Schwester schildert den Alltag in Israel bei drohendem Krieg

"Die Ruhe vor dem Sturm"

Die Sorge vor einer Eskalation in Nahost ist weiter hoch. Schwester Gabriela Zinkl SMCB von den barmherzigen Schwestern vom Hl. Karl Borromäus berichtet vom Ordensleben in Israel, einem Land im andauernden Ausnahmezustand.

Autor/in:
Uta Vorbrodt
Schwester Gabriela im Kindergarten St. Charles der Borromäerinnen in Jerusalem (privat)
Schwester Gabriela im Kindergarten St. Charles der Borromäerinnen in Jerusalem / ( privat )

DOMRADIO.DE: Sie haben mir gesagt, dass sie noch eine israelische SIM-Karte in Ihrem Handy haben. Warum ist das wichtig?

Schwester Gabriela Zinkl in Jerusalem (privat)
Schwester Gabriela Zinkl in Jerusalem / ( privat )

Schwester Gabriela Zinkl SMCB (lebte bis Juni über Jahre in Jerusalem): Ja, das muss ich kurz erklären. Ich war in den letzten acht Jahren als Ordensschwester in unserem Konvent in Jerusalem tätig. Unabhängig von allen Kriegswehen bin ich vor kurzem in unser Mutterhaus versetzt worden. Nach der langen Zeit und aus der engen Verbindung zu unseren Mitschwestern habe ich noch die israelische SIM-Karte.

Das ist gerade der Vorteil. Dadurch bekomme ich von den offiziellen Apps des israelischen Militärs, zum Beispiel von der Raketen-Warn-App "Home Front Command", mehr Nachrichten, als wenn ich eine deutsche SIM-Karte im Handy hätte. Wenn die Ortungseinrichtungen eine Rakete oder eine Drohne ausfindig machen, bekommt man eine Warnung auf das Handy. 

Normalerweise geht in diesen Moment in der Region der Luftalarm los. Über die App kann man sich noch mal vergewissern, was da kommt. Gleichzeitig versucht das israelische Abwehrsystem, die Gefahr abzuschießen. In vielen, vielen Fällen - Gott sei Dank - kommt keine Rakete an, weil sie irgendwie zerstört oder abgeschossen wurde.

Sr. Gabriela Zink im Kindergarten St. Charles der Borromäerinnen in Jerusalem (privat)
Sr. Gabriela Zink im Kindergarten St. Charles der Borromäerinnen in Jerusalem / ( privat )

DOMRADIO.DE: Und Ihre Warn-App ist im Moment hochaktiv?

Zinkl: Genau, die App ist hochaktiv. Die warnt manchmal minütlich und wird rot zum Beispiel gestern Nacht um ein Uhr. Dort kam es wieder zu vielen Raketenangriffe auf Israel. Der Norden wurde vom Libanon und von Syrien aus beschossen und zeitgleich flogen auch Raketen aus Gaza.

DOMRADIO.DE: Sie stehen in ständigem Kontakt mit Ihren Mitschwestern in Israel. In Jerusalem leben acht Schwestern und führen unter anderem das Gästehaus Deutsches Hospiz St. Charles. Gibt es denn in Jerusalem noch Gäste?

Zinkl: Unser Gästehaus steht seit Oktober leer. Alle Gruppen haben storniert. Einzelgäste kommen wenn sehr vereinzelt. Das sind dann zum Beispiel Archäologen, die sich im Land auskennen und zu Grabungen kommen. Ein leer stehendes Gästehaus ist natürlich schwierig zu bewirtschaften.

Daran ist auch unser Kindergarten für 130 palästinensische Kinder angebunden. Die Einnahmen des Gästehauses unterstützen den Kindergarten bei der Finanzierung. Das fällt momentan weg. Das ist sehr schwierig für unsere Schwestern.

Schwester Gabriela Zinkl

"Es ist heiß im Land und sie möchten raus zum Spielen, aber seit Oktober bleiben die Kinder unseres Kindergartens vorwiegend im Haus."

DOMRADIO.DE: Wie besorgt sind Sie um die Kinder und deren Familien? Haben Sie über die Schwestern vor Ort Kontakt zu den Familien?

