsonst getan sein werden. Es braucht die Unvoreingenommenheit von Kindern, ihre offenen Arme und ihre Fähigkeit zu staunen, um vom Kommen der Gottesherrschaft gepackt zu werden. Wenn ich das Reich Gottes von außen aus neutraler Distanz vermessen wollte, müsste ich scheitern. Denn es beginnt damit, dass ich mich ergreifen lasse von dem Gott, dem nichts unmöglich ist, der auch mit mir Mauern überspringen, Ketten lösen und Wunden heilen will.

Axel Hammes

"Auch der Christus des Johannesevangeliums meint mit "seinem Reich" keineswegs eine rein geistige Größe für das spirituelle Hinterzimmer."

DOMRADIO.DE: Gibt es einen Unterschied zwischen dem Reich Gottes und dem Reich Jesu, das – wie er in der Johannespassion sagt – "nicht von dieser Welt" ist?

Hammes: Das vierte Evangelium spricht nur noch an einer weiteren Stelle – im Dialog zwischen Jesus und Nikodemus – vom "Reich Gottes". Es konzentriert sich mehr als alle anderen Evangelien darauf, dass wir in Jesus wirklich Gott begegnen. Um diese zentrale Botschaft zu vermitteln, wählt es bewusst andere Ausdrucksmittel und spitzt die Jesusüberlieferung damit zu.

Aber er sagt damit nicht etwas Grundverschiedenes. Auch der Christus des Johannesevangeliums meint mit "seinem Reich" keineswegs eine rein geistige Größe für das spirituelle Hinterzimmer. Nur baut dieses Reich auf ganz anderen Machtmitteln auf, als denen, auf die sich der römische Statthalter zu stützen meint. In "dieser Welt“ regiert die Macht der Zahlen, die Schlagkraft der Waffen, die Verführungskunst imposanter Inszenierung. Solches Machtgebaren höhlt sich auf Dauer selbst aus, weil es den Bezug zu seinem letzten Grund verloren hat.

DOMRADIO.DE: Im Matthäusevangelium sagt Jesus, dass jedes Reich, das in sich gespalten ist, veröden wird. Unsere Kirche ist gespalten, erlebt derzeit auch wieder heftige Zerwürfnisse und verliert immer mehr Mitglieder, zumindest bei uns in Deutschland. Bewahrheitet sich so das Wort Jesu?

Axel Hammes

"Spaltung setzt unter anderem da ein, wo nicht mehr ernsthaft aufeinander gehört wird, der Glaubenssinn des Gottesvolkes keine Rolle mehr spielt oder eine selbsternannte Avantgarde überhebliche Alleingänge vornimmt."

Hammes: Der aktuelle Zustand der Kirche mutet uns auch eine heilsame Enttäuschung zu: Sie selbst ist nicht das Reich Gottes, wohl aber dazu berufen, ihr Sakrament zu sein. Mehr Gott, weniger Kirche – darauf käme es heute an. Konflikte wiederum begleiten den Weg der Kirche von Anfang an. Schon im engsten Kreis der Jünger Jesu tat sich mancher Abgrund auf.

Im Neuen Testament werden uns aber etwa in der Apostelgeschichte oder den Paulusbriefen aber auch viele Beispiele geboten, wie wir in Treue zum Evangelium Konflikte bewältigen können. Daran sollten wir uns halten. Denn sie gehören nun einmal zu einer lebendigen Kirche, die ständig um das ringen muss, was ihr heilig ist. Spaltung aber, die den Leib Christi verletzt, setzt unter anderem da ein, wo nicht mehr ernsthaft aufeinander gehört wird, der Glaubenssinn des Gottesvolkes keine Rolle mehr spielt oder eine selbsternannte Avantgarde überhebliche Alleingänge vornimmt.

All das lässt sich bis in die Anfänge der Kirche zurückverfolgen. Dass die Kirche Gottes nicht zu allen Zeiten und an allen Orten wächst und gedeiht, schreckt mich allerdings nicht. Gerade in solchen Wüstenzeiten der Kirche gilt es, sich an die Ermutigung unseres Herrn zu erinnern. Das Reich Gottes blüht schon auf, wenn auch nur ein einziger umkehrt.

DOMRADIO.DE: In der letzten Strophe eines in diesen Tagen wieder häufiger gesungenen Liedes heißt es: "Lasst uns auf seine Hände schaun, an seinem Reiche mutig baun." – Wie können wir heute mutig am Reich Gottes bauen und mitwirken?

Axel Hammes

"Liturgie ohne Caritas bliebe ein unwahrhaftiges und seelenloses Schauspiel."

Hammes: Mein eigener Doktorvater reagierte immer sehr allergisch darauf, wenn jemand am Reich Gottes "bauen" wollte. Am Ende überfordern wir uns hoffnungslos. Und wir laufen Gefahr, nur ein Stück von "dieser Welt" religiös zu verpacken und als die "neue Welt Gottes" auszugeben.

Der Liedtext aber hält die Balance, wenn er uns Maß nehmen lässt an größeren Händen als den unsrigen. Alles Engagement der Kirche, alle Pläne und Konzepte müssen von den verwunderten Händen des Gekreuzigten umfasst sein. Nur so kann sein Reich wachsen.

Liturgie ohne Caritas bliebe ein unwahrhaftiges und seelenloses Schauspiel. Sozialer Dienst, der sich nicht von seinem Geheimnis getragen weiß, verlöre sich schnell in den Verstrickungen einer widersprüchlichen und zerrissenen Welt. Schließlich fordert uns das besagte Lied auf, "Himmelserben anzuwerben" und nicht, möglichst viele zahlende Mitglieder zu rekrutieren.

Das Interview führte Jan Hendrik Stens.

Christkönigsfest und Totensonntag

Am Sonntag, 24. November, endet in diesem Jahr in der katholischen und in der evangelischen Kirche das Kirchenjahr. Mit dem ersten Advent beginnt eine Woche darauf ein neuer Jahres- und Festtagszyklus. Beide Kirchen begehen den Abschluss des Jahres in besonderer Form: Die Katholiken feiern das Christkönigsfest, die Protestanten gedenken am Totensonntag ihrer Verstorbenen. Das katholische Christkönigsfest lenkt den Blick auf Jesus Christus. Von ihm glauben die Christen, dass er am Ende der Zeit als König wiederkommen wird. Papst Pius XI.

Vergoldete Jesusfigur in Xanten / © Harald Oppitz (KNA)
Vergoldete Jesusfigur in Xanten / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR