DOMRADIO.DE: Sie haben die Entstehung des Gebäudes beobachtet und es auch schon einmal genutzt. Wie ist denn Ihr Eindruck von der neuen Vatikanpost?

Dr. Martin Raspe (Kunsthistoriker und Experte für Renaissance und Barockarchitektur an der Bibliotheca Hertziana in Rom, Italien): Sie ist meiner Ansicht nach eine große Verbesserung gegenüber dem "Bauwagen" oder "Bus", der vorher dort stand. Es gab an gleicher Stelle eine fahrbare Postverkaufsstelle, die man nur über einer steile Treppe erreichen konnte. Sie war nicht barrierefrei und stand im Sommer in der prallen Sonne. Kunden und Personal haben gelitten. Von der Schönheit ganz zu schweigen.
Vor der Bus-Ära gab es ein kleines Postamt nördlich der Kolonnaden, das den Petersplatz überhaupt nicht beeinträchtigte. Für mich war das die beste Lösung.
Nun ist der Bus durch einen schicken, begehbaren Kiosk ersetzt. Man hört zwar oft, der neue Pavillon sei in kürzester Zeit auf- und abschlagbar, aber ganz glaube ich das nicht: Immerhin hat es anderthalb Monate gebraucht, um ihn aufzubauen. Außen ist er ganz schwarz, mit Fenstern aus bläulich spiegelndem Glas, im Grundriss sechzehneckig, mit einem pilzartig vorkragenden Dach, fast wie ein Prälatenhut.
Auf den ersten Blick irritiert der Pavillon, weil er in jeder Hinsicht ein Fremdkörper ist. Wenn man aber hineingeht, wirkt er sehr angenehm. Der Bau ist luftig und leicht, innen hat man viel Platz, die Einrichtung ist aus hellem Holz, die Atmosphäre freundlich. Es gibt nicht nur Schalter, sondern auch Tische und Informationsstände. Eine große Verbesserung, die mich eigentlich überzeugt hat.

DOMRADIO.DE: Gibt es eine Planung, wie es nach Ende des Heiligen Jahres mit der Post auf dem Petersplatz weitergehen soll? Soll sie dauerhaft stehen bleiben oder wird sie wieder abgebaut?
Raspe: Dazu kann ich leider nichts Konkretes sagen, mit den Planungen des Vatikans bin ich nicht vertraut. Ich könnte mir denken, dass man nach anderen Lösungen suchen wird, denn die neue Situation hat ja schon Kritik hervorgerufen. Der Petersplatz ist natürlich ein empfindliches Ensemble.
Vor einigen Jahren wurde bereits nur wenige Meter weiter die Bronzeplastik "Angels Unawares" von Timothy Schmalz platziert. Sie zeigt Dutzende von Flüchtlingen unterschiedlicher Altersstufen und Herkünfte, die sich unter dem Schutz von Engelsflügeln auf einem Boot drängen. Auch dieses Werk ist durchaus umstritten. Inhaltlich ist es natürlich respektabel, aber zum Platzraum hat es keine organische Beziehung.
Man bekommt langsam das Gefühl, die Südhälfte des Petersplatzes wird nach und nach zugestellt. Spöttisch könnte man sagen, das geht in Richtung Weihnachtsmarkt, wenn es so weitergeht.
DOMRADIO.DE: Petersdom und Petersplatz bilden ein geschlossenes Ensemble, obwohl sie erst im Laufe der Jahrhunderte entstanden sind. Wie sehr verträgt diese Anlage moderne Zutaten von heute? Sollte man es lieber ganz lassen oder wäre die ein oder andere Nuance möglich?
Raspe: Der Petersplatz hat zwei Funktionen: Zum einen den ästhetischen, künstlerischen, historischen Aspekt, zum anderen seine praktische Aufgabe. Zu dieser gehört ja nicht, dass dort Fahrzeuge, Hütten und andere Gegenstände abgestellt werden, sondern dass Menschen sich hier versammeln sollen. Die Besucher sollen sich zur Basilika bewegen und dabei den Platzraum füllen.
Die Kolonnaden sind so angelegt, dass sie als Fortsetzung des Petersdoms die ausgebreiteten Arme des Petrus darstellen, der die Pilger empfängt. Das riesige Oval ist ein Bild der ganzen Welt, aus der die Menschen zusammenströmen. Wenn man diesen Raum verstellt, dann gehen der großzügige Eindruck und die Freiheit, die der Platz atmet, verloren.
Wenn wir von der ästhetischen Seite ausgehen, dann muss man sagen, dass der Petersplatz leidet. Überdimensionierte digitale Displays übertragen die Liturgie nach außen. Sie leuchten auch, wenn nichts übertragen wird: Dann werden Ausstellungen beworben und ähnliches. Diese Videoleinwände stören Berninis Architektur empfindlich. Ähnliches gilt für das große Stahldach vor der Basilika, unter dem im Freien Gottesdienste gehalten werden. Auch dieser Anblick ist keine künstlerischer Glanzleistung.
Zwischen die Kolonnadensäulen sind die Geräte für die Sicherheitskontrollen zum Besuch des Petersdoms eingezwängt, wie am Flughafen. Extrem unangemessen. Die hätte man sicherlich diskreter installieren können. Überhaupt hat man das Gefühl, mit den Kolonnaden als Bauwerk weiß man nichts Rechtes mehr anzufangen. Insgesamt wird die architektonische Umrahmung des Platzes von allen Seiten her beeinträchtigt.
DOMRADIO.DE: Gibt es im Umfeld des Petersplatzes moderne Zutaten, die zwar für Aufsehen gesorgt, aber die sich etabliert haben und wo sie sagen, da hat die moderne Zeit was richtig Gutes hinzugefügt?
Raspe: Es ist schwierig, Bernini – einem der größten Künstler aller Zeiten – und seinem Werk etwas entgegenzusetzen. Das verhält sich ähnlich wie der Palast der Republik zum Berliner Schloss. Auch er konnte mit dem historischen Bau architektonisch nicht mithalten. Am Rand des Vatikans gibt es zum Beispiel die große Audienzhalle von Pier Luigi Nervi, die sich aber dezent im Hintergrund hält und vom Petersplatz aus gar nicht zu sehen ist. Architektonisch würde ich sie als gelungen bezeichnen.
Der gravierendste Eingriff war der Anschluss des Petersplatzes an die Innenstadt in den 1930er Jahren unter Mussolini, in der Folge der Lateranverträge. Die Via della Conciliazione, eine monumentale Aufmarschstraße vom Tiber bis nach Sankt Peter, wurde durchgebrochen, indem der Borgo, das mittelalterliche Viertel dazwischen, abgerissen wurde. Früher ging man durch die engen Gassen des Borgo und erlebte eine Offenbarung von Weite und Größe, wenn man hinaustrat.

