Experte beleuchtet Stauffenbergs Verhältnis zum Glauben

"Eine große Geschichte der Umkehr"

Graf von Stauffenberg ist eine wichtige Figur im Widerstand gegen das NS-Regime. Doch welche Rolle spielte seine katholische Prägung bei der Tat? Widerstandsforscher Jakob Knab sieht in Stauffenbergs Leben eine starke Wandlung.

Autor/in:
Clemens Sarholz
Gedenktafel für Claus Schenk Graf von Stauffenberg an der Oberen Brücke in Bamberg. / © chrisdorney (shutterstock)
Gedenktafel für Claus Schenk Graf von Stauffenberg an der Oberen Brücke in Bamberg. / © chrisdorney ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Vor 80 Jahren, am 20. Juli 1944 misslingt das Attentat auf Adolf Hitler, an dem Claus Schenk Graf von Stauffenberg maßgeblich beteiligt war. War der Wehrmachtoffizier ein strenger Katholik?

Jakob Knab (privat)

Jakob Knab (Studiendirektor a. D. und Widerstandsforscher): In aller Entschiedenheit: Nein. Stauffenberg wurde in eine katholisch geprägte Tradition hineingeboren. Aber in den ersten Jahrzehnten spielte der katholische Glaube keine entscheidende Rolle für ihn. In den 1920er und frühen 30er Jahren suchte er Halt und Orientierung in diesem elitären Denken und der esoterischen Welt des Dichterfürsten Stefan George. Erst später fand er einen vertieften Zugang zu seiner katholischen Gläubigkeit.

DOMRADIO.DE: War das Hitler Attentat religiös motiviert?

Knab: Ja, aber man muss ein bisschen ausholen. In der Widerstandsforschung gibt es drei Kriterien. Man untersucht die Beweggründe, die Handlungsspielräume und die Tat. Zu den Beweggründen muss man verstehen, dass der Nationalsozialismus eine totalitäre Ideologie war, die den ganzen Menschen vereinnahmen wollte. Stauffenberg und all die anderen Widerständler konnten sich gegen diese Vereinnahmung und Gleichschaltung abgrenzen, indem sie tiefere Quellen der Weltanschauung und Sinnstiftung suchten. Erst in der Krise, bei Stauffenberg spreche ich vom Jahr 1942, fand Stauffenberg seinen Zugang zur angestammten christlichen Gläubigkeit wieder.

 

Zerstörung im Raum der Karten-Baracke im Führerhauptquartier Rastenburg, wo Oberst Stauffenberg am 20. Juli 1944 eine Sprengladung zündete / © Heinrich Hoffmann/UPI (dpa)
Zerstörung im Raum der Karten-Baracke im Führerhauptquartier Rastenburg, wo Oberst Stauffenberg am 20. Juli 1944 eine Sprengladung zündete / © Heinrich Hoffmann/UPI ( dpa )

DOMRADIO.DE: Kann man in der Geschichtswissenschaft überhaupt genau herausarbeiten, wie groß die Wirkungsanteile der Religion am Gesamtgeschehen sind?

Knab: Als Historiker muss ich mich immer auf die Quellen verlassen. Man kann von diesen Quellen nur auf die Motivation schließen. Ein Beleg für seine religiöse Motivation ist sein Kontakt zum Jesuitenpater und Märtyrer Alfred Delp. Delp besuchte ihn noch am 6. Juni 1944 - Historiker sprechen auch vom D-Day, dem Tag der amerikanischen Invasion - in seiner Bamberger Wohnung.

Bereits einen Tag später fuhr Stauffenberg als Chef des Stabes des Allgemeinen Heeresamts Berlin zu Hitler auf den Obersalzberg bei Berchtesgaden. Dort nahm er auch in Uniform an der Fronleichnamsprozession teilnahm und legte ein öffentliches Bekenntnis zu seiner katholischen Herkunft ab.

DOMRADIO.DE: Sie sprachen von einer Krise im Jahr 1942. Was ist da gewesen?

Knab: In der Zeit haben ihn immer wieder Berichte über die Massenverbrechen an Kranken und an Menschen mit Behinderungen sowie über die Ausgrenzung, Gräueltaten und der fabrikmäßigen Massentötungen von Juden erreicht. Ab dem Zeitpunkt häufen sich Äußerungen Stauffenbergs über die Notwendigkeit Hitler zu stürzen.

