DOMRADIO.DE: Lassen Sie uns über die Bedeutung dieser absoluten Herrschaft für die Entscheidungen in der Kirche reden. Was bedeutet diese Macht für den Papst?
Ulrich Nersinger (Vatikanexperte und Buchautor): Ich würde nicht sagen, dass diese Macht für den Papst etwas ist, was er in erster Linie frei und ungehemmt ausüben kann. Es ist für ihn auch eine Verpflichtung, eine Verantwortung, die er durch diese Machtfülle, die er besitzt, ausübt.
DOMRADIO.DE: Woraus besteht denn diese Machtfülle?
Nersinger: Dass er doch in entscheidenden Punkten der Kirchenverwaltung - der Kirchenführung, wenn man es genau nimmt - letzthin das alleinige Verfügungsrecht hat.
Wenn man den "Codex Iuris Canonici", also das Kirchengesetzbuch, zur Hand nimmt, sieht man an vielen Formulierungen, ab dem Kanon 331, was die Macht des Papstes bedeutet.
Das Kirchenrecht spricht davon, dass der Papst kraft seines Amtes in der Kirche über die höchste, volle, unmittelbare und universale ordentliche Gewalt verfügt, die er immer frei ausüben kann.
DOMRADIO.DE: Warum hat sich die katholische Kirche für solch ein Modell entschieden?
Nersinger: Ich denke, das geht auch aus der Religion selber hervor. Wir haben eine Religion, die wie die meisten Religionen hierarchisch geordnet ist. Von daher ist die Machtfülle eigentlich eine logische Folge, die sich entwickelt hat.
DOMRADIO.DE: Gibt es andere Religionen mit solch einem absoluten Herrschermodell?
Nersinger: Das kann man schwer vergleichen. Da müsste man sich jede Religion einzeln genau anschauen. Aber natürlich haben die meisten Religionen einen Anspruch oder auch derjenige, der sie anführt oder sie verkörpert.
DOMRADIO.DE: Bei den Königen wurde die Macht vererbt. Wäre das theoretisch bei einem Papst auch möglich?
Nersinger: Das war die große Befürchtung, die man in der Zeit der Renaissance hatte. Zu Zeiten der Borgia bestand tatsächlich die Überlegung, ob der Papst entscheiden könnte, das Papsttum erblich zu machen. Was die Leute damals und auch heutige Gläubige verblüfft ist, dass es vermutlich theoretisch möglich wäre.
Das Papsttum ist zwar eine göttliche Einsetzung, aber die Art und Weise, wie ein Papst gewählt oder ernannt wird, liegt in der kirchenrechtlichen Verfügung. Die Frage wie ein Papst ins Amt kommt, ist kirchenrechtliche Materie, nicht göttlichen Rechts. Man kann also einen Papst durch ein Gremium wählen lassen, heute durch das Kardinalskollegium. Man kann die Macht des Gremiums einschränken, aber theoretisch kann der Papst auch eine andere Verfügung treffen. Er könnte sein Papstamt erblich machen. Auch wenn ein Papst das wahrscheinlich nie tun würde.
DOMRADIO.DE: Wenn Sie zurückschauen: Gab es einen Papst in all den Jahren, der seine Macht besonders ausgenutzt hat?
Nersinger: Ja, da fällt mir zunächst einmal Bonifatius VIII. ein. Bonifatius VIII. hat sehr auf seinen Machtanspruch gepocht. Er soll gesagt haben: "Ego sum Caesar, ego sum Imperator" - "Ich bin Caesar, ich bin der Kaiser." Das war in einer Situation, in der das Papstamt dem Kaisertum gegenüber stand. Das ist auch das Interessante.
Wir haben mit dem Papst einen in zweifacher Weise absoluten Herrscher: Im rein kirchlichen Bereich, obwohl er diese Macht ja meistens mit dem Bischofskollegium zusammen ausübt, und im staatlichen Bereich als Souverän des Vatikanstaates. Vom Papst gehen alle drei Gewalten im Staat aus: die gesetzgebende, die Gesetzausführende und die rechtsprechende Gewalt. Alle drei gehen allein vom Papst aus.
Jedes Urteil, das im Vatikanstaat gefällt wird, wird im Namen des Papstes gefällt. Der Papst kann völlig frei verfügen, wie er den Vatikanstaat führen möchte. Weltlich ist wirklich ein absoluter Herrscher.
DOMRADIO.DE: Wie geht denn Papst Franziskus mit seiner Macht um? Wie würden Sie das bewerten?
Nersinger: Ja, ich denke, er weiß ganz genau, welche Macht er hat. Er zeigt auch immer wieder, dass er diese Macht in vielen Entscheidungen und Willensbekundungen doch sehr souverän ausübt. Wenn wir auf das Synodale der letzten Wochen oder der letzten Zeit zurückschauen, ist dies - ich wage das mal so zu formulieren - praktisch ein "Gnadenakt" des Papstes. Der Papst gewährt diese Synodalität.
Ulrich Nersinger
"Er zeigt ja auch immer wieder, dass er diese Macht doch sehr souverän ausübt."
Das ist eine schwierige Materie, aber wenn man rein rechtlich darauf schaut, ist das eine Gewährung des Papstes. Der Papst sagt: Wir können das so und so machen. Wir sehen aber auch, dass der Papst sich in der Umsetzung der Synodalität zurückhält.
Er hat zwar gesagt, dass er die Beschlüsse der Synode approbieren kann, aber dies ist bisher nicht in geeigneter Rechtsform. Also rechtlich kann man sich auf nichts berufen.
DOMRADIO.DE: Glauben Sie, dass der Papst bis in alle Ewigkeit dieser absolute Herrscher bleiben wird?
Nersinger: Wenn wir auf die Religion und den Glauben selbst schauen, wird das wohl so sein. Selbst wenn er verzichtet - das ist ein Kuriosum, das er aus seiner Machtfülle heraus verzichten kann. Die Frage bleibt immer eine sehr schwer zu fassende Materie, weil der Papst letztendlich immer derjenige ist, der das Entscheidende verfügt.
Das Interview führte Carsten Döpp.