Von einem religiösen Modell zu einer Metapher für Unerträgliches

Das ist die Hölle!

Keiner will hin. Aber fast jeder hat schon eine oder einen, vielleicht auch mehrere, dahin gewünscht: zur Hölle mit ihm! Und seit jeher wollen alle Menschen eine Beschreibung jenes unbeschreiblichen Ortes.

 (DR)

Wir wollen wissen, wie es um die Hölle steht, einem Ort oder Zustand, von dem aus die Rückkehr unmöglich ist. Bekanntlich steht über der von Dante beschrieben Hölle der Satz: "Lasciate ogne speranza, voi ch’intrate – Lasst, die ihr hineingeht, alle Hoffnung fahren!"

Ewiger Ort der Toten

Von einem grauenvollen Ort ohne Wiederkehr zu berichten, also das Unmögliche möglich zu machen, ist sensationell und spannend. Religion und Literatur bieten vielfältige Höllenbesuche an. Das, was die Literaten beschreiben, deutet wohl weniger die Hölle, als die Literaten selber.

Die Hölle ist ein vielschichtiges und differenziertes religiöses Modell, ein ewiger Ort der Toten, in unterschiedlicher Form in den einzelnen Religionen ausgestaltet: vom Schattenreich, das den Bewohner zum Warten auf ein unabsehbares Ende zwingt, bis hin zu einem glutheißen Inferno, in dem die teuflischen Spießgesellen mit größtem Wohlgefallen alle Varianten des Schmerzes zuzubereiten in der Lage sind – ein peinlicher Ort in des Wortes ursprünglichster Bedeutung.

Trotz allem ist die Hölle aber auch ein Ort der Gerechtigkeit. In ihr wird abgebüßt, was in der Welt angerichtet oder unterlassen wurde. Das Perfide besteht darin, dass ausgerechnet der teuflische Verführer die von ihm Verführten bestraft.

Zugestanden – die Höllenberichte im Katholizismus drohen zu verblassen. Meine letzte Predigt über die Hölle habe ich vor 60 Jahren als Kind gehört.

Um die Hölle ist es still geworden

Auch Katholiken lachen heute über den Witz, der die Hölle als jenseitiges Grandhotel schildert, in dessen Garten an entlegener Stelle ein Stall steht, aus dem das Geheule Schmerzgeplagter zu vernehmen ist.  Auf die Frage des Höllenbesuchers, was das denn sei, antwortet der teuflische Hoteldirektor, das sei die Hölle der Katholiken, die das ja so wollten. Und alle lachen darüber – manche etwas verkniffen.

Um die Hölle ist es im Christentum still geworden. Nur im Vatikan ist stets ein Teufel aktiv. In jedem Selig- und Heiligsprechungsverfahren wird – zumindest inoffiziell – der Anwalt, der die Gegenargumente zu dem gerade behandelten Kandidaten sammelt, "advocatus diaboli" genannt.

Ansonsten stimmt vielleicht ja doch, was der eine oder andere Theologe gelegentlich murmelt: Der Gipfel der satanischen Kunst sei, Teufel und Hölle hinter dem Nichtgesagten und Unausgesprochenen verschwinden zu lassen. Was nicht benannt werden kann, ist nicht nur unsagbar sondern auch inexistent.

Sind Teufel und Hölle als religiöse Modelle auf dem religiösen Krabbeltisch gelandet?

Die Hölle sind jetzt die anderen

In früheren Jahrhunderten hatten die Welt und die Hölle nur eins gemeinsam - eine unüberschreitbare Grenze. Das war gestern. Schon seit einiger Zeit scheint die Hölle säkularisiert zu sein, das Jenseits ist in die Gegenwart transferiert worden: Die Hölle sind jetzt die anderen. Spätestens seit Jean-Paul Sartres existentialistischer Interpretation der Hölle steht fest: Die Menschen selbst machen sich ihr eigenes Leben und das von anderen zur Hölle.

Das religiöse Modell ausgleichender jenseitiger Gerechtigkeit ist zur Metapher verkommen. Wir machen uns jetzt selber die Hölle auf Erden. Wir beschreiben damit apokalyptisch empfundene Zustände und Seinsweisen, das, was quält, entsetzt, als unheilvoll gedeutet, eben das, was als unerträglich gespürt wird.

Die Spannbreite unserer Höllen reichen von brodelnden oder erkalteten zwischenmenschlichen Beziehungen bis zu den Höllen der Sucht, den Höllen der Kriege und der Gewalt, den Höllen des Mobbings und des Hasses in den Netzwerken bis hin zu den Höllen der Verteufelung von Rassen, Religionen und Andersartigen. Und diese Höllen sind nicht chaotisch und anarchisch wie das Original. Sie gehorchen Regeln, Ritualen, Zwängen und Wiederholungen.

Löst sich die Hölle auf?

Eine Folge der Säkularisierung der Höllenvorstellungen könnte sei, dass sich die religiöse Hölle auflöst, als Modell nicht mehr greift, weil es als überholt gilt. Beim zur Sprache bringen der Hölle muss ja die Höllenangst nicht Ziel der Sache sein. Aber der jenseitige Umgang mit der ausgleichenden Gerechtigkeit sollte im Diesseits schon von Interesse sein.

Nicht jeder kann an dem diesjährigen Philosophicum in Lech am Arlberg teilnehmen, wo Philosophen, Kultur- und Sozialwissenschaftler und andere über das Phänomen Hölle und ihre religiösen und weltlichen Dimensionen referieren und diskutieren. Ihnen bleibt nur die Hölle des Wartens; im nächsten Jahr liegen die Referate in Buchform vor.

Prof. Dr. Manfred Becker-Huberti


Prof. Dr. Manfred Becker-Huberti / © privat (DR)
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Quelle:
DR
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