DOMRADIO.DE: Die Menschen in Solingen wollten feiern, so wie Sie in Neuss das Schützenfest feiern. Sie waren guter Laune und dann gab es diesen Terrorakt. Wie sehen Ihre Gedanken aus?
Andreas Süß (Oberpfarrer am Neusser Quirinusmünster): Das ist eine schreckliche Tat, die wir nur verurteilen können. Wenn Menschen auf ihrem Stadtfest zusammenkommen, um zu feiern und einander zu begegnen, muss man sich doch mitfreuen können, auch wenn man nicht aus diesem Kulturkontext kommt.
Ich habe die Kirmes hier in Neuss am Freitagabend mit dem Bürgermeister gemeinsam eröffnet. Wir waren, als wir das gehört haben, sehr schockiert und traurig. Unsere Gefühle sind bei den Hinterbliebenen.
DOMRADIO.DE: Gab es in Neuss Überlegungen, das Schützenfest, das noch bis zum 27. August geht, aus Anteilnahme oder möglicherweise auch wegen Sicherheitsbedenken abzusagen?
Süß: Das war eine Frage, die wir uns gestellt haben. Hier gibt es die Tradition, dass wir zur Eröffnung alle zusammenkommen, eine Fahne hissen und einen Böllerempfang veranstalten. Davor haben wir uns gefragt, ob wir das leisten können. Für uns sprach aber dagegen, dass es ja nicht sein kann, dass es einzelne Menschen, die etwas gegen die Gemeinschaft tun, schaffen, dass man nicht mehr gemeinsam feiert. Deshalb haben wir uns dafür entschieden.
Aber natürlich haben wir das auch im Hinterkopf und wir beten in den Gottesdiensten dafür. Unser jetziger Schützenkönig Christoph Heusgen (deutscher politischer Beamter und Diplomat, Anm. d. Red.) hat zu Beginn seiner Zeit das Leitwort "Gemeinschaft wagen!" ausgesendet. In dem Sinne wollen wir dieses Fest der Gemeinschaft und der Freude auch weiterhin feiern, um ein Zeichen zu setzen.
DOMRADIO.DE: Wenn Neuss und die Bürger das Schützenfest feiern, ist die ganze Stadt auf den Beinen. Es gilt als das weltweit größte seiner Art. Welche Bedeutung hat das Schützenfest für die Stadt und ihre Bürger?
Süß: Es sind die "Tage der Wonne", wie sie hier genannt werden, ein Fest der Freude. Über 7.500 Männer kommen jedes Jahr mit ihren Familien. Dafür braucht es enorme Vorbereitungen. Die Häuser werden beflaggt, die Stadt putzt sich raus, es werden große Tribünen aufgebaut. Wir hatten Gäste von nah und fern da und jeder ist in dieses Schützenfest involviert. Die einen vor, die anderen hinter der Bühne, irgendwie unterstützt jeder, damit das Fest überhaupt möglich ist. Es gibt einen starken gesellschaftlichen Kitt.
Es kommen so viele Menschen hier hin, selbst wenn sie schon lange nicht mehr hier leben. Das zeigt sich an Menschen wie Christoph Heusgen, der ja zum Beraterstab von Angela Merkel gehörte, die nie verstehen konnte, dass man fünf Tage Schützenfest feiern muss. Oder Hermann Gröhe, ihr ehemaliger Generalsekretär, der immer zum Schützenfest kam und teilweise nachts noch nach Berlin zurückfuhr, um am nächsten Tag wieder zu kommen.
Das kann man nur verstehen, wenn man in Neuss ist. Von daher laden wir alle herzlich ein, sich das hier auch mal anzuschauen.
DOMRADIO.DE: Welche Rolle spielt die Kirche bei diesem Neusser Schützenfest?
Süß: Wir sind sehr stark eingebunden, weil der Ursprung des Schützenfestes in der katholischen Kirche liegt. Die Junggesellen von Sankt Quirin haben dieses Schützenfest im Jahr 1821 gegründet. Die Scheibenschützen haben Neuss schon 1419 gegen Karl den Kühnen verteidigt.
Das Fest kommt von der Idee der Verteidigung der Stadt, heute geht es aber auch um die Verteidigung der christlichen Werte. Ich bin derjenige, der die Fahne auf Sankt Quirin hisst, womit dann das Schützenfest mit vollem Geläut beginnen kann.
Natürlich gehört seit Beginn unserer Satzungsaufschrift auch das katholische Hochamt dazu. Das ist einfach sehr schön. Ich marschiere mit meinen Kolleginnen und Kollegen in der Schützenweste mit und wir sind als Kirche sehr präsent. So hat die Kirche hier in Neuss auch immer einen hohen Stellenwert.
DOMRADIO.DE: Was wünschen Sie dem Schützenfest für die kommenden Jahre?
Süß: Ich wünsche mir, dass wir immer friedliche Schützenfeste haben werden, dass wir miteinander Gemeinschaft erleben, Freude und guten Austausch. Und ich wünsche mir, dass es Kommunikation zwischen Menschen gibt, die sich sonst nicht begegnen würden, dass unterschiedliche Meinungen friedlich aufeinandertreffen.
Das Interview führte Carsten Döpp.