DOMRADIO.DE: Die Arbeit der Ampelkoalition war schon seit Monaten von Querelen und öffentlich ausgetragenen Streiten geprägt. Vielleicht ist es ja jetzt besser, ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende zu haben. Wie sehen Sie das?
Marc Frings (Generalsekretär des Zentralkomitees der deutschen Katholiken / ZdK): Aus der Perspektive der Regierung und speziell der Ampelparteien ist das gewiss eine richtige Erkenntnis, die da jetzt gezogen wurde. Auch die Medien haben ja vor allem über das "Wann" und nicht über das "Ob" in den letzten Wochen spekuliert. Aus staatspolitischer Perspektive würde ich dem aber eher widersprechen. Wir haben ein politisches System seit 1949 in Deutschland, das von Stabilitäten geprägt ist.
Die Idee, Regierungen frühzeitig zu beenden und das Handtuch zu werfen, ist doch eher die Ausnahme, was ja übrigens auch für Landesregierungen gilt. Jetzt bewegen wir uns in eine Phase massiver Unsicherheit. Und das, ausgerechnet – alle haben es mitbekommen – am Tag der Wiederwahl von Donald Trump. Insofern stellt sich schon die Frage, ob das jetzt der richtige Zeitpunkt war. Wir bewegen uns jetzt in einen unmittelbaren Wahlkampf. Der Schrecken nimmt jetzt kein Ende, sondern wir bewegen uns auch in eine Phase der deutschen innenpolitischen Unsicherheit.
DOMRADIO.DE: Auf der ganzen Welt herrscht Unsicherheit, gerade mit Blick auf die USA hier in Deutschland. In der Europäischen Union zeichnet sich im Prinzip so eine Art der politischen Lähmung ab. Ist denn das jetzt verantwortungsvolle Politik?
Frings: Das glaube ich nicht. Deutschland und die gesamte Staatengemeinschaft hatten ja im Grunde genommen acht Jahre lang Zeit, sich auf ein potenzielles Szenario dieser Art vorzubereiten. Wir hatten vier Jahre Trump in Washington. Wir hatten danach vier Jahre, in denen klar war, er könnte möglicherweise wiederkommen. Und die Demoskopen haben ja da niemals Entwarnung gegeben.
Ich habe den Eindruck, nach dem Sieg von Trump, dass doch auch viele in der ganzen Welt ihre Hausaufgaben gemacht haben, nur nicht in Westeuropa. Ich will nur auf ein Beispiel hinweisen. Vor wenigen Wochen fand im russischen Kasan das Gipfeltreffen der BRICS-Staatengruppe statt, also Staaten, die eher dem globalen Süden angehören und sich noch von einigen autoritären Partnern des Nordens beraten lassen. Und die haben sich sehr gut aufgestellt, gerade in der internationalen Finanzzusammenarbeit.
Man stellt fest: Der globale Süden emanzipiert sich, um jetzt mit relativer Indifferenz auf Washington und die den Wahlsieg dort zu reagieren. Gerade wir im Westen Europas sind doch eher verunsichert. Deutschland fällt jetzt erst mal aus, weil wir uns in einen Wahlkampf hineinbegeben. Großbritannien ist nicht mehr Teil der EU, Macron massiv geschwächt nach den Parlamentswahlen dort. Und die EU wird jetzt auch erst mal kein einheitliches Bild geben, denn dort stellt sich erst mal die neue Mannschaft von Ursula von der Leyen dem Parlament vor, sodass wir dort eher eine Phase der massiven Kritik, der Debatten erleben werden, ehe dort überhaupt wieder eine handlungsfähige Kommission etabliert wird.
Es stellt sich also die Frage: Wer kann jetzt gerade in dieser Phase des Übergangs in Washington auf unserer Seite des Atlantiks Verantwortung und Stabilität ausstrahlen? Das hätte Berlin sein können. Und Berlin hat gestern beziehungsweise vorgestern selber entschieden: Nein, das wollen wir nicht.
DOMRADIO.DE: Jetzt hat gestern FDP-Chef Lindner vor der Presse die Verantwortung von sich gewiesen. Das war ja auch immer so eine große Frage: Wer hat jetzt Schuld daran? Lindner sprach von einer "Entlassungsinszenierung". Der Bruch der Ampel wäre eigentlich nicht zwangsläufig gewesen, sagte er. Nehmen Sie ihm das ab?
Frings: Ich glaube, im Jahr 2024 ist Inszenierung ein völlig gängiges Instrument politischer Kommunikation. Ich glaube nicht, dass irgendein Spitzenpolitiker montags in die Woche startet, ohne über gewisse Inszenierungsmechanismen nachzudenken. Gleichzeitig will ich mich nicht an Spekulationen beteiligen, weil ich in keiner der entsprechenden Sitzungen saß.
