Präventionsbeauftragte Birkner zieht nach Studie positive Bilanz

"Prävention ist nie zu Ende"

Forschende haben festgestellt, dass die Präventionsarbeit der katholischen Kirchen in NRW wirkt. Die Präventionsbeauftragte des Erzbistums Köln, Katja Birkner, zieht aus der Studie Wertschätzung und weitere Verbesserungsvorschläge.

Autor/in:
Johannes Schröer
Gutachten über den Umgang mit Missbrauchsfällen im Erzbistum Köln / © Ina Fassbender (KNA)
Gutachten über den Umgang mit Missbrauchsfällen im Erzbistum Köln / © Ina Fassbender ( KNA )

DOMRADIO.DE: Sie waren gestern dabei, als die Ergebnisse des Forschungsprojektes zu Präventionsarbeit gegen sexualisierte Gewalt in den Bistümern in NRW präsentiert wurde. Wie haben Sie das Ergebnis dieses Forschungsprojektes wahrgenommen? 

Katja Birkner
Katja Birkner

Katja Birkner (Präventionsbeauftragte des Erzbistums Köln): Wir haben uns sehr gefreut, dass es grundsätzlich überhaupt machbar ist, etwas, das man eigentlich nicht messen kann, messbar zu machen. Also, dass die Wirkung unserer Präventionsarbeit sichtbar gemacht wurde, die ja im klassischen Sinne nicht sichtbar ist. Und das mit einer Forschungsarbeit, die sich mit sehr viel Analyse und Aufwand die einzelnen Elemente unserer Arbeit angeguckt hat. Wir waren wirklich überrascht, wie konkret man daraus Ableitungen ziehen kann und wie viele Menschen über Dinge lesen können, an denen sie beteiligt waren. 

DOMRADIO.DE: Und das ist ja auch eine sehr wertschätzende Unterstützung, wenn dabei rauskommt, dass Prävention tatsächlich wirkt. 

Birkner: Ja, es ist total ermutigend. Weil wir natürlich in unseren Diözesen auch sehr viele Aufgaben und Anforderungen durch die Ordnungen haben und wir uns manchmal fragen: Wie kommt das denn an? Kommt das auch bei den Menschen vor Ort an? Im Sinne einer Verstärkung ihrer eigenen Möglichkeiten, also in Freiheit Dinge zu entscheiden, sich geschützt zu fühlen und auch an einem gemeinsamen Schutz mitzuwirken? Und da fühlten wir uns gestern wirklich bestätigt. 

Katja Birkner

"Das war ein richtiger Kraftakt."

DOMRADIO.DE: Sie mussten natürlich selbst mitmachen. Wie war das? War da eine große Offenheit? Das ist sicher auch aufwendig an so einer Studie beteiligt zu sein.

Birkner: Ja, das können Sie wohl laut sagen. Das war ein richtiger Kraftakt. Weil wir zum ersten Mal alle Daten erfassen mussten. Es ist ja nicht so, dass wir das bisher machen mussten. Deswegen mussten wir schauen, was haben wir überhaupt erfasst? Wer kann uns dazu Daten liefern? 

Ein Meilenstein in dieser Erarbeitung war: dass sich sehr viele Ehrenamtliche und Hauptamtliche beteiligt haben. Da müssen wir wirklich noch einmal Danke sagen, weil sie auskunftsfähig waren. Sie haben Daten geliefert, bei Fokus-Gruppen mitgemacht, sich den Fragen der Forschenden gestellt. Es war ein großes Miteinander, bis hin zu der Onlinebefragung, wo 5000 Menschen teilgenommen haben. Ich finde, das ist  eine große Zahl. 

DOMRADIO.DE: Prävention heißt natürlich auch, dass man von den Erfahrungen der Betroffenen viel lernen kann. Gab es jetzt auch eine Resonanz Betroffener auf die Studie? 

Birkner: Herr Hauke, ein Sprecher vieler Betroffener, war gestern da und hat darüber berichtet. Er war auch in der Beratung dieses Projektes beteiligt. Letztendlich muss man sagen: Dass diese Studie überhaupt möglich ist, haben wir Betroffenen zu verdanken, die sich - Gott sei Dank - vor vielen Jahren gemeldet und ihr Leid geschildert haben. 

Betroffene des Missbrauchs in der katholischen Kirche / © Harald Tittel (dpa)
Betroffene des Missbrauchs in der katholischen Kirche / © Harald Tittel ( dpa )

Gestern hat Herr Hauke noch einmal sehr deutlich und eindringlich gesagt, er findet, die Studie sage aus: Wir dürfen nicht aufhören. Es gibt immer noch Fälle, wo sich Menschen durch unsere Arbeit angesprochen fühlen, sich doch als Betroffene oder Betroffener zu melden. Das heißt, wir sind immer noch in der rückblickenden Situation. 

Aber natürlich gibt es auch aktuell immer Situationen, in denen sich kirchliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter grenzüberschreitend verhalten. Das ist nicht nur bei uns so, das ist auch gesellschaftlich ein Thema. Dann ist es natürlich gut zu wissen, was zu tun ist. Und die Betroffenen vor allen Dingen nicht alleine zu lassen. 

DOMRADIO.DE: Also Prävention auch als fortlaufenden Prozess, die Arbeit geht immer weiter. Wo stößt Prävention noch an Grenzen? 

Birkner: Wenn man auf unsere Diözese guckt, sprechen wir da von beinahe 700 Trägern. Da ist es manchmal kaum machbar, eine fachliche Prüfung zu gewährleisten und den Trägern konkret Rückmeldung zu geben. Was kann man jetzt im Schutzkonzept noch verändern? 

