Wolfgang Thierse fordert politisches Engagement von Christen

"Man kann nicht nur privat Christ sein"

Bei der Vollversammlung des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken hat der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse über aktuelle Krisen gesprochen. Im Interview erklärt er seinen christlichen Blick auf die Politik.

Autor/in:
Lara Burghardt
Wolfgang Thierse / © Lara Burghardt (DR)
Wolfgang Thierse / © Lara Burghardt ( DR )

DOMRDADIO.DE: Warum ist es für Sie wichtig, heute hier zu sein beim Zentralkomitee der Deutschen Katholiken (ZdK)? 

Wolfgang Thierse (ehemaliger Präsident des Deutschen Bundestags und ehemaliges Mitglied des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken): Ich war lange Mitglied des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, über 20 Jahre, und ich halte das schon für ein wichtiges Gremium, die Vertretung der Laien, vor allem in der katholischen Kirche. 

Es ist wichtig, dass diese Laien sich nicht nur mit innerkirchlichen Angelegenheiten und dem alltäglichen Ärger der Kirche befassen, sondern dass sie auch nach außen wirksam werden und sich mit dem befassen, was in der Politik und in der Gesellschaft passiert. Das war ja jetzt unser Thema. 

DOMRDADIO.DE: Dabei haben Sie das Wort "Tapferkeit" angesprochen. Was können das ZdK oder Christen im Allgemeinen tun?

Thierse: Ich denke, wichtig ist, dass Christen nicht Besserwisser sind, sich aber einmischen, am Streit beteiligen und denen widersprechen, welche die wirklichen Probleme, die wir haben, wie die Schmerzen der Veränderungen, in denen wir uns befinden, ins Übertriebene erhöhen. 

Wolfgang Thierse

"Ja, wir haben Probleme, aber wir lösen sie nicht durch Emotionalisierung."

Denen, die die Ängste ins Finstere und ins Apokalyptische forcieren, denen gilt es zu widersprechen. Ja, wir haben Probleme, aber wir lösen sie nicht durch Emotionalisierung, durch Hysterisierung oder durch apokalyptische Zuspitzung, sondern indem wir miteinander streiten, wie wir sie besser lösen können. 

Archiv: Friedrich Merz, CDU Bundesvorsitzender und Fraktionschef von CDU/CSU spricht vor Christian Lindner (FDP), Bundesminister der Finanzen, Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei der Sitzung des Bundestags mit der Regierungserklärung des Bundeskanzlers.  / © Michael Kappeler (dpa)
Archiv: Friedrich Merz, CDU Bundesvorsitzender und Fraktionschef von CDU/CSU spricht vor Christian Lindner (FDP), Bundesminister der Finanzen, Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei der Sitzung des Bundestags mit der Regierungserklärung des Bundeskanzlers. / © Michael Kappeler ( dpa )

Das ist die Aufgabe von Christen, Ängste zu überwinden. Nicht, indem man behauptet, es gäbe keinen Anlass dazu und keine Probleme, sondern indem man sie ernst nimmt und dann darüber streitet, wie man sie lösen kann. 

Egal um welches Thema es geht: um Migration, um Pluralisierung unserer Gesellschaft, um künstliche Intelligenz oder um die größte Herausforderung, die Verhinderung der ökologischen Katastrophe und die internationalen Krisen. 

Wolfgang Thierse

"Wir dürfen nicht zulassen, dass die Leute sich lähmen lassen."

Ja, es gibt viel Anlass, besorgt zu sein. Aber wir dürfen nicht zulassen, dass die Leute sich lähmen lassen und anfangen, an Wunder zu glauben, nämlich den Populisten, die immer einfache, schmerzlose, wunderbare Lösungen versprechen. Das ist gefährlich. 

DOMRDADIO.DE: Sie selbst sind Politiker und Christ. Sie haben schon angesprochen, dass gerade Christen sich politisch engagieren sollten. Warum?

Thierse: Ich denke, weil das der Auftrag ist. Man kann nicht nur gewissermaßen privat Christ sein, so innerlich glauben, sondern Christsein und Glauben ist auch ein Auftrag zur Weltgestaltung. Weil nämlich das Gebot der Nächstenliebe heißt, sich dem anderen zuzuwenden. 

Wolfgang Thierse

"Christsein und Glauben ist auch ein Auftrag zur Weltgestaltung."

Und das ist im weitesten Sinne des Wortes Politik. Solidarität, Gerechtigkeit, das sind die Leitworte für Christen in der Politik. Deswegen haben sie sich einzumischen und mitzutun. Und das, ohne vom hohen Thron alles kommandieren zu wollen, aber als wirklich demokratisch Beteiligte.

DOMRDADIO.DE: Wir haben ganz viel über Krisen gesprochen. Sie haben gesagt, Sie finden nicht, dass wir uns in einer Krise befinden, mit Blick auf Deutschland und das Ende der Ampelkoalition.

Thierse: Ja, wir erleben ein Ende einer Koalition zwischen drei sehr gegensätzlichen Parteien. Das ist aufregend und spannend. Aber es ist keine Demokratiekrise, denn wir haben Regeln. Regeln für den Regierungswechsel, Regeln für einen Machtwechsel. Jetzt hat das Parlament das Wort.

Dann gibt es Wahlkampf, und dann entscheiden die Wähler. Solange der Respekt vor den Institutionen der Demokratie gilt, solange der Wahlkampf nicht hasserfüllt geführt wird, solange wir nicht dem Beispiel der USA folgen, haben wir keine Demokratiekrise, sondern etwas ganz Normales. Eine Regierung endet, eine andere beginnt.

Das Interview führte Lara Burghardt.

Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK)

Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) ist das höchste repräsentative Gremium des deutschen Laien-Katholizismus. Es vertritt die katholischen Laien bei der gesellschaftlichen Meinungsbildung und ist das von der Bischofskonferenz anerkannte Organ zur Koordinierung des Laienengagements in der Kirche. Allerdings melden sich immer wieder auch einige katholische Laien und Vereinigungen zu Wort, die das ZdK nicht als ihre Vertretung verstehen.

Das Kreuz des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK)  / © Harald Oppitz (KNA)
Das Kreuz des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR