DOMRADIO.DE: Die nordischen Bischöfe äußern offene Kritik. Hat Sie der Brief überrascht?
Msgr. Georg Austen (Generalsekretär des Bonifatiuswerks der deutschen Katholiken): Der Brief als offener Brief, muss ich gestehen, hat mich überrascht und ebenso irritiert wie auch den Adressaten, den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Bätzing, der ja gestern zum Abschluss der Vollversammlung ebenfalls zum Ausdruck gebracht hat, dass es ihn irritiert hat. Aber er wird den Brief selbstverständlich beantworten.
Ich kann nur von mir aus sagen: Selbstverständlich steht es den Bischöfen der Nordischen Bischofskonferenz frei, als Beobachter auch Meinungen und Sorgen zu äußern, die man auch ernst nimmt. Wir als Bonifatiuswerk begrüßen nach wie vor den Synodalen Weg und die Themen und Inhalte sowie die notwendigen Reformen, die dort derzeit diskutiert werden. Der Synodale Weg soll ja gerade zu einer Vergewisserung unserer Glaubensinhalte beitragen.
Aber die Themen und Inhalte bedeuten auch eine Herausforderung und können zu einer Zerreißprobe führen. Davor sollten wir aber keine Angst haben. Denn wenn wir in die Kirchengeschichte schauen, hat es immer ein Ringen gegeben, wie das Evangelium Jesu Christi in Offenbarung und Tradition gelebt und verkündet werden kann. Und in diesem Prozess sind wir jetzt mittendrin.
DOMRADIO.DE: Die nordischen Bischöfe warnen vor einer Kirchenspaltung. Das wäre nicht die erste Spaltung unter Christen. Befürchten Sie so etwas auch?
Austen: Ich würde nicht immer sofort das Damoklesschwert einer Kirchenspaltung hervorholen. Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass wir eine Weltkirche mit sehr vielen Nationalitäten, Kulturen und Lebensweisen sind. Das ist eben die Spannung, in der wir immer gelebt haben und leben und auch das Ringen darum, die Einheit in der Vielfalt zu bewahren – sei es in Deutschland, aber auch darüber hinaus.
Mein Wunsch wäre, dass die notwendigen Schritte, die uns derzeit in großem Maße beschäftigen wie etwa die Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs in der Kirche und die weiterhin erforderlichen Reformen, dass wir das durch gegenseitigen Respekt, Mut und Zuversicht tragen.
Aber über den Tellerrand zu schauen, ist ebenso wichtig und sich dabei gegenseitig mit allen Sorgen und Fragen wahrzunehmen, das erleben wir als Bonifatiuswerk gerade auch mit Blick auf unsere wertschätzende Beziehung mit der Kirche im Norden Europas. Das ist auch für uns eine große Bereicherung. Ich muss aber auch sagen, dass es keine Einbahnstraße ist, sondern das, was wir derzeit erleben, ist ein gegenseitiger Dialog und auch ein Lernprozess.
DOMRADIO.DE: Ein Vorwurf in dem offenen Brief der nordischen Bischöfe lautet, der Synodale Weg würde dem Zeitgeist nachgehen. Versucht dieser Synodale Weg aber nicht, die Realität der Katholikinnen und Katholiken wahrzunehmen und sich daran zu orientieren?
Austen: Ich würde auch unabhängig vom Synodalen Weg sagen, dass wir nicht dem Zeitgeist nachgehen, sondern dass unser Wirken, die Verkündigung des Evangeliums und das Handeln aus dem Evangelium immer auch zeitgerecht sein müssen. Wir sollten die Lebens- und Glaubensfragen der Menschen, so ist es uns auch aufgetragen aus dem Zweiten Vatikanum, als Zeichen der Zeit deuten und wahrnehmen.
Darüber hinaus ist es mir sehr wichtig zu fragen, wie wir heute aus dem Geist Jesu diese Welt gestalten können. Und es geht auch darum, dass unsere Kirche einladend und vertrauenswürdig für die Menschen aller Generationen ist. Wir als Bonifatiuswerk nehmen wahr, dass die Anliegen und Themen, die beim Synodalen Weg diskutiert werden, notwendig in der Gegenwart, aber auch notwendig für die Zukunft unserer Kirche sind. Nicht zuletzt ist ja all das, was geschieht, auch ein geistlicher Erneuerungs- und Umkehrprozess in unserer Kirche.
Und auch Papst Franziskus wünscht sich in dem von ihm eingesetzten weltweiten synodalen Prozess eine Partizipation aller Gläubigen. Und da muss man sehen, was in den Ortskirchen passiert, was aber auch in die Weltkirche eingespeist werden muss und wie wir da mit Gottvertrauen den richtigen Weg im Ringen miteinander finden können.
DOMRADIO.DE: Wo kommt die mutmaßlich deutlich konservativere Ausrichtung der nordischen Bischöfe her? Sind da die Gläubigen anders? Oder sind die Bischöfe die, die sich jetzt trauen, den Mund aufzumachen? Was glauben Sie?
Austen: Ich würde das nicht so titulieren, wie Sie das gerade getan haben. In Deutschland ist das Verbands- und Rätesystem wesentlich ausgeprägter als in den Ländern Skandinaviens. Hinzu kommt, wenn sie in diese zahlenmäßig kleine Diasporakirche hineinschauen, die wachsend ist: Es ist eher eine Migrantenkirche, in der Menschen aus vielen Nationen, teilweise 100 Nationen, zusammenkommen, um eine neue Heimat in der Kirche zu finden. In dieser Buntheit und Vielfältigkeit – auch der Sprachprobleme – muss man seinen eigenen Weg in der Einheit finden.
Ich erlebe, dass gerade dort für die Gläubigen der Gottesdienst sowie der Empfang der Sakramente inklusiv des Kichenkaffees als “achtes Sakrament” sehr wesentlich und verbindend sind. Dort sieht man eben auch, wie wir in all diesem bunten Spannungsfeld unseren gemeinsamen Weg als katholische Kirche allumfassend verstanden finden.
Das Interview führte Oliver Kelch.