Ich kann mir vorstellen, wenn man über Inszenierungen spricht, dass es im Skript von Christian Lindner Anfang der Woche nicht die Option gab, er selber werde entlassen. Die Strategie Selbstmord vor dem Tod mag vielleicht in seiner Fraktion gut angekommen sein, man hörte ja von viel Applaus, macht mich persönlich aber eher ratlos.
Ich kann mir vorstellen, dass das vielleicht noch mal auf die Jahre davor zurückblicken muss. Lindner hat die Partei ja in einer Zeit übernommen, als sie gar nicht mal im Bundestag saß. Ich glaube, wenn man einmal APO-Chef war, dann prägt das auch. Die unmittelbaren Interviews, die es am Mittwochabend dann schon gab, haben mir auch noch mal gezeigt, dass sich da wahnsinnig viel aufgestaut hat.
Ich habe ja vorhin schon von der politischen Kultur gesprochen. Es ist ja eher unüblich, dass man sich so persönlich angeht. Selbst der Kanzler wirkte ja für seine Verhältnisse fast schon emotional und in Angriffslaune. Für mich war das noch mal ein Erweckungsmoment, weil man merkte, die Parteien haben da wohl in den letzten Monaten intern schon massiv Konflikte ausgetragen. Das Ventil wurde da am Mittwochabend wohl geöffnet.
DOMRADIO.DE: Was sagen denn diese jüngsten Entwicklungen in Berlin über die politische Kultur in unserem Land aus?
Frings: Das ist ein Thema, das mich jetzt gerade sehr beschäftigt. Denn die politische Kultur Deutschlands ist ja, und das konnte man in den letzten Wochen in Nahaufnahme beobachten, eine gänzlich andere als in den Vereinigten Staaten von Amerika beispielsweise. Bei uns gibt es, sieht man mal von den Anfangsjahren der frühen 1950er-Jahre ab, als man sich vielleicht auch eher mit Gassenvokabular begegnet ist, einen Umgang, der von großem Respekt geprägt ist.
Ich glaube, was wir jetzt nicht erleben dürfen, ist, dass sich die Parteien der Mitte, die sich ja dann auch im Frühjahr 2025 wieder zu Koalitionsverhandlungen treffen werden, in massiven Streits und persönlichen Beleidigungen ergehen. Ich glaube, was es braucht, ist gerade zwischen der Regierung oder dem, was sie jetzt als Minderheitsregierung weiter operieren wird, und der Opposition das klare Signal: Wir sind weiterhin verantwortungsvoll unterwegs und auch in der Lage, wichtige Gesetzesvorhaben voranzutreiben.
Scholz hat ja selber drei große Pakete benannt. Ich könnte weitere ergänzen, die uns auch als ZdK und als katholische Zivilgesellschaft wichtig sind. Aber ich glaube, es muss deutlich werden: Wir sind als politische Parteien in der Lage, miteinander gut in Dialog zu sein und tragen diese Verantwortung auch dann, wenn eine Regierungskonstellation nicht mehr funktioniert.
DOMRADIO.DE: Was ist denn dem ZdK wichtig? Welche Pakete oder Entscheidungen wären Ihnen jetzt wichtig?
Frings: Was jetzt das konkrete Politische in dieser Legislatur angeht, sind uns natürlich die sozialpolitischen Maßnahmen in der Regel immer wichtig. Ich denke an die Kindergrundsicherung. Ich denke aber auch daran, dass ich am Montag noch als Sachverständiger im Bundesfamilienausschuss saß, um dort für das Gesetz der UBSKM, der Unabhängigen Beauftragten für den Schutz von Kindern und Jugendlichen gegen sexuelle Gewalt, vorzusprechen und dafür zu werben, dass dieses Gesetz noch zustande kommt.
Ich hoffe, dass das auch weiterhin möglich ist, denn was ich im Familienausschuss erlebt habe, war, dass alle Parteien sehr dieses Gesetz unterstützt haben. Ich wünsche mir aber auch als ZdK-Vertreter, dass wir jetzt einen Wahlkampf erleben, der respektvoll geführt wird und der die Themen der Innenpolitik, aber auch der Außen- und Sicherheitspolitik aufgreift, um zu markieren, dass Deutschland und die Parteien, die hier Verantwortung übernehmen wollen, bereitstehen, diese großen Linien jetzt auch vorzuzeichnen.
Wir leben ja, dass die Demokratie und der gesellschaftliche Zusammenhalt massiv unter Beschuss geraten sind, nicht nur in unserem Land, sondern weltweit. Ich glaube, dafür muss jetzt der Raum sein, damit wir hier in eine gute neue Legislaturperiode kommen.
Das Interview führte Tim Helssen.