DOMRADIO.DE: Für das Weihnachtsfest ist der Christbaum und vor allem die Krippe wichtig. Gerade mit Blick auf die katholische Kirche: Wie lange gibt es eigentlich schon die Tradition, dass beides in der Kirche bzw. auch bei den Menschen zu Hause aufgestellt wird?
Prof. Dr. Marco Benini (Lehrstuhl für Liturgiewissenschaft; Theologische Fakultät Trier, Leitung
Wissenschaftliche Abteilung des Deutschen Liturgischen Instituts in Trier): Die Krippe geht auf den heiligen Franz von Assisi zurück, der 1223 in der Christmette in Greccio die Weihnachtserzählung inszenierte und deutlich machen wollte, dass Gott wirklich in Jesus Christus ein Mensch wie wir geworden ist.
Der Hintergrund ist, dass man damals vor allem die Menschheit Jesu wieder neu betonen wollte. Es gab ja im ersten Jahrtausend eher die Tendenz, vor allem die Gottheit zu betonen. Etwa das Konzil von Nicäa 325 hat festgehalten, dass Jesus wahrer Gott und wahrer Mensch ist. Damals hat man vor allem die Gottheit betont, weil die zu dieser Zeit angezweifelt worden ist. Und wenn man immer die Gottheit betont, ist dann die Menschheit ein Stückchen zurückgetreten.
Franz von Assisi war wichtig, die Menschheit Christi deutlich zu machen, auch wenn er nach seinem Biographen wohl kein Kind in die Krippe legte, weil Christus in der liturgischen Feier gegenwärtig wird. Die Krippendarstellung mit Kind hat dann schnell Nachahmung gefunden, zunächst in Italien.
Dann haben die Jesuiten die Krippen auch nördlich der Alpen und weltweit verbreitet. Und schließlich ist es auch für zuhause üblich geworden, eine Krippe mit Figuren aufzustellen. Wichtig ist, glaube ich, dass es nicht einfach nur Weihnachtsdeko ist, sondern es soll ausdrücken: Jesus soll auch in mein Zuhause, in unser Wohnzimmer hineinkommen; wir geben dem Herrn Platz. Ich nehme ihn auf.
Der Christbaum hat seine Wurzeln in mittelalterlichen Weihnachtsspielen. Sie begannen oft mit dem Sündenfall im Paradies, der als Hintergrund für die Erlösung durch die Menschwerdung Christi diente. Dazu wurde ein grüner Baum mit roten Kugeln (Äpfeln) aufgestellt. Ab dem 19. Jahrhundert verbreitete sich der Weihnachtsbaum in Kirchen und Häusern.
DOMRADIO.DE: Gerade jetzt, für die Adventszeit ist ja der Adventskranz wichtig. Erfunden hat den der evangelische Pastor Johann Hinrich Wichern erst im 19. Jahrhundert. Früher waren allerdings die konfessionellen Grenzen ja deutlich strenger gezogen. Wie hat denn der Adventskranz den Weg trotzdem in die katholischen Kirchen und Haushalte gefunden?
Benini: Zunächst hat in der Tat der evangelische Pfarrer Wichern in Hamburg in einem Kinderheim eine spontane Idee gehabt, weil dort die Kinder ihn immer gefragt haben: Wie lange dauert es noch bis Weihnachten? Und daraufhin hat er ein Wagenrad genommen und für jeden Sonntag vier weiße Kerzen und für die Werktage lauter kleine rote Kerzen aufgestellt. Jeden Tag wurde eine Kerze mehr entzündet. Dann wurde das, wie Sie sagen, zunächst erst auf evangelischer Seite rezipiert.
Allerdings hat man das schon etwas praktischer gehandhabt, indem man nur vier Kerzen für die Sonntage entzündet hat. Dann wissen wir, dass zum ersten Mal 1925 der Adventskranz den Weg in eine katholische Kirche gefunden hat, und zwar in Köln. Und so hat sich der Brauch Schritt für Schritt auch langsam im katholischen Bereich verbreitet. Pius Parsch, zum Beispiel, war ein wichtiger Vertreter der liturgischen Bewegung, gerade für das volksliturgische Apostolat.
Er hat in seinem Liturgiekalender 1927 ganz beiläufig auch den Adventskranz erwähnt. Ein bisschen später schreibt er mit Maria Salomon das Buch "Adventabend. Vorlagen und Winke für Heimabende" und ermuntert darin Kinder, einen Adventskranz zu binden und dann auch in der Kirche segnen zu lassen. Und zwar sowohl für die Kirche als auch für zu Hause. Der Brauch verbreitete sich mehr und mehr. Ab den 1940er Jahren war der Adventskranz auch katholischerseits üblich geworden.
DOMRADIO.DE: Heutzutage ist es ja so, dass in den Kirchen am Adventskranz eine Kerze meistens rosa gehalten ist, wobei das ja liturgisch gar nicht vorgeschrieben ist. Was verbirgt sich dahinter?
