Generalsekretär von Sant'Egidio begeistert von "Fratelli tutti"

"Diese Enzyklika schenkt uns Hoffnung"

Seit 50 Jahren setzt sich die Gemeinschaft von Sant'Egidio für Frieden, Ökumene oder Menschen mit Behinderungen ein. Für Generalsekretär Zucconi ist "Fratelli tutti" eine wichtige Unterstützung.

Sant’Egidio engagiert sich für sozial Benachteiligte und Flüchtlinge / © Andriy Blokhin (shutterstock)
Sant’Egidio engagiert sich für sozial Benachteiligte und Flüchtlinge / © Andriy Blokhin ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Was ist denn Ihr persönlicher Eindruck von dieser Enzyklika?

Cesare Zucconi (Generalsekretär der Gemeinschaft Sant’Egidio): Ich denke, diese Enzyklika gibt uns eine starke Orientierung in einer verwirrten und schwierigen Zeit, in der wir leben. Ich würde sagen, diese Enzyklika schenkt uns Hoffnung und auch eine Vision der Zukunft. In einer Zeit, die sehr vom Pessimismus und der Resignation geprägt ist. Ich glaube, es gibt ein Gefühl des Fremdseins in der Globalisierung, was auch Angst mit sich bringt und natürlich auch Aggressivität, denn Angst und Aggressivität sind Schwestern. Da antwortet der Papst mit "Fratelli Tutti" und zeigt uns diesen einfachen und wesentlichen Weg vor: die Brüderlichkeit.

DOMRADIO.DE: Ihre Gemeinschaft engagiert sich weltweit für Frieden und lehnt auch die Todesstrafe zum Beispiel strikt ab. Auch Papst Franziskus lehnt in seiner Enzyklika die Todesstrafe ab. Wie wichtig ist sein Appell dafür?

Zucconi: Sehr wichtig, wir müssen daran erinnern, dass Papst Franziskus bereits 2018 diesen Absatz des Katechismus der katholischen Kirche endgültig verändert hat, der in seiner ursprünglichen Fassung die Todesstrafe nicht komplett ausgeschlossen hatte. Er hat somit, glaube ich, eine Veränderung zu Ende gebracht, die bereits von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. in Gang gesetzt worden war. Es heißt eben in dieser veränderten Fassung - und was auch in dieser Enzyklika wieder kommt: Die Todesstrafe ist unzulässig, weil sie gegen die Unantastbarkeit und Würde der Person verstößt und dass sich die Kirche mit Entschiedenheit für deren Abschaffung in der ganzen Welt einsetzt.

Aus der Perspektive von Sant'Egidio: Wir arbeiten seit vielen Jahren gegen die Abschaffung der Todesstrafe. Die Nachrichten der letzten Jahre sind in diesem Sinne im Großen und Ganzen positiver. Es gibt weniger Hinrichtungen, auch wenn es noch immer zu viele sind. Aber 142 Länder haben die Todesstrafe de facto oder de jure abgeschafft. Es bleiben 20 Länder. Wir müssen daran arbeiten, dass auch diese 20 Länder die Todesstrafe abschaffenm, dass Afrika zum Beispiel, das ist ein wichtiges Anliegen von uns, bald ein Kontinent ohne Todesstrafe wird. Da gibt es viel Entwicklung in diesem Sinne.

DOMRADIO.DE: Franziskus fordert echte Menschenwürde für alle, egal ob sie arm oder reich sind, ob gesund oder behindert - und mehr Anstrengungen im Kampf gegen die Armut. Was braucht es denn in Ihren Augen, damit es nicht nur bei Worten bleibt, sondern auch etwas getan wird?

Zucconi: Ich denke, diese Zentralität der Parabel des Gleichnisses des barmherzigen Samariters, ist etwas Wegweisendes, so dass jeder herausgefordert wird. Wir alle erinnern uns an diese starke Botschaft, an diesen 27. März auf einem leeren Petersplatz, in einer der schwierigsten Momente der Pandemie. Der Papst sagte: Wir sitzen im selben Boot, alle, und niemand kann sich alleine retten. Ich glaube, dieses Bewusstsein, dass wir alle im selben Boot sitzen, dass wir alle zur gleichen Familie gehören und dass jeder den anderen braucht.

Ich würde auch sagen, dass jeder zur Veränderung beitragen kann. Die Frage des Krieges ist ja sehr, sehr deutlich in dieser Enzyklika. Wir leben in einer Zeit der Kriege und Resignation vor Kriegen und Konflikten. Aber der Papst sagt uns: Wir können viel tun für den Frieden. Die Friedensstifter sind Männer und Frauen, die von einer brüderlichen Haltung geprägt sind, in allen Situationen des Lebens und hier eben auch die Rolle der Religionen.

Ich erinnere an den Geist von Assisi, dass die Religionen eben nicht für den Krieg oder für Gewalt stehen dürften, sondern die Religionen sollen friedenstiftend sein. Wie in Assisi 1986 gesagt wurde. Mit der Arbeit von Sant'Egidio wird diese Botschaft weiter gebracht und verbreitet, die unbedingt notwendig ist.

DOMRADIO.DE: Das klingt, als ob Sie die Enzyklika von vorne bis hinten gutheißen und sich unterstützt sehen. Richtig?

Zucconi: Ja, ich denke nicht nur wir, das ist eine Unterstützung, glaube ich, für viele Menschen, die nicht resignieren möchten und die sich einsetzen wollen für die Veränderung der Welt. Ich glaube, diese Zentralität, wie Sie sagten, der Schwachen und der Armen, auch im persönlichen Leben, im Leben der Kirche, des halbtoten Menschen, des Gleichnisses des barmherzigen Samariters. Wenn man dort anfängt in der Sorge für die Schwachen, kann sich die ganze Welt verändern. 

Das Interview führte Uta Vorbrodt.


Papst Franziskus unterzeichnet die Enzyklika "Fratelli tutti" am 3. Oktober 2020 / © Romano Siciliani (VN)
Papst Franziskus unterzeichnet die Enzyklika "Fratelli tutti" am 3. Oktober 2020 / © Romano Siciliani ( VN )
Quelle:
DR