Zinkl: Ja, natürlich und auch über die Erzieherinnen bekomme was mit. Unsere Kinder sind zwischen drei und sechs Jahren alt und es ist eine schwierige Zeit für die Kinder. Sie hätten eigentlich Ferien. Es ist heiß im Land und sie möchten raus zum Spielen, aber seit Oktober bleiben die Kinder unseres Kindergartens vorwiegend im Haus. Sie stammen aus palästinensischen Familien und die Eltern haben Angst vor Angriffen. Sei es aus der Luft oder von irgendwelchen militanten Personen.

Sr. Gabriela Zink in Jerusalem (privat)
Sr. Gabriela Zink in Jerusalem / ( privat )

DOMRADIO.DE: Wie sieht das Alltagsleben der Schwestern mit dem leeren Gästehaus in Jerusalem aus? Wie muss man sich das vorstellen?

Zinkl: Ich telefoniere eigentlich jede Woche mit den Schwestern und auch andere stehen mit ihnen in Kontakt. Zu Beginn im Oktober fühlte sich das Leben ein bisschen so an wie in der Pandemiesituation. Alles war plötzlich sehr ruhig und die Menschen lebten zurückgezogen. Auch damals war der Flughafen geschlossen.

Schwester Gabriela Zinkl

"Die Schwestern haben alle die Anweisung bekommen, einen Notfallkoffer zu packen. Für den Fall, dass man schnell evakuiert werden muss."

In den letzten Monaten hatte sich das Leben in Jerusalem wieder ein bisschen normalisiert. Das Alltagsleben kam zurück, wenn auch mit deutlicher Zurückhaltung.

Jetzt ist die Situation in der Stadt wieder sehr angespannt. Die Flüge mancher unserer Schwestern, die in Urlaub fahren wollten, wurden storniert. Die Israelis und Palästinenser gehen sich seit dem Oktober sowieso sehr aus dem Weg. Eine Mitschwester hat mir gestern erzählt, dass sich die Situation so ein bisschen wie die Ruhe vor dem Sturm anfühlt. So, als sei das Fass kurz vor dem Überlaufen.

Die Schwestern haben alle die Anweisung bekommen, einen Notfallkoffer zu packen. Für den Fall, dass man schnell evakuiert werden muss. So ist die Lage bei unseren Schwestern in Jerusalem und ich denke, so ist die Lage in ganz Israel.

DOMRADIO.DE: Zwei Ihrer Schwestern leben und arbeiten in Emmaus bei Ramallah im Westjordanland. Sie betreiben dort eine Ambulanz und eine Armenfürsorge. Was berichten Ihnen diese Schwestern?

Schwester Gabriela Zinkl

"Es kommt einem so vor, als seien die Menschen eingesperrt. Sie haben keine Zukunft mehr. Sie werden so ein bisschen zu Wölfen."

Zinkl: Bei denen ist die Situation noch deutlich schwieriger. Das Westjordanland ist palästinensisches Gebiet. Die Grenzen nach Israel sind seit dem 7. Oktober abgeriegelt. Das heißt, dass die normale Bevölkerung nicht mehr zu ihrer Arbeit nach Israel kommen kann. Das bedeutet, dass sie seit Oktober kein Einkommen mehr haben. Inzwischen sind die Ersparnisse so langsam aufgebraucht und jetzt geht es wirklich ums tägliche Überleben.

Unsere Schwestern aus Emmaus erzählen von der dortigen Krankenstation, dass die Patienten viel zu spät zu ihnen zum Arzt kommen. Die Krankheiten sind oft zu weit fortgeschritten, sodass nur noch schwer geholfen werden kann. Viele können für die Behandlung nicht mal eine kleine Entlohnung zahlen.

Unabhängig davon gibt es sehr viele Überfälle und Diebstähle. Die Bevölkerung dort ist sich untereinander sehr feindlich gesinnt. Es kommt einem so vor, als seien die Menschen eingesperrt. Sie haben keine Zukunft mehr. Sie werden so ein bisschen zu Wölfen und werden gegeneinander sehr aggressiv.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.

Quelle:
DR