DOMRADIO.DE: Schauen wir auf den Katastrophensommer 2021 in NRW und Rheinland Pfalz. Wie ist Ihre Hilfe unter dem Strich gelaufen?
Oliver Müller (Leiter von Caritas International): Bei der Flut können wir vorläufig eine positive Bilanz ziehen. Da muss man allerdings genauer hinschauen. Wir konnten sehr viele Soforthilfen ausgeben und über die Caritasverbände in den fünf betroffenen Diözesen auch sehr schnell helfen. Insgesamt bleiben bei der Fluthilfe aber noch viele Fragen offen, weil Spenden nachrangig zu öffentlichen Hilfen eingesetzt werden müssen. Da hakt es momentan. Insofern wissen wir auch, dass manche Flutopfer jetzt unzufrieden sind, weil die Hilfe nicht ausgegeben werden kann. Da sind uns schlichtweg die Hände gebunden. Ich hoffe allerdings, dass sich dieser Knoten bald auflöst und wir dann auch die weiteren Mittel, die längst bereitstehen, den Flutopfern direkt überweisen können.
DOMRADIO.DE: Ansonsten hatte im vergangenen Jahr die Pandemie die Welt fest im Griff. Inwieweit hat Corona viele lokale Probleme noch verschärft?
Müller: Es ist hauptsächlich die Einschränkung der Lieferketten, die oftmals zu Preissteigerungen geführt hat – Preissteigerungen, die wir in Deutschland gespürt haben, aber doch in vielen Fällen leicht wegstecken konnten. Aber wenn man ohnehin schon mit dem Rücken zur Wand steht und wenig mehr am Tag verdient, als man für Lebensmittel ausgeben muss, dann ist eine Preissteigerung von zehn oder zwanzig Prozent schon sehr hart. Das haben wir letztes Jahr beobachten können. Deshalb sind die Preise und damit leider auch der Hunger bereits vor Ausbruch des Ukraine-Krieges in die Höhe geschnellt. Weitere Treiber waren weltweite Konflikte und natürlich auch der Klimawandel, der sich sehr, sehr stark auswirkt.
DOMRADIO.DE: Die Folgen des Ukraine-Kriegs gehen weit über Europa hinaus. Die Ernährungssicherheit ist ein Riesenproblem. Welche Strategie verfolgen Sie da?
Müller: Wir haben es mit einer Hungerkrise zu tun, wie wir sie in den letzten Jahrzehnten nicht erlebt haben. Die Strategie muss jetzt sein, die Hungernden zu versorgen, das heißt Lebensmittel, Lebensmittel, Lebensmittel dorthin zu bringen, einzukaufen und die Menschen damit zu versorgen. Nur stehen momentan die Bedingungen so, dass es in die andere Richtung zeigt: Die Zahl der Hungernden steigt immer weiter, hat sogar einen Rekordwert von 811 Millionen Menschen erreicht. Und das, obwohl es eigentlich in der Welt nicht zu wenig Lebensmittel gibt. Sie müssen besser verteilt werden, sie müssen bezahlbar bleiben und dann können die Menschen auch versorgt werden.
DOMRADIO.DE: Zur Ernährungskrise kommt auch die Energiekrise hinzu. Was kann passieren, wenn diese geballten Probleme auf ohnehin geschwächte Gesellschaften trifft?
Müller: Das kann unter Umständen als Brandbeschleuniger wirken, die Schwierigkeiten, die es gibt, noch zu verstärken. Ich nenne nur mal ein Beispiel: Im Libanon haben sich die Nahrungsmittelpreise innerhalb der letzten zwölf Monate um fast 400 Prozent erhöht. Die Transportkosten haben sich verfünffacht. Das heißt natürlich, dass auch weitere Güter teurer werden, weil der Transport teurer wird etc. Es kann auch durchaus sein – das würde ich nicht ausschließen –, dass es zu Unruhen oder Gewaltausbrüchen in einzelnen Ländern kommt, wenn dem nicht begegnet werden kann.
DOMRADIO.DE: Wie versuchen Sie da vorbeugend Unterstützung zu bieten?
Müller: Es ist notwendig, an verschiedenen Ecken gleichzeitig zu arbeiten. In einer Notsituation wie dieser muss man Nothilfe leisten. Das tun wir als humanitäres Hilfswerk auch. Die Caritas bringt weltweit Lebensmittel zu den Menschen, ermöglicht medizinische Behandlungen. Gleichzeitig muss man auch an den Ursachen weiterarbeiten, etwa kleinbäuerliche Landwirtschaft unterstützen, um Menschen unabhängig von äußeren Lebensmittellieferungen zu machen, sodass sie gar nicht erst in diese Abhängigkeit geraten. Man muss ihnen zu helfen, sich vor Naturkatastrophen zu schützen. Das alles sollte man am besten gleichzeitig tun. Und das versuchen wir in unseren Projekten.
DOMRADIO.DE: Da ist es eine sehr positive Nachricht, dass Sie im vergangenen Jahr einen Spendenrekord verzeichnen konnten.
Müller: Ja, das ist richtig. Das hängt vor allem mit der Flut in Deutschland zusammen, bei der fast 50 Millionen Euro allein für Caritas International zusammenkamen. Das Geld kam und kommt den Flutopfern zugute. Worauf wir sehr stolz sind, ist, dass die Spenderinnen und Spender auch die anderen Weltregionen nicht aus dem Blick verloren haben. Bei vielen Hilfsorganisationen war gegen Ende letzten Jahres eine große Angst da, wie auch bei uns. Werden die Spender jetzt noch mal ihre Hilfe mobilisieren? Oder haben sie ihre Spenden für Deutschland in diesem Jahr eigentlich schon geleistet? Und dann kam es doch noch mal zu einem hohen Spendenaufkommen. Das setzt sich jetzt auch 2022 erst mal fort. Das ist gerade angesichts der Weltverhältnisse etwas sehr, sehr Wichtiges und Gutes.
Das Interview führte Hilde Regeniter.