Gemeindeabend zu schwerstem Missbrauchsfall im Dresdner Bistum

Ein Anfang

Wie kann eine öffentliche Aufarbeitung von Missbrauchsfällen in katholischen Pfarrgemeinden in Gang gebracht werden und gelingen? Im sächsischen Heidenau startete dazu jetzt ein Pilotprojekt.

Symbolbild Missbrauch / © Harald Oppitz (KNA)
Symbolbild Missbrauch / © Harald Oppitz ( KNA )

"Ich bitte als Vertreter der Institution, als Bischof um Entschuldigung, was Ihnen und anderen hier und in unserem Bistum geschehen ist. Ich bitte um Entschuldigung."

Bischof Heinrich Timmerevers sieht Christina Meinel fest in die Augen, während er diese Worte sagt. Das ist wichtig. Das hat er gelernt an diesem Donnerstagabend während der zweistündigen Gemeindeversammlung in der Gymnasiumsaula von Heidenau, in der es um den wohl schwersten Fall von sexuellem Missbrauch durch einen Geistlichen im Bistum Dresden-Meißen geht.

Der Täter: Pfarrer Herbert Jungnitsch (1898-1971).

"Schwerste sexuelle Gewalt"

In der sächsischen Pfarrei hat der als charismatisch beschriebene Mann in den 1960er Jahren mindestens vier Mädchen im Alter zwischen vier und acht Jahren sexuell missbraucht. Der Bistums-Justiziar, Stephan von Spieß, spricht bei der Vorstellung des Falls von "schwerster sexueller Gewalt, auch in Verbindung mit rituellem Kontext". Zudem seien mehrere Männer als Mittäter benannt worden, teils deren Ehefrauen als Mitwisserinnen. Das Bistum habe keinen Zweifel an den Aussagen der betroffenen vier Frauen.

"Onkel Pfarrer"

Eine von ihnen ist Christina Meinel. Sie gibt an diesem Abend Einblicke, was der Missbrauch mit ihr und ihrer Familie gemacht hat.

Ruhig schildert sie, wie sie "Onkel Pfarrer" verehrt hat, wie sie später ein nach außen hin "normales" Familienleben führte, verheiratet, drei Kinder. Doch in ihr sei eine tiefe Traurigkeit und Erstarrtheit gewesen, die sie sich lange nicht erklären konnte. An den Missbrauch hatte sie damals keine Erinnerungen; die kamen erst vor 15 Jahren wieder, als sie andere Betroffene traf.

Bischof Reinelt hat Versprechen nicht eingelöst

Meinel berichtet von einem guten Gespräch, dass sie und die anderen drei Betroffenen 2010 mit dem damaligen Bischof Joachim Reinelt geführt haben. Er habe versprochen, nach Heidenau zu kommen und dort öffentlich Stellung zu beziehen. Das sei den Frauen wichtig gewesen.

"Dieses Versprechen hat er nicht eingelöst", so Meinel. Stattdessen habe er sich über die Presse entschuldigt. Das habe die Frauen enttäuscht.

Doch Meinel möchte an diesem Abend nicht nur von Enttäuschungen über eine immer noch sehr schleppend vorangehende Aufarbeitung sprechen. Sie möchte, dass an diesem Abend etwas Konstruktives angestoßen wird.

Dank von Bischof Timmerevers

"Es ist eine Chance, dass wir hier anfangen können. Das Dazustehen hilft beiden Seiten, auch der Gemeinde, dieses schreckliche Kapitel anzunehmen. Ich wünsche dieser Gemeinde, dass sie ins Gespräch darüber kommt", sagt die Frau mit den weißen, hochgesteckten Haaren in die Runde der rund 80 Zuhörerinnen und Zuhörer. Etwa ein Drittel von ihnen sind Gemeindemitglieder. Einige sind Mitte 60, so alt wie die Betroffenen. Ein paar um die 80, wie die Täter heute. Es seien auch einige Kinder von Betroffenen dagewesen, sagt einer, der die Pfarrei kennt.

"Das Geschehene liegt auf dem Tisch. Das Bistum erkennt an, dass unermessliches Leid geschehen ist. Nun kommt der nächste Schritt - und der ist verdammt schwer", sagt Meinel. "Auch die Vorbereitung dieses Abends war schwierig. Von drei Menschen weiß ich, dass sie nicht wollten, dass ich hier als Betroffene spreche."

Ein heikler Punkt ist die Frage, wer damit gemeint sein könnte. Umso deutlicher wendet sich Bischof Timmerevers an Meinel: "Ich danke Ihnen aus tiefstem Herzen, für Ihre Gradlinigkeit und Ihr Dranbleiben. Sie haben diesen Abend ermöglicht, indem Sie immer wieder darauf gedrängt haben. Und das war auch für mich und alle, die wir damit befasst waren, natürlich eine Herausforderung." Jetzt sehe er in Heidenau ein Pilotprojekt für die künftige Aufarbeitung der Missbrauchsfälle im Bistum.

Wie umgehen mit dem Grab des mutmaßlichen Täters?

Gemeindereferent Benno Kirtzel, durch dessen maßgebliche Initiative der Aufarbeitungsprozess in der katholischen Pfarrei von Heidenau 2020 in Gang kam, erklärt: "Aufarbeitung kann nie nach einem starren Konzept ablaufen. Es ist im Fluss und orientiert sich immer an den Betroffenen. Unser Ziel: Gerechtigkeit für die Betroffenen."

Dazu gehöre auch ganz praktisch die Frage, wie man etwa mit dem Grab von Pfarrer Jungnitsch umgehe, wie mit alten Fotos und anderen Erinnerungen. Und eines macht der junge Mann mit dem dunklen Rauschebart besonders deutlich: "Wir sind nie fertig mit der Aufarbeitung – das Trauma der Betroffenen hört nie auf. Das Thema wird immer zu unserer Gemeindegeschichte gehören."

Etwas ist in Gang gekommen

Dass es Gesprächsbedarf gibt, ist offensichtlich. Mit Rücksicht auf die Betroffenen soll die Fragerunde jedoch zeitlich begrenzt sein, erklärt die Moderatorin. Doch auch nach dem offiziellen Ende des Abends stehen die Menschen noch eine ganze Weile zusammen. Spürbar ist etwas in Gang gekommen, und das war Kirtzel wichtig: "Es ist verständlich, wenn wir von dem Thema überfordert sind und auch erstmal schweigen und zuhören. Das dürfen wir. Es ist aber wichtig, dass wir trotzdem ins Handeln kommen!"


Quelle:
KNA
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