DOMRADIO.DE: Die Via della Conciliazione führt direkt vom Tiber zum Petersplatz. Wie sah das im 17. Jahrhundert aus, als der Petersdom fertiggestellt wurde?
Ulrich Nersinger (Vatikanexperte und Buchautor): Damals war diese Viertel rund um den Vatikan ganz anders strukturiert. Wir hatten enge Gassen. Straßen kann man das nicht nennen. Es war alles verbaut. Das hatte Vor- und Nachteile.
Der Vorteil war, dass wenn man durch diese engen Gassen in Richtung Sankt Peter ging, dann kam man durch dieses dunkle Viertel auf einmal an diesen hellen Platz, der unglaublich imponierte. Der Platz imponierte jedem, der nach Rom gekommen war.
Das waren nicht nur Touristen und Pilger, sondern auch große Gestalten des 19. Jahrhunderts. Berühmte Persönlichkeiten wie Reiseschriftsteller: Lord Byron, Charles Dickens und später auch viele andere waren beeindruckt, wenn sie durch diese engen Häuserschluchten gingen und auf einmal vor dem großartigen Petersplatz standen.
DOMRADIO.DE: Diese bauliche Verbindung zwischen Stadt und Petersdom blieb über Jahrhunderte. Im Jahr 1936 gab der faschistische Ministerpräsident Mussolini den Auftrag für den Bau der Via della Conciliazione. Warum?
Nersinger: Ja, am 21. April 1934 hatte er die renovierte Engelsburg freigegeben. Die war stark verbaut gewesen. Eines seiner Projekte war, diese Burg und den Zugang zu ihr durch den Park, der die Burg umschloss, freizulegen.
Er schaute dann auch auf Sankt Peter und sagte, dass alles verbaut sei. Der Blick sei gar nicht richtig möglich. Er sagte, dass sich das ändern müsse. Ein Zugang beziehungsweise eine Straße müsse dahinführen.
So kam es zu dem Projekt der Via della Conciliazione, der Straße der Versöhnung. 1929 war der Knackpunkt gewesen, als die Kirche sich mit Italien versöhnt hatte. Daher das Projekt von Mussolini, diese Straße zu bauen.
Der Vatikan konnte sich dem schlecht entziehen und stimmte zu, obwohl die Diskussionen um diese Straße heftig geführt wurden. Man wusste, dass bei diesem Projekt historische Gebäude abgerissen werden müssen. Das ist eine Wunde, die in der Stadt auf dem Weg nach Sankt Peter entstand.
DOMRADIO.DE: Das heißt, viele Römer waren damit gar nicht so glücklich, oder?
Nersinger: Ja, ein damaliger Zeitungsbericht schrieb, es seien Ströme von Tinte geflossen, um diese Sache zu verhindern. Aber es ließ sich nicht verhindern. Obwohl es gewaltige Schwierigkeiten gab.
Man musste historische Häuser und Gebäude abreißen. Manche Gebäude waren in der geschichtlichen Bedeutung so eminent, dass man sie nicht abreißen konnte. Deswegen hat man sie Stück für Stück, Zentimeter für Zentimeter verlagert wie den Palazzo Torlonia zum Beispiel.
Das war ein unglaubliches Unterfangen, das man begonnen hat. Aber das es doch allen wichtig war, zeigen die ganzen Schwierigkeiten, die sich durch diese Straße ergeben hatten. Die Straße wurde erst nach dem Zweiten Weltkrieg fertig, zum Heiligen Jahr 1950.
DOMRADIO.DE: Heute führt die Straße weiterhin direkt zum Petersdom. Wie hat sich die Nutzung im Laufe der Zeit verändert?
Nersinger: Ja, sie war eine viel befahrene Straße. In den letzten Jahren hat man versucht, den Verkehr einzuschränken, in dem man Teile der Via della Conciliazione zur Fußgängerzone machte. Das hat das Problem jedoch nicht gelöst.
In der Verkehrszuführung zum Vatikan entstand zwischen Engelsburg und der Via della Conciliazione eine sehr viel befahrene Straße. Die war auch nicht das Ideale. Deswegen hat man sich entschlossen, dass man den Weg von der Engelsburg zum Via della Conciliazione zur Fußgängerzone macht und den Verkehr durch einen unterirdischen Tunnel führt.
DOMRADIO.DE: Die Straße gibt aus der Ferne den Blick auf Petersplatz und Petersdom frei. Das ist beeindruckend. Welche Bildsprache oder welche Idee steckt dahinter?
Nersinger: Das Interessante ist, dass sowohl der freie Blick als auch der verborgene Blick durch die Häuser den Sinn hatten, die Großartigkeit des Petersplatzes und Sankt Peter zu zeigen.
Beides waren in gewisser Weise Werbemaßnahmen für den Petersplatz, den Petersdom und für den Vatikan. Ich nenne nicht den Begriff Propaganda, um es neutral zu sagen.
DOMRADIO.DE: Jetzt investiert die Stadt Rom 85 Millionen Euro für einen neuen Tunnel. Der soll rechtzeitig fertig werden, bevor im nächsten Jahr Millionen Menschen nach Rom kommen. Aber überall, wo in und um Rom herum gebuddelt wird, kann etwas Antikes entdeckt werden, oder?
Nersinger: Ja, sobald man einen Spaten in die Hand nimmt und in Rom anfängt zu buddeln, stößt man unwillkürlich auf die Antike, auf das alte Rom. Das ist für jeden Städteentwickler und Städtebauer ein Horror.
Ich vermute, dass man in früheren Zeiten zum Beispiel als der Bau der Via della Conciliazione begann, viele Funde einfach wieder zugeschüttet hat. Das kann man heute nicht mehr machen. Je tiefer ich gehe, desto mehr Überreste aus dem republikanischen oder dem kaiserlichen Rom finde ich.
Auf der Strecke zwischen der Engelsburg und der Via della Conciliazione hat man nun auch wieder antike Stücke gefunden. Da geht es darum, abzuwägen, was man damit macht: Schütte ich das zu oder versuche ich Funde noch zu retten. Das erschwert einen solchen Tunnelbau bis aufs Gewaltige.
DOMRADIO.DE: Ist eine Fertigstellung bis 2025 überhaupt möglich?
Nersinger: Ich würde sagen, die Römer sind sehr clever und erfindungsreich. Die werden das schon schaffen. Man wird jedoch eine ganze Reihe von Schwierigkeiten überwinden müssen. Ich habe aber die Hoffnung, dass die Römer wie immer eine Lösung finden.
DOMRADIO.DE: Was wird sich für Touristen und Einheimische ändern, wenn dieser Tunnel fertig ist?
Nersinger: Man wird eine verkehrsberuhigte Zone haben. Das birgt jedoch Schwierigkeiten für die Bewohner des Viertels. Es gibt dort beispielsweise ein Gästehaus des Vatikans, in dem die Angestellten und Beamten der Kurie und des Vatikanstaates wohnen.
Die klagen heute schon, dass der Zugang zu ihrem Haus erschwert ist. Andererseits wird es zu einer Verkehrsberuhigung kommen. Man kann dann von der Engelsburg zu Fuß und in aller Ruhe zur Via della Conciliazione und nach Sankt Peter wandern.
Das Interview führte Carsten Döpp.