DOMRADIO.DE: Neben dem großen, muslimischen Land Indonesien kann man Osttimor schon mal leicht übersehen. Dabei ist es, seit etwa 450 Jahren durch die portugiesische Kolonisierung, ein katholisches Land. Wie viele Einwohner des Landes sind denn tatsächlich christlich?
Sister Sonia Sangel, FdCC (Stammt von den Philippinen und lebt und arbeitet als Missionarin des Canossa-Ordens seit 20 Jahren in Osttimor): Die Gesamtbevölkerung von Osttimor beträgt im Jahr 2024 rund 1,4 Millionen Menschen. 99 Prozent von ihnen sind Christen. 97 Prozent sind Katholiken. Daher gilt es als eine der katholischen Nationen in Asien.
DOMRADIO.DE: Wenn der Großteil einer Bevölkerung katholisch ist, wie zeigt sich das im Alltag?
Sister Sonia: Ein besonders gutes Beispiel ist die Beziehung zwischen der Kirche und der Regierung. Die Kirche konsolidiert die Regierungen der sehr jungen Nation und stiftet eine Verbindung zwischen Regierung und Volk.
DOMRADIO.DE: Die katholische Kirche spielt also keinesfalls nur im Leben des Einzelnen eine Rolle, sondern ist auch auf politischen Ebenen integriert? Wie genau kann man sich das vorstellen?
Sister Sonia: Was die Beziehungen zwischen der Regierung und den Kirchenführern, insbesondere den katholischen Führern, angeht, so gibt es eine enge Zusammenarbeit und gegenseitige Unterstützung vor allem bei der Versöhnung mit Indonesien, Frieden und sozioökonomischer Entwicklung.
Wenn Entscheidungen getroffen werden, sind in der Regel immer Vertreter der katholischen Kirche anwesend, damit die Stimme der Mehrheit gehört wird, was bei einer so jungen Demokratie wichtig ist.
DOMRADIO.DE: An welchen entwicklungspolitischen Projekten arbeitet die katholische Kirche mit? Wo werden Prioritäten gesetzt?
Sister Sonia: Die Regierung schätzt die verschiedenen Bildungs- und sozioökonomischen Projekte der katholischen Kirche durch verschiedene Orden und Gemeinschaften, wie zum Beispiel die offiziellen Schulen, denen die Regierung jährlich ein Budget für die tägliche Verpflegung der Schüler zuweist.
Darüber hinaus erhalten die anerkannten Ausbildungszentren für Jugendliche finanzielle Unterstützung für die berufliche Weiterbildung und Entwicklung ihrer Mitarbeiter. Hier kommen auch die Hilfsorganisationen ins Spiel. Im Verbund mit westlichen Hilfsorganisationen entwickelt die Kirche jene einheitlichen Bildungsstandards, die die Regierung fördern will.
DOMRADIO.DE: Die katholischen Hilfsprojekte scheinen sehr bildungsorientiert zu sein. Welche anderen Bereiche werden noch unterstützt?
Sister Sonia: Von Seiten der Kirche bemühen sich die katholischen Schulen um eine qualitativ hochwertige Bildung, um gute, fähige und intelligente Führungskräfte für das Land hervorzubringen. Deshalb lege ich bei meiner Arbeit den Schwerpunkt auf die Bildungsarbeit.
Es gibt jedoch auch andere Projekte, bei denen die Regierung und die Kirche zusammenarbeiten. Die Regierung unterstützt Projekte der katholischen Kirche und anderer Kirchen zur Anerkennung und Achtung von Frauen, zur Gleichstellungsproblematik und zur Bekämpfung von Gewalt gegen Kinder und Frauen.
DOMRADIO.DE: Seit einigen Monaten kündigt sich der Papstbesuch langsam aber sicher an. Wie wurde der Besuch vorbereitet?
Sister Sonia: Die Bitte um den Besuch kam von Kardinal Virgilio do Carmo da Silva, den der Papst zum ersten Kardinal von Osttimor im Jahr 2022 ernannt hat, und wurde durch den Besuch des Präsidenten Ramos Horta und des Premierministers Xanana Gusmão beim Papst in Rom unterstützt. Unsere drei großen Führer brachten den großen Wunsch der Katholiken zum Ausdruck, dass der Papst Osttimor besuchen möge. Dieser wurde gewährt und angenommen.
Die Regierung hat viel Geld für sein Kommen investiert, die Kirche hat die Menschen im ganzen Land auf sein Kommen vorbereitet, alle haben sich an den Vorbereitungen beteiligt, als Freiwillige, als Chormitglieder, als Gruppen, die die liturgischen Gewänder vorbereiten. Straßen wurden verbessert, Gebäude in Tasi Tolu wurden für die Feier der Messe mit dem Papst hergerichtet, zu der 40.000 Menschen erwartet werden. Zudem wird es einen starken Sicherheitsdienst geben.
Zwei Tage vor der Ankunft des Papstes wurden die Straßen gesperrt, und die Menschen tun sich zusammen, um kilometerweit zu laufen und an den Aktivitäten und Zeremonien für den Papst teilzunehmen.
DOMRADIO.DE: Das sind sehr viele, sehr teure Vorkehrungen, die getroffen wurden. Was erhoffen sich die Menschen von dem Besuch?
Sister Sonia: Zunächst einmal wird ein Drittel der Bevölkerung in Dili, der Hauptstadt, erwartet. Viele Menschen reisen in die Stadt Dili mit ihren 250.000 Einwohnern, die plötzlich rund 460.000 Menschen versorgen muss. Es ist ein Großereignis, das zeigt, dass Osttimor nicht vergessen wird, sondern Teil der katholischen Weltkirche ist. Die Außenwahrnehmung ist für das eher unterrepräsentierte Land von großer Bedeutung. Wir haben also durchaus auch die Hoffnung, dass der Besuch diplomatische Beziehungen stärkt.
Der Besuch des Papstes wird zudem als ein großes Zeichen der Wertschätzung gesehen. Die Menschen sehnen sich danach, den Papst zu sehen, seinen Segen zu erhalten und die Gewissheit zu bekommen, dass unser katholischer Glaube uns zu besseren Menschen machen kann. Sein Besuch wird die Einheit und den Frieden zwischen den Menschen in Osttimor stärken.
Interview und Übertragung ins Deutsche von Miriam Stadler.
Information der Redaktion: Miriam Stadler studiert Geschichte und Islamwissenschaften an der Universität zu Köln. Von September 2023 und bis April 2024 lebte sie als MISEREOR-Freiwillige in Dili, Osttimor und unterrichtete dort als Assistenzlehrerin Englisch.