DOMRADIO.DE: Ihre Organisation beschäftigt viele humanitäre Helfer in aller Welt. Sie sind seit 18 Jahren Leiter der Hilfsorganisation. In der Zeit müssen Sie immer wieder um Ihre Mitarbeiter zittern. Wie ist das für Sie?
Oliver Müller (Leiter von Caritas International): Das ist schon eine Sorge, die in den letzten Jahren zugenommen hat. Denn wir haben feststellen müssen, dass sich die Zahl der getöteten, verletzten oder entführten humanitären Helferinnen und Helfer in den letzten Jahren erhöht hat.
Wir nehmen wahr, dass das humanitäre Völkerrecht immer weniger geachtet wird und dass das Helfen in den Krisenregionen dieser Welt schlichtweg gefährlicher wird.
DOMRADIO.DE: Im vergangenen Jahr starben 280 Menschen im Einsatz für andere, weitere 224 wurden verletzt, 91 entführt. Bei welchen Situationen mussten Sie sich um Ihre Helferinnen und Helfer sorgen?
Müller: Der gefährlichste und man muss leider auch sagen tödlichste Ort für Helferinnen und Helfer ist momentan Gaza. Dort sind auch drei lokale Mitarbeitende der Caritas ums Leben gekommen. Dort gibt es den Tod und die Verletzung vieler Helferinnen und Helfer zu beklagen.
Aber ich denke auch an andere Situationen, vor allem dort, wo informelle Rebellengruppen gegeneinander kämpfen, zum Beispiel im Ostkongo oder auch im Südsudan. Das sind unüberschaubare Situationen. Da sind vor allem die lokalen Helferinnen und Helfer gefährdet. Die haben wir hier oftmals gar nicht so im Blick. Man denkt an den westlichen Helfer, aber es sind vor allem die lokalen, die gefährdet sind und die große Risiken eingehen.
DOMRADIO.DE: Wie gehen Sie denn mit Mitarbeitern um, die im Auslandseinsatz angegriffen, verletzt oder entführt werden und dann zurück nach Deutschland kommen?
Müller: Gott sei Dank ist das in den letzten Jahren im Bezug auf die Mitarbeiter von Caritas International praktisch nicht passiert. Wir versuchen dem Ganzen schon präventiv zu begegnen. Alle unsere Mitarbeitenden, die in ein Krisenland reisen, absolvieren vorher Sicherheitstrainings und wenn es um wirklich schwere Krisenländer geht, auch ein Sicherheitstraining, bei dem Situationen wie Entführungen oder Angriffe direkt geübt und eingeübt werden.
Wir haben ein umfangreiches Sicherheitssystem, in dem wir jederzeit wissen, wo unsere Mitarbeitenden sind und versuchen, zusammen mit den lokalen Partnern vor Ort ein möglichst hohes Niveau an Sicherheit herzustellen. Aber hundertprozentige Sicherheit gibt es in Krisenländern nie.
Aber selbst wenn etwas passieren würde, dann haben wir entsprechende Einrichtungen und Versicherungen, um Menschen auch schnell zu evakuieren.
DOMRADIO.DE: Was können Sie für einheimische Helferinnen und Helfer tun? In Erinnerung ist zum Beispiel die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan 2021, als westliche Helfer das Land verlassen mussten und viele einheimische Ortskräfte zurückgelassen wurden.
Müller: Die einheimischen Kräfte sind eigentlich die, die das Hauptrisiko tragen. Afghanistan ist ein ganz besonderer Fall. Dort war es gelungen, dass alle Caritas-Mitarbeiter, die in unserem Büro in Kabul beschäftigt waren, eine Aufnahmezusage der Bundesrepublik bekamen.
Die haben auch fast alle Mitarbeiter in Anspruch genommen. Sie konnten dann mit ihren Familien nach Deutschland ausreisen. Das ist in dem Fall sehr, sehr gut gelaufen, das ist aber insgesamt die Ausnahme.
Die Realität ist wie zum Beispiel in Mali, dass es nur lokale Mitarbeitende sind, die überhaupt in bestimmte Krisenregionen vordringen. Dort traut sich keine ausländische Hilfskraft mehr hin. Wenn es dort zu Entführungen kommt, was immer mal wieder passiert, dann bedarf es der Verhandlungen vor Ort. Und da sind die Hilfsorganisationen weitgehend auf sich alleine gestellt.
DOMRADIO.DE: Wie läuft das ab, wenn Helferinnen und Helfer in bedrohliche Situationen geraten, wann hilft zum Beispiel auch die Bundesregierung?
Müller: Die Bundesregierung hilft, wenn deutsche Staatsbürger davon betroffen sind. Aber das ist bei den lokalen Kräften so nicht der Fall. Das heißt, da sind wir als Hilfsorganisation erst mal gefragt.
Gott sei Dank befinden wir uns als Teil der Caritas mit einem weltweiten Netzwerk in einem guten Umfeld, in dem es viel Erfahrung gibt. Es sind oftmals die lokalen Partner, ich denke jetzt an die Caritas im Kongo, die sehr erfahren ist und die es dann Gott sei Dank in verschiedenen Entführungsfällen gut geschafft hat, ihre Mitarbeitenden wieder herauszuholen.
Aber dazu muss man sich vor Ort gut auskennen, dazu muss man einen guten Kontakt zu den Autoritäten vor Ort haben, man muss informelle Verbindungen geknüpft haben. Dann kann das gelingen.
DOMRADIO.DE: Welche Unterstützung wünschen Sie sich noch? Wo sagen Sie, könnte man den Hilfsorganisationen dann doch noch ganz entscheidend unter die Arme greifen?
Müller: Es muss schlichtweg das humanitäre Völkerrecht von allen Kombattanten, die es gibt, stärker respektiert werden. Es ist absolut nicht hinzunehmen, dass jetzt in Gaza so viele Helferinnen und Helfer ums Leben kamen, humanitäre Konvois und Flüchtlingsunterkünfte beschossen wurden. Das ist völlig inakzeptabel.
Die gestiegene Gefahr für humanitäre Helfer hat natürlich letztlich auch damit zu tun, dass der Bedarf an humanitärer Hilfe weltweit viel größer geworden ist. 300 Millionen Menschen sind auf Hilfe angewiesen. Das heißt, Hilfsorganisationen wie Caritas International und andere sind an viel mehr Orten, an viel mehr Hotspots beteiligt. Das führt natürlich dann auch zu erhöhten Risiken.
Das Interview führte Carsten Döpp.