Benini: Es gibt in den Kirchen unterschiedliche Bräuche im Bezug auf die Farbe der Kerzen. Die Verwendung einer rosa Kerze können wir sogar historisch genau rekonstruieren, nämlich ist dies 1941 in den USA aufgekommen.
Und das hat wiederum mit Köln zu tun. Die Kölnerin Therese Mueller ist in die USA aufgrund des Nationalsozialismus emigriert. Sie war stark von der liturgischen Bewegung geprägt und war in Volkswirtschaft promoviert. Ihr Mann unterrichtete an der Universität in Köln. Sie waren bekennende Christen und die Nationalsozialisten verboten ihrem Mann die Arbeit an der Uni, sodass sie in die USA auswanderten. 1941 hat Therese Mueller bei der "National Liturgical Week", das ist eine Zusammenkunft aller liturgisch Bewegten in den USA gewesen, einen Vortrag über den Adventskranz gehalten und gesagt, dass das eine wunderbare Möglichkeit ist, den Advent auch in der Familie zu begehen.
Dann betonte Pfarrer Martin Hellriegel, der auch aus Deutschland emigriert ist: Wir sollten nicht die roten Kerzen nehmen wie in Deutschland, sondern den liturgischen Farben folgen und damit eben drei violette und eine rosa Kerze wählen, nämlich für den Gaudete-Sonntag, den Sonntag "Freuet euch". In den USA sind deswegen die Adventskränze eigentlich alle so gestaltet, während es bei uns noch eine gewisse Vielfalt an verschiedenen Farben gibt. Zum Beispiel rote Kerzen, die für die Liebe stehen. Es gibt bienenwachsfarbene Kerzen. Bienenwachs ist ja besonders kostbar, deswegen sind die Kerzen dann ein bisschen gelblich oder eben, wie Sie sagen, violett und rosa.
DOMRADIO.DE: Sie haben eben schon ein wichtiges Stichwort genannt, nämlich "Gaudete", lateinisch für "Freut euch!", so heißt der dritte Adventssonntag. Die rosa Kerze ist eine Art aufgehelltes Violett. Aber warum hat der Sonntag diesen besonderen Titel?
Benini: Der dritte Adventssonntag hat den Namen vom Eröffnungsvers in der Messe, bei dem es heißt: "Freut euch im Herrn zu jeder Zeit. Noch einmal sage ich euch: Freut euch, der Herr ist nahe". Das stammt aus dem Philipperbrief.
In der römischen Liturgie hat sich dieser Tag sozusagen Schritt für Schritt in Richtung eines Sonntags der Freude entwickelt. Das hängt ursprünglich möglicherweise mit einer Papstwahl eines römischen Priesters zusammen, der im siebten Jahrhundert zum Papst gewählt worden ist. Das sind aber nur Vermutungen, wie das entstanden ist, und da kommt dieser Freudenaspekt schon mal historisch auf.
Heutzutage ist einfach wichtig: Es ist ein Freudentag, weil wir auf Weihnachten zugehen. Oder wie es der Philipperbrief sagt: "Weil der Herr uns nahe ist." Freude ist auch eine Lebenseinstellung, das hat auch etwas mit dem zu tun, wie ich auf Sachen schaue. Aber vor allem braucht Freude einen Grund. Und der ist diese Nähe, die der Herr uns zusagt – "ich bin bei euch alle Tage" – und die wir an Weihnachten in seiner Menschwerdung feiern.
DOMRADIO.DE: Jetzt gibt es das neue Gotteslob schon seit immerhin zehn Jahren. Interessant ist, dass es dort ab der Gotteslob-Nummer 24 Gebete für die Segnung des Adventskranzes zu Hause gibt. Wie können denn gerade Familien mit dem Adventskranz die vier Wochen vor Weihnachten sich etwas bewusster machen?
Benini: Ich fange da mal persönlich an! Ich kann mich noch erinnern, wie wir in der Familie tatsächlich am Adventskranz das Abendgebet gebetet haben. Und um so einen Einstieg in den Advent zu machen, hat das Gotteslob eben dieses Gebet zur Segnung des Adventskranzes in der Familie zu Beginn der Adventszeit aufgenommen.
Und ich glaube, es ist einfach etwas Schönes, die Kerzen anzuzünden, das elektrische Licht auszumachen und den Adventskranz nicht einfach nur als Dekoration zu sehen, sondern als Erinnerung, dass Jesus auf uns zu kommt. Dazu können die Familien etwas aus der Heiligen Schrift oder der Kinderbibel lesen, etwa beim Evangelisten Lukas die Kindheitsgeschichte Jesu oder auch Adventslieder singen. Dazu kann ich nur ermutigen. Auf der Adventszeit liegt ein Segen und darum ist es schön, sie auch zu Hause zu nutzen mit einer kleinen Feier am Adventskranz.
Das Interview führte Mathias Peter.