DOMRADIO.DE: Hinsichtlich des Themas “Tyrannenmord” hat sich Stauffenberg auf Thomas von Aquin bezogen.

Knab: Es ist überliefert, dass er im Sommer 1942, das brandgefährliche Thema “Tyrannenmord” bei einem Ausritt mit einem Stabsoffizier angesprochen hatte und dass er sich dabei auf Thomas von Aquin bezog. Das Thema wurde in vielen Widerstandskreisen debattiert.

Jakob Knab

"Er brauchte die Zustimmung einer übergeordneten Autorität."

In der kirchlichen Tradition finden wir bei der Frage, wann der Einsatz von Waffengewalt sittlich gerechtfertigt ist, eine Lehre, die identisch ist mit der Lehre vom gerechten Krieg. Bei Thomas von Aquin heißt es, dass wenn die Tyrannis ein Übermaß erreicht hat, der Einsatz von Gewalt sittlich gerechtfertigt ist, um diesen Tyrannen zu beseitigen. Aber Thomas von Aquin hat eine Einschränkung formuliert: Der Einzelne darf nicht aus privater Anmaßung zum Schwert greifen. Deshalb brauchte er die Zustimmung einer übergeordneten Autorität.

DOMRADIO.DE: Einer Autorität wie einem Bischof?

Knab: Einem Bischof wie Konrad Graf von Preysing. Er wäre die Autorität gewesen, um Stauffenbergs geplanter Tötung den kirchlichen Segen zu erteilen. Stauffenberg suchte ihn etwa drei Wochen vor dem Attentat auf. Der Bischof gab ihm den Segen der Kirche aber nicht, sondern nur seinen eigenen priesterlichen Segen. So ist es in einem Brief des Bischofs an die Mutter Stauffenbergs, Gräfin Caroline, überliefert. 

DOMRADIO.DE: Am Tag vor dem geplanten Attentat war Graf Stauffenberg noch in der Berliner Rosenkranzbasilika.

Claus Graf Schenk von Stauffenberg / © N.N. (dpa)
Claus Graf Schenk von Stauffenberg / © N.N. ( dpa )

Knab:  Am 19. Juli 1944 verharrte er im Seitenflügel der Basilika  am Marienaltar. Die Inschrift dort lautet: “ACCIPE SANCTUM GLADIUM A DEO”. Auf Deutsch: “Empfange das Heilige Schwert von Gott”. Diese Inschrift ließ er auf sich wirken. Und das ist meine persönliche Deutung: Weil er den bischöflichen Segen nicht erhalten hat, suchte er Zuspruch vor dem Allerhöchsten.

DOMRADIO.DE: "Tyrannenmord” und der Satz "Der Zweck heiligt die Mittel", der gerne mal Jesuiten zugeschrieben wird, passen gut zueinander.

Knab: Das zusammenzubringen ist mir zu billig und banal. Ich empfehle, sich mit den drei Jesuiten im Kreisauer Kreis zu befassen. Das sind Augustin Rösch, Lothar König und Alfred Delp.

Jakob Knab

"Das geht über den Satz: "Der Zweck heiligt die Mittel", hinaus."

Hier möchte ich die Gelegenheit ergreifen, um den völlig vergessenen Lothar König zu würdigen. Er war es, der den Kontakt zum Heiligen Vater in Rom knüpfte, über dessen Privatsekretär Robert Leiber. Es ist eindeutig belegt, dass König Berichte über die Gräueltaten des NS-Regimes an Papst Pius XII. gesendet hat. 

Und noch ein Satz zu Alfred Delp. Sein Vermächtnis lautet: "Es sollen einmal andere besser und glücklicher leben, weil wir gestorben sind." Vor dieser edlen Gesinnung muss man sich in tiefer Dankbarkeit und Ehrfurcht verneigen. Das geht über den Satz "Der Zweck heiligt die Mittel" hinaus.

DOMRADIO.DE: Stauffenberg war auch vom Kreis um Stefan George geprägt und ein Freund des Elitären. Im Katholizismus sind der Theorie nach alle Menschen gleich. Widerspricht sich das nicht?

