Caritas kritisiert Plan zu Asylverfahren in Drittländern

"Ein sehr durchsichtiger Versuch"

Bundeskanzler Olaf Scholz und die Ministerpräsidenten beraten, ob Asylverfahren künftig in Drittländer ausgelagert werden können. 309 Organisationen haben dieses Vorgehen in einem offenen Brief kritisiert, darunter die Caritas in NRW.

Symbolbild Flüchtlinge in einem Flüchtlingslager / © AkinDesign (shutterstock)
Symbolbild Flüchtlinge in einem Flüchtlingslager / © AkinDesign ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Bundeskanzler Scholz und die Ministerpräsidenten diskutieren an diesem Donnerstag, dem Weltflüchtlingstag über eine mögliche Auslagerung von Asylverfahren. Warum ausgerechnet heute? 

Dr. Frank Johannes Hensel (Diözesan-Caritasverband Erzbistum Köln)

Dr. Frank Johannes Hensel (Diözesan-Caritasdirektor für das Erzbistum Köln und Sprecher der Caritas-Direktoren in NRW): Das mutet tatsächlich merkwürdig an. Es geht doch eigentlich darum, die Rechte von Asylbewerbern zu stärken, sie zu schützen, ihnen sichere, rechtssichere Verfahren anzubieten.

Man spricht darüber, dass man diese Verfahren zwar garantieren möchte, aber möglichst nicht mehr hier und auch nicht mehr mit diesem gesicherten Rechts- und Durchführungsanspruch, sondern stattdessen irgendwo in Afrika und Asien. Ruanda ist ein oft genanntes Beispiel. 

DOMRADIO.DE: Warum sollten die Asylverfahren nicht ausgelagert werden? 

Hensel: Sprechen wir erst mal darüber, warum sie ausgelagert werden sollen. Sie sollen ausgelagert werden, weil sie viele nicht erfolgreich bestehen und dann nun mal im Land sind. Das möchte man verhindern. Wenn sie die Verfahren nicht bestehen, sollen sie sollen woanders sein, in irgendeinem anderen Land. Die sollen diese Last übernehmen, und nicht mehr wir. Das kann man landesegoistisch nachvollziehen. 

Frank Johannes Hensel

"Wir haben hier ein Grundrecht. Wer an unsere Tür klopft, bekommt hier ein rechtssicheres, faires Verfahren."

Dagegen spricht aber, dass man dort vor Ort die Verfahren nicht in gleicher Weise garantieren kann. Was passiert, wenn sie in Ruanda abgelehnt werden und dann dort herumstehen? Wir haben hier ein Grundrecht. Wer an unsere Tür klopft, bekommt hier ein rechtssicheres, faires Verfahren.

Die ganze EU ringt derzeit darum, dass diese Verfahren jetzt in Lagern an den Rändern der EU durchgeführt werden. Das ist eine politische Idee. Aber sie irgendwo in die Welt zu verschicken, in Länder, zu denen wir keine besondere Beziehung haben, wo sie nicht einmal herkommen, ist ein sehr durchsichtiger Versuch, sie aus den Augen und aus dem Sinn zu bekommen. 

DOMRADIO.DE: Das ist die Position der Caritas in NRW, die nun auch einen offenen Brief an die Politiker unterschrieben hat. 

Hensel: Wir sind in einer großen Gemeinschaft mit Ärzte ohne Grenzen, Brot für die Welt, Diakonie, Amnesty, ProAsyl und weiteren engagierten Organisationen, die Erfahrung mit Flüchtlingsarbeit haben und sich alltäglich um Integration und Migration bemühen. Wir wissen, dass sie überwiegend aus der Not kommen und oft in einem falschen Rechtssystem behandelt werden.

Frank Johannes Hensel

"Wir fordern, dass das vernünftig nebeneinander aufgestellt wird: ein rechtssicheres Asylverfahren und eine vernünftige Einwanderungsgesetzgebung."

