DOMRADIO.DE: Ein kurzer Blick in die Geschichte: Das besondere katholische Arbeitsrecht ist von konservativen Kirchenjuristen damals mit Blick auf die 68er-Bewegung erarbeitet worden. Wie kam es dann dazu?
Bruno Schrage (Referent für Caritaspastoral und Grundsatzfragen der Caritas Köln): Ich glaube, wir müssen das einfach kurz einordnen. Wir bewegen uns hier ja wirklich auf einem absoluten deutschen Sonderweg. Das ist eine ganz junge Rechtsmaterie. 1983 gibt es die Erklärung der deutschen Bischöfe. Und das Bundesverfassungsgericht reagiert dann auf diese Erklärung der deutschen Bischöfe und sagt: Das müsst ihr schon ein bisschen konkreter machen. 1993 kommt die Grundordnung für den kirchlichen Dienst und da tauchen diese Loyalitätsobliegenheiten plötzlich erst auf. Das ist mal gerade 30 Jahre alt. Das ist jetzt nicht eine Grundfeste katholischer dogmatischer Lehre, sondern das ist sozusagen dem Zeitgeist geschuldet. Und man darf sich das in der Tat so vorstellen. Da sitzen also vornehmlich erst mal Juristen, die sich jetzt Gedanken darüber machen: Wie können wir das denn fassen? Und man hat einen zeitgeschichtlichen Kontext der sexuellen Befreiung der 68er, die sich jetzt so richtig durchsetzen.
Ich erinnere mich noch, damals war Christa Meves sozusagen die Beraterin in Ehefragen. Das gute Katholisch-sein macht sich dann natürlich zeitgeschichtlich an einer gewissen Sexualmoral fest. Heute wissen wir natürlich: Geht überhaupt nicht und ist, so sagt der EuGH, auch total diskriminierend, weil wir Menschen unterschiedlicher sexueller Orientierung ausschließen. Und das ist eigentlich zumindest aus der Sicht der Caritas vollkommen grundlos. Das sind tolle Kolleginnen und Kollegen, die wir erleben, die sich richtig reinhängen, die mit einer hohen fachlichen Professionalität die Nächstenliebe auf die Straße bringen, die richtig gebraucht werden und mit denen wir in einem auch wirklich guten Diskurs darüber sind, was Christlichkeit eigentlich ausmacht.
Man muss sich das vielleicht mal so vorstellen, als hätte Jesus am See Genezareth gesagt: Ich frage jetzt erst mal persönlichkeitstypmäßig ab: Wer hat hier von euch welche Lebenshaltung und Lebensgestaltung? Ihr und ihr, ihr dürft mir jetzt weiter nachfolgen. Die anderen gehen bitte in die andere Richtung. So haben wir gar nicht angefangen. Das konnte man 1983 und 1993, auch nach der Wiedervereinigung, schon nicht mehr machen als noch ausgehende Volkskirche. Aber wir sollten eigentlich selbstbewusster sein und uns überlegen: Was haben wir eigentlich für eine gute Botschaft? Und damit bewerben wir uns bei Menschen, die bei uns mitwirken wollen. Und das ist super. Da sollten wir ansetzen und nicht erstmal Normen hochziehen, die besagen: Du darfst hier mitmachen oder nicht.
DOMRADIO.DE: Sie haben in einem Text geschrieben, dass diese Regeln – dieses konservative, ausgrenzende Arbeitsrecht – nicht dem Selbstverständnis der Caritas entspricht. Wie begründen Sie das?
Schrage: Ich glaube, es widerspricht nicht nur der Caritas, sondern eigentlich der katholischen Kirche selbst. Wir sind doch keine Diskriminierungsorganisation, hoffe ich zumindest. Ich habe diese Botschaft des Jesus von Nazareth immer so verstanden, dass er vorbehaltlos auf jede und jeden zugegangen ist. Er hat den barmherzigen Samariter zu dem Beispiel gemacht, wie man als Christ leben soll. Und ausgerechnet dieser barmherzige Samariter war damals kein rechtgläubiger Jude, sondern er war eigentlich "out of order". Der galt eher als ungläubig.