Knab: Es gehört zu vielen Lebensgeschichten, dass man in einem bestimmten Alter die angestammte Weltanschauung der Eltern hinter sich lässt und eigene Wege sucht. Es stimmt, Stauffenberg suchte seinen Weg und fand erstmal zum inneren elitären Kreis des “Meisters” Stefan George. Ich bin aber dagegen diesen Widerstand von Stauffenberg auf die esoterische Gedankenwelt, Stefan Georges zu verkürzen.

DOMRADIO.DE: Weil man jedem Menschen zugestehen darf, klüger zu werden?

Jakob Knab

"Stauffenbergs Geschichte ist eine große Geschichte der Umkehr."

Knab: Stauffenbergs Geschichte ist eine große Geschichte der Umkehr, so wie im Evangelium nach Markus, wo geschrieben steht: “Kehrt um”. Im September 1939, als die Wehrmacht Polen überfiel, schrieb er aus Ostpolen über die Bevölkerung und er beschrieb sie als "unglaublichen Pöbel", mit "sehr vielen Juden und sehr viel Mischvolk". Ein Volk "dass sich nur unter der Knute" wohlfühle. Da spricht der Herrenmensch Graf Stauffenberg. Er sagt, dass die Tausenden von Gefangenen der deutschen Landwirtschaft gut tun würden, und dass sie "arbeitsam, willig und genügsam" seien. Zunächst war er auch von den Siegen der Wehrmacht berauscht.

Es gehört aber Lebensgeschichten dazu, dass wir neue Einsichten und Erfahrungen aufnehmen. Aus dem Herrenmenschen Graf Stauffenberg wurde der solidarische Widerstandskämpfer, der erfahren hatte, wie dieses NS-Regime die Juden fabrikmäßig ausrottet und vergast. Stauffenberg war es, der zur Tat drängte und mit ihm kam eine neue Dynamik in diese Widerstandsbewegung. Dem kann man nur mit Hochachtung begegnen.

DOMRADIO.DE: Stauffenberg wird in heutigen Diskussionen unter anderem vorgeworfen, dass er kein Demokrat war und keine demokratische Ordnung nach dem Attentat etablieren wollte. Wie sehen Sie das?

Jakob Knab

"Sie waren verwurzelt in den Grundwerten von Recht und Menschenwürde."

Knab: Das ist grober Unfug. Natürlich träumte niemand von der Ampelregierung, aber Stauffenberg war doch ein Kind seiner Zeit. Den Widerstandskämpfern ging es um die Majestät des Rechts. Sie wussten, dass sie als ersten Schritt den Diktator beseitigen und das Regime stürzen mussten. Danach forderten sie die Reinheit des Gewissens. Sie waren verwurzelt in den Grundwerten von Recht und Menschenwürde.

DOMRADIO.DE: Heutzutage entdecken auch neue Rechte und auch die AfD den Offizier für sich, um ihn als rechtsnationalen Widerstandskämpfer zu inszenieren. Wie würden Sie das einordnen?

Knab: Die großen Gestalten des Widerstandes von Sophie Scholl bis hin zu Graf Stauffenberg sind natürlich Projektionsfläche für eigene Deutungsansprüche und Identitätsinteressen. Zunächst sehe ich das demokratisch. Solang diese Bestrebungen nicht verfassungsfeindlich sind, gehört auch die Vereinnahmung von Stauffenberg in das breite Spektrum der Demokratie. Das muss unsere freiheitlich demokratische Grundordnung aushalten. Da glaube ich an die tiefen Wurzeln unserer Grundrechte, die stärker sind als irgendwelche radikalen Entgleisungen.

Das Interview führte Clemens Sarholz.

Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944

Am 20. Juli 1944 scheiterte das Attentat auf Adolf Hitler. 

An diesem Tag zündete Claus Graf Schenk von Stauffenberg eine Bombe im "Führerhauptquartier". Der 36-jährige Offizier stellte bei einer Besprechung in Hitlers ostpreußischem Hauptquartier "Wolfsschanze" eine Aktenmappe mit dem Sprengsatz am Kartentisch ab. Die Explosion verletzte die meisten Teilnehmer, doch der Diktator kammit ein paar Kratzern davon.

Gedenktafel bei der Wolfsschanze erinnert an das missglückte Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 / © Norbert Neetz (epd)
Gedenktafel bei der Wolfsschanze erinnert an das missglückte Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 / © Norbert Neetz ( epd )
Quelle:
DR