Wir haben kein vernünftiges Einwanderungsrecht generiert und darum läuft diese Migration unter der Asylgesetzgebung. Die greift aber nur, wenn man durch Krieg, Bürgerkrieg oder persönliche Verfolgung in unmittelbarer körperlicher Gefahr ist. Andere Gründe ziehen nicht. Darum haben wir so viele Asylverfahren, die negativ beschieden werden.

Für die anderen Gründe bieten wir gar kein System an. Wir fordern, dass das vernünftig nebeneinander aufgestellt wird: Ein rechtssicheres Asylverfahren und eine vernünftige Einwanderungsgesetzgebung. 

DOMRADIO.DE: Auch Sachverständige zweifeln an einer Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten wie Ruanda. Warum gibt es trotzdem diesen Vorstoß? 

Hensel: Ich glaube, weil sich die Politik einredet, dass das so abschreckend sein könnte, dass Flüchtlingsströme nicht mehr zustande kommen und Schleppern ihr Handwerk gelegt wird, weil die Leute sonst Gefahr laufen, sich irgendwo in der Welt wiederzufinden. 

Ich halte das nicht für stichhaltig. Man versucht sich selbst einzureden, dass die Leute dadurch nicht mehr ins Land kommen, um hier Sicherheit, Frieden und ein Auskommen zu finden.

Die sind ja immer sehr willig, ihr Leben hier in die Hand zu nehmen. Das ist tatsächlich ein groß angelegter Abschreckungsversuch, der schiefgehen würde. 

DOMRADIO.DE: Was sollte denn das Ziel aus Ihrer Sicht sein? 

Hensel: Ein rechtsicheres und zügiges Asylverfahren. Das kann man an verschiedenen Orten nach europäischen Standards durchführen. Und dann braucht es auch ein konsequentes Umgehen mit den Bescheiden. Das heißt die, die bleiben, müssen wir mit Kraft integrieren.

Frank Johannes Hensel

"Wir brauchen die Menschen ja in unserer Gesellschaft." 

Wir brauchen die Menschen ja in unserer Gesellschaft. Man muss fast sagen, dass wir im Moment sogar Glück haben. Wenn wir hier keine Arbeitsmarktnöte hätten, wäre dieses Rechtsgut Asyl sicherlich noch stärker bedroht.

Und mit denen, die hier nicht bleiben dürfen, muss es ebenso einen viel klareren Umgang geben. Die dürfen keine jahrelange Hängepartie haben. Das ist ja im Moment die Problematik dieses sehr ungeregelten Asylsystems. 

DOMRADIO.DE: Welche konkreten Alternativlösungen würden Sie anstelle der Auslagerung der Asylverfahren vorschlagen? 

Hensel: Dieses gemeinsame europäische Asylsystem, kurz GEAS, will diese Verfahren nach europäischen Standards schneller durchführen und eine klare Zuordnung zu den Ländern sicherstellen. Dazu müssen sich Länder bereit finden.

Die, die keine aufnehmen wollen, müssen immerhin in der Administration mitwirken und/oder Geld für die Verfahren bezahlen. Das wird momentan auf der europäischen Ebene verfolgt. Das ist besser, als sie irgendwo in die Welt zu schicken, um das Problem dort sich selbst zu überlassen. 

Das Interview führte Dagmar Peters.

Weltflüchtlingstag

Der Weltflüchtlingstag ist ein von den Vereinten Nationen eingerichteter Aktionstag, der seit 2001 am 20. Juni stattfindet. Bereits seit 1914 gibt es den Welttag des Migranten und Flüchtlings (auch Welttag der Migranten und Flüchtlinge; kurz Weltflüchtlingstag), ein jährlich am 19. Januar stattfindender, kirchlicher Gedenktag für Flüchtlinge und Migranten. Er wurde erstmals 1914 von Papst Benedikt XV. mit dem Dekret Ethnografica studia ausgerufen.

Flüchtlingslager auf Zypern / © Andrea Krogmann (KNA)
Flüchtlingslager auf Zypern / © Andrea Krogmann ( KNA )
Quelle:
DR