Edith Stein ist eine Heilige für alle Lebenslagen

Die Frauenfrage stellt sich nicht erst heute

Heilige scheinen als Glaubensvorbilder unerreichbar und aus einer anderen Zeit zu stammen. Dabei inspirieren sie noch immer. Die Kölner Karmelitin Edith Stein wurde am 9. August 1942 in den Gaskammern von Auschwitz ermordet.

Autor/in:
Kerstin-Marie Berretz OP
Die Kölner Karmelitin Edith Stein wurde am 9. August 1942 in den Gaskammern von Auschwitz ermordet / © Beatrice Tomasetti (DR)
Die Kölner Karmelitin Edith Stein wurde am 9. August 1942 in den Gaskammern von Auschwitz ermordet / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Am 9. August feiert die Kirche den Gedenktag der heiligen Teresia Benedicta a Cruce, besser bekannt als Edith Stein. Sie ist neben Katharina von Siena und Birgitta von Schweden eine der drei Patroninnen Europas. Das ist in mehreren Hinsichten interessant: Denn Edith Stein sagt von sich selber, dass sie bis zu ihrem 21. Lebensjahr Atheistin gewesen sei, obwohl sie in einer gläubigen jüdisch-orthodoxen Familie aufwuchs.

Originale Handschriften der Wissenschaftlerin Edith Stein. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Originale Handschriften der Wissenschaftlerin Edith Stein. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Diese lebte in Breslau und führte einen Holzhandel, den die Mutter nach dem Tod des Vaters weiterführte und so allen Kindern eine solide Ausbildung ermöglichte. Edith studierte Psychologie, Philosophie, Geschichte und Germanistik, um Lehrerin zu werden und der Menschheit dienen zu können. 1916 promovierte sie bei Edmund Husserl in Freiburg, wurde dann jedoch nicht zur Habilitation zugelassen, da sie eine Frau war und die Professoren sich eine Frau auf einem Lehrstuhl offensichtlich nicht vorstellen konnten.

So wurde Edith Stein Lehrerin, unter anderem bei den Dominikanerinnen in Speyer. Ihre Erfahrungen im universitären Zusammenhang mögen sie dazu motiviert haben, immer wieder Vorträge zur Frauenfrage und zum Problem der Mädchenbildung zu halten.

Den großen Fragen nicht ausweichen

Neben der Frauenfrage beschäftigte die Heilige jedoch radikal die Frage nach dem Sinn des Lebens: Was macht den Menschen aus, worin liegt seine Würde? Die Autobiografie der heiligen Teresa von Avila bedeutete dann einen Wendepunkt in ihrem Leben. Hier fand sie Inspiration und mögliche Antworten auf ihre Fragen, so dass sie sich im Jahr 1922 taufen ließ.

Die Auseinandersetzung mit Teresa von Avila brachten Edith Stein auch in Kontakt mit dem Karmel, in den sie schlussendlich im Jahr 1933 eintrat und dort zu Schwester Teresia Benedicta a Cruce wurde. Nach den Novemberpogromen 1938 entschloss sich Sr. Teresia, in die Niederlande, in den Karmel in Echt, überzusiedeln, um den Verfolgungen durch die Nationalsozialisten zu entgehen.

Konzentrationslager Auschwitz / ©  Thomas Lohnes (epd)
Konzentrationslager Auschwitz / © Thomas Lohnes ( epd )

Am 2. August 1942 wurden sie und ihre leibliche Schwester Rosa und 244 weitere zum Katholizismus konvertierte ehemalige Juden - als Vergeltungsmaßnahme gegen den Einsatz der niederländischen Bischöfe für die Juden - von der Gestapo verhaftet und nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Hier starb sie vermutlich am 9. August 1942.

Sich den Fragen des Lebens stellen

Am 11. Oktober 1998 wurde Teresia Benedicta a Cruce von Papst Johannes Paul II. heiliggesprochen, im Folgejahr zur Patronin Europas erhoben. Sie bleibt bis heute eine inspirierende Persönlichkeit: Sie ermutigt dazu, nicht aufzuhören, nach dem Sinn des Lebens zu fragen und sich den großen Fragen des Lebens zu stellen.

Auch heute noch fragen Menschen sich, wozu sie leben oder wie sie ihr Leben gut gestalten können. Edith Stein zeigt, dass es sich lohnt, diesen Fragen nachzugehen. Und dass man manchmal Antworten an Orten findet, an denen man sie nicht erwartet hätte. Als Atheistin rechnete sie ursprünglich wohl kaum damit, dass die Biografie einer Heiligen ihr den Weg weisen könnte.

Porträt von Edith Stein im Jahr 1936 in Breslau (KNA)
Porträt von Edith Stein im Jahr 1936 in Breslau / ( KNA )

Die Patronin Europas zeigt zudem, dass die Frauenfrage sich nicht erst heute stellt - und wie viel Wertvolles verloren gehen kann, wenn nicht alle Menschen, unabhängig von ihrem Geschlechts, gehört werden. Wäre die Heilige nicht als Märtyrerin gestorben, wären ihre Schriften vielleicht nicht posthum veröffentlicht worden.

Einfache Antworten gibt es nicht

Daneben zeigt das Schicksal der Karmelitin mit jüdischen Wurzeln, wie wichtig es heute ist, wachsam zu sein und keinen falschenVersprechungen zu folgen. Gestern wie heute gilt: Nicht ein Volk, eine Religion, eine Gruppe von Menschen ist schuldig an den komplizierten Situationen, in denen wir leben. Es gibt nicht den einen Sündenbock und nicht die eine Antwort auf die Frage, wie wir den Herausforderungen des Lebens begegnen können.

Das Leben und die Geschichte Edith Steins zeigen vielmehr, dass der Versuch, einfache Antworten zu finden und Sündenböcke zuidentifizieren, ganz Europa in den Abgrund gerissen hat. So gilt es heute, wachsam zu sein und sich, wie Edith Stein, immer wieder den herausfordernden Fragen des Lebens zu stellen. In der Hoffnung darauf, dass Antworten zu finden sind.

Quelle:
KNA