In der direkten Beratung ist das schon sehr aufwendig und wir merken, dass wir nicht immer allem gerecht werden können. Die Rahmenbedingungen unserer Arbeit müssen sich noch weiter verstetigen. Wir haben noch nicht alles gelesen, aber wir erhoffen uns durch die Studie gute Empfehlungen. Dass wir gemeinsame Aufgaben entdecken und Dinge etwas schlichter, aber gleichzeitig verstärkender anbieten können. 

DOMRADIO.DE: Stößt man aufgrund von bestimmten Strukturen auch an hierarchische Hürden? 

Birkner: Darum wissen wir, ja. Das ist in erster Linie nicht der Auftrag der Prävention, grundsätzlich diese Formate in Frage zu stellen. Aber natürlich verändern sich Realitäten durch die Sensibilität des Umgangs miteinander und des Verhaltens von Gruppen untereinander. 

Wir ermutigen Menschen, sich entsprechend ihrer Bedürfnisse zu äußern, Nähe, Distanz und Grenzen einzufordern. Und dadurch verändern sich auch Kommunikationskulturen. Im besten Fall haben wir nachher eine Kirche, die sehr präventionsensible Beziehungsräume anbietet, die auf Augenhöhe gestaltet werden. Trotzdem braucht es eine Steuerung dieser Beziehungsräume, aber die muss nach einem bestimmten Umgang gestaltet werden. 

Katja Birkner

"Wir fangen an, sensibel aufmerksam zu machen und eine achtsame Kultur einzufordern."

DOMRADIO.DE: Nun muss man aber auch klipp und klar sagen: Prävention ist wichtig, aber mindestens genauso wichtig ist die Aufklärung begangener Straftaten und auch begangener Übergriffe. Prävention wird sonst vielleicht auch zu einem Feigenblatt der Institution, die sich für sexualisierte Gewalt verantworten muss. 

Birkner: Ja, das ist eine große Kritik, der wir uns auch immer stellen müssen und mussten. Die Studie weist, glaube ich, darauf hin, dass es nicht ganz angemessen ist, das so kurz zu beschreiben. Weil es am Ende so ist, dass wir als Prävention auch den Auftrag haben, Dinge aufzufangen. 

Das heißt, wir fangen an, sensibel aufmerksam zu machen und eine achtsame Kultur einzufordern. Wenn dann eine Grenzüberschreitung gemeldet wird oder ein Interventionsfall vorliegt, wird erst einmal geschaut: Was ist passiert? Dann klärt die Intervention den Fall bestenfalls und es werden kirchenrechtliche oder strafrechtliche Forderungen gestellt, oder auch Dinge umgesetzt. 

Treffen der AG Missbrauch / © Harald Oppitz (KNA)
Treffen der AG Missbrauch / © Harald Oppitz ( KNA )

Dann ist da aber ein irritiertes System. Wir müssen in Zukunft noch mehr im Hinblick auf das Auffangen mit der Intervention zusammenarbeiten. Unsere Arbeit der Prävention ist es zu gucken, wie schaffen es die Menschen, das Erlebte, auch mit Hilfe der Prävention, aufzuarbeiten und aufzufangen? 

Da werden Sie durch Beraterinnen und Berater aufgefangen. Aber vor allen Dingen sollen sie sich wieder gegenseitig die Zusage geben können: Wir haben hier wieder einen gemeinsamen Schutz, den wir verantworten und nicht aufgeben, sondern daraus lernen. 

DOMRADIO.DE: Prävention, das hören wir jetzt schon, ist ein Prozess, der immer weiter geht und sehr wichtig ist, da sind wir uns einig. Was wünschen Sie sich denn für die Zukunft in Bezug auf Prävention? 

Katja Birkner

"Wir als Kirche haben Erfahrung und können die Fachexpertise einbringen."

Birkner: Ich wünsche mir noch viele Forschungsprojekte, die unsere Arbeit weiter begleiten. Ich wünsche mir vor allen Dingen aber das Verständnis, dass wir als Kirche, als kirchliche Träger und Gemeinden, eine Chance haben, durch unsere Arbeit der Prävention in die Gesellschaft hineinzuwirken und Anwalt für all die Bedarfe von Kindern, Jugendlichen und schutz- oder hilfebedürftigen Erwachsenen zu sein, die im Moment nicht gesehen werden. 

In anderen gesellschaftlichen Strukturen sind da noch viele Fragezeichen und viel Schutz wird gerade auch ein Stück weit in Frage gestellt. Wir möchten das nicht hinnehmen. Wir als Kirche haben Erfahrung und können die Fachexpertise einbringen. 

Also wünsche ich mir einmal, dass wir Aufmerksamkeit bekommen. Aber natürlich auch, dass in unserer Organisation, in unserer Kirche, weiterhin das Verständnis dafür da ist, dass Prävention nie zu Ende ist. Und dass wir durch Prävention mehr Räume bekommen und Menschen vielleicht wieder vertrauensvoll in unsere Kirche zurückgewinnen. 

Das Interview führt Johannes Schröer.

Prävention im Erzbistum Köln

Unter Prävention versteht man vorbeugende Maßnahmen, die eine unerwünschte Entwicklung verhindern sollen. Ziel aller Präventionsmaßnahmen in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ist, diese zu stärken, damit sie sich gegen jede Form der Gewalt wehren können. Außerdem werden geschützte Strukturen geschaffen, in denen sich die Minderjährigen sicher fühlen und sich gesund entwickeln können.

Symbolbild Missbrauch / © Julia Steinbrecht (KNA)
Symbolbild Missbrauch / © Julia Steinbrecht ( KNA )
Quelle:
DR