Heute mündet der faschistische Prospekt in einen monumentalen Vorplatz, fast so groß wie der halbe Petersplatz selbst. Dessen gesichtslose Bebauung überragt die Kolonnaden um einiges. Die von Bernini sorgfältig austarierten Proportionen werden brutal gesprengt. Was die jüngere Vergangenheit dem Petersplatz angetan hat, war also eher schädlich.
In diesem Zusammenhang ist der neue Pavillon übrigens interessant. Mit seiner schwarzen Außenseite setzt er sich radikal gegen allen anderen Bauwerke Roms ab. Dieses eigentümliche Schwarz gewinnt an Bedeutung, wenn man an den schwarzen Habit des Don Orione denkt. Angehörige seiner Bewegung "Piccola Opera della Divina Providenza” haben seit 1940 die Leitung der Vatikanischen Post und Philatelie inne, wie auch Don Felice Bruno, der den Pavillon eröffnet hat.
In einer Vitrine wird an Don Orione erinnert, der damals, im Vorfeld der Lateranverträge, zwischen Papst Pius XII. und Mussolini vermittelt hat. Eine ähnliche Position an der Grenze zwischen Faschismus und Papsttum scheint auch der neue Postbau einzunehmen. Aber ob das etwas "richtig Gutes” ist?
DOMRADIO.DE: Die Päpste waren zu früheren Zeiten wichtige Kunstmäzene. Sie haben Rom zu dem gemacht, was es heute ist. Was ist davon noch übrig? Wie spricht der Vatikan auf Kunst an? Was ist Ihre Beobachtung? Welches Auge hat der Kirchenstaat auf Kunst?
Raspe: Das Verhältnis der Kirche zur modernen Kunst ist seit einigen Jahrzehnten kritisch. Viele heutige Künstler arbeiten nicht gern für die Kirche. Andere tun es, aber dann können sie nicht abstrakt arbeiten, sondern müssen Bildthemen verwenden, die für sie nicht mehr gültig sind. Deshalb ist die Abteilung für moderne Kunst in den Vatikanischen Museen diejenige, in die ich am wenigsten gerne gehe. Die künstlerische Qualität kann mit den Werken der Vergangenheit meist nicht Schritt halten.
Ich habe gehört, dass der neue Präfekt der Bauhütte des Petersdoms, Kardinal Mauro Gambetti, ein kunstverständiger Mensch sein soll. Er hat das Heilige Jahr durch kluge und sehr gelobte Restaurierungen vorbereitet. Berninis Baldachin in der Vierung von St. Peter erstrahlt heute in neuem Glanz. Auch der Altar der Cathedra Petri in der Hauptapsis – ich habe ihn noch nicht gesehen – soll gut restauriert worden sein.
Das wäre die Richtung, die ich dem Vatikan empfehlen würde: Das Erbe der Vergangenheit erhalten und wieder fruchtbar zu machen. Nicht nur im Hinblick auf finanzielle Einkünfte, sondern auch im ästhetischen, im kulturellen und im spirituellen Sinn.
Das Interview führte Jan Hendrik Stens.