Wenn Sie in die Caritas Jordanien gucken, dann werden Sie da nicht viele katholische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter finden. Wie denn auch? Der Caritasdirektor von Jordanien sagt: Ich bin froh um jeden, der sich an dieser Idee der Weltgestaltung, die wir als Christen haben, beteiligt. Wir sollten vielleicht eher mal darüber nachdenken, wie viele Menschen auch jetzt außerhalb der Kirche sind, die sich durchaus mit der Idee von Weltgestaltung, von einer Zivilisation der Liebe, also dem christlichen Grundgedanken – wir nennen das theologisch gerne auch Reich Gottes – identifizieren, die Menschen zusammenbringen wollen, die Menschen in ihrem Leben aufhelfen wollen, die sie begleiten wollen, in schwierigen Lebenssituationen zu ihnen stehen, die solidarisch sind, die Gesellschaft verändern wollen, damit sie nachhaltiger wird, ökologischer. Die wollen wir gewinnen. Und das, finde ich, ist urchristlich. Und wenn wir ihnen dann dabei ein Angebot machen können, was das, was sie da tun, mit dieser Vision des Jesus von Nazareth zu tun hat, ist das vollkommen in Ordnung. Aber das ist nicht die Eintrittsbedingung.
DOMRADIO.DE: Also erschwert dieses Arbeitsrecht es auch, überhaupt dann Mitarbeiter für kirchliche Einrichtungen zu finden?
Schrage: Es erschwert das nicht nur, sondern wir brauchen einfach einen Mentalitätswechsel. Als Volkskirche hatte man so die Vorstellung, man muss katholisch getauft und gefirmt sein, um bei uns mitspielen zu dürfen. Wir haben uns dadurch enormer spiritueller Ressourcen beraubt. Denn die Menschen, die noch gar nicht so in diesem System drin sind, stellen manchmal die richtigen Fragen. Wir erleben, dass gerade da, wo existenzielle Nöte auftauchen, gerade die Menschen, die auch schon eine spirituelle Feinfühligkeit haben, die mit Menschen solidarisch sind, die richtigen Fragen stellen, auch an den christlichen Glauben.
Und wir müssen unsere Identität nicht als etwas einmalig Profiliertes sehen, sondern als einen ständigen Entwicklungsprozess. Wenn der Geist Gottes mit uns unterwegs ist, dann ist er wirklich unterwegs und dann verändert sich auch was. Dann brauchen wir Diskussionsformate, eine Diskurskultur. Und wir müssen mit Menschen, die sich für unsere Ideen interessieren, die daran mitwirken wollen, auch in diesen Diskurs gehen und nicht einfach sagen: Wir stellen "fertig katholisch" ein. Das war immer schon zu primitiv für uns als Christen.
DOMRADIO.DE: Wie kann das, was Sie fordern, denn möglichst bald praktisch umgesetzt werden?
Schrage: Ich glaube gar nicht, dass das so eine Forderung ist, sondern dass das schon eine Entwicklung ist. Wir erleben das bei uns, dass wir unterschiedliche Formate entwickeln. Man kann ja auch mal bei anderen Unternehmen gucken, da haben Sie einen großen schwedischen Möbelhersteller, und der Gründer hat ein Testament des Möbelverkäufers mal geschrieben und alle neuen Mitarbeitenden sind eingeladen, sich damit zu befassen. Und dann muss ich mich schon als Mitarbeiter fragen: Will ich mich damit identifizieren? Passt das zu mir? Mache ich das zu meinem Lebensinhalt? Warum machen wir nicht ähnliche Angebote?
Und wir machen es ja schon. Wir machen bei uns ganz erhebliche Anstrengungen im Bereich der Fort- und Weiterbildung. Wir gucken: Welche Werte sind es, die uns tragen? Unsere Leitbilder sind Diskussionsgrundlage, wir fragen in der Professionalität. Was treibt uns da an? Wir wollen immer das Beste für die und den Nächsten. Befragen Sie eine Organisation: Was macht unsere christliche Kultur aus? Unser Konfliktmanagement? Wie gestalten wir eine Fehlerkultur? Wie ist das Miteinander? Wie erleben wir uns als soziale Gemeinschaft in dieser Ideengestaltung? Und da gibt es schon eine Menge an Konzepten und Formaten. Ich bin mir allerdings unsicher, ob unsere Bischöfe das alles schon so wahrgenommen haben, wie weit wir eigentlich schon unserer prägenden Kultur als Christen auch etwas zutrauen.
Das Interview führte Florian Helbig.