"Die Szene mit den Tritten hab ich mir 10mal angesehen - herrlich", schreibt jemand auf Twitter. Es geht nicht um ein Sportereignis, sondern um Körperverletzung: Ein Autofahrer hat einen Klimaaktivisten in Hamburg von der Straße gezerrt und in den Bauch getreten.
Das Video der "Letzten Generation" wurde millionenfach angeklickt - und von manchen entsetzt, von anderen aber auch erfreut kommentiert und hämisch bejubelt.
Neue Dimension von Verrohung
Die Theologin und Philosophin Claudia Paganini sieht hier eine neue Dimension von Verrohung erreicht. Bei Klimaprotesten komme es immer wieder zu Handgreiflichkeiten - und Gesellschaft und Politik reagierten nicht etwa mit Sorge oder Empörung, sondern vielfach eher zustimmend. "Dabei sollten wir ein Mindestmaß von Gesprächskultur aufrecht erhalten", mahnt sie. Niemand müsse die Methoden der Aktivistinnen und Aktivisten gutheißen - eine andere Meinung könne jedoch "keine Legitimation für Gewalt und Selbstjustiz" sein.
Eine demokratische Gesellschaft müsse auch unbequeme Protestformen aushalten, betont Paganini. Und die Polizei greife ja auch ein, wenn Menschen sich etwa auf die Straße kleben, um den Verkehr zu stoppen.
Es gab auch schon harte Strafen bis hin zur Haft für Mitglieder der "Letzten Generation".
Hassrede im Netz hat stark zugenommen
Zu ihnen gehört etwa Vincent Schäfer. Der Student war über Weihnachten und den Jahreswechsel im Gefängnis. "Das ist natürlich normalerweise eine eher besinnliche Zeit, aber ich habe es ganz gut überstanden", sagt er rückblickend. Für ihn ist klar, dass die Protestformen der Klimakleber unter zivilen Ungehorsam fallen, dass also Regeln bewusst übertreten werden, ohne aber beispielsweise Gewalt anzuwenden.
Hassrede im Netz hat in den vergangenen Jahren insgesamt stark zugenommen - gegenüber öffentlichen Personen wie auch ganzen Gruppen von Menschen. Lange sei das Herabwürdigen Andersdenkender typisch für rechtsradikale Kreise gewesen, sagt Paganini. Wenn jedoch "Fridays for Future", die "Letzte Generation" oder auch bekannte Einzelpersonen aus diesen Gruppen etwas posteten, gebe es sofort abfällige und bedrohliche Reaktionen - und das zum Teil von Menschen, die sich selbst als gemäßigt und vernünftig beschreiben würden.
Eine Verrohung der Gesellschaft wurde schon vielfach beschrieben, zum Beispiel auch im Zusammenhang mit Angriffen auf Sanitäter und Feuerwehrleute in Berlin und an anderen Orten zu Silvester. Paganini sieht in diesem Zusammenhang auch Christinnen und Christen gefordert, sich zu positionieren - ganz unabhängig vom Thema.
Beim Beispiel Klimaproteste betreffe das einerseits den Klimaschutz selbst: "Man spricht ja von Schöpfungsverantwortung, und die betrifft nicht allein den Menschen." Und andererseits eben den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Aktivist Schäfer hält hier die Kirchen für wichtige Partner - die in diesem Themenfeld fortschrittlicher seien als die Politik.
Einen anderen Aspekt rücken Kommunikationsfachleute in den Mittelpunkt. Viele Menschen fühlten sich gegenüber der Klimakrise schlicht hilflos, sagte der Sozialpsychologe Julian Bleh kürzlich der Zeitschrift "Psychologie Heute". Es brauche positive Zukunftsvisionen und ein Nachdenken darüber, "wie man einen wirtschaftlichen Systemwechsel erreicht, ohne die Leute abzuschrecken".
Widersprüchliches Verhalten von Menschen
Wichtig sei ein persönlicher Bezug, ist Petra Dickel überzeugt. Sie erforscht an der Fachhochschule Kiel das widersprüchliche Verhalten von Menschen im Zusammenhang mit dem Klimawandel. "Die Klimakommunikation funktioniert am besten, wenn man einen Bezug herstellen kann zu dem Ort, an dem man lebt, zum eigenen Job oder Hobbies", sagt die Professorin für Unternehmenskommunikation.
Zugleich sei noch immer die Vorstellung verbreitet, der Klimawandel spiele sich weit entfernt ab. "Man redet es sich schön, wenn die Sommer immer heißer werden und es im Winter keinen Schnee mehr gibt. Dabei sind dies nur die Vorboten von noch dramatischeren Folgen."
Paganini betont ebenfalls, dass es gelungene Beispiele und hoffnungsvolle Perspektiven brauche, auch "Utopien in der Kunst, um den Glauben an eine gute Zukunft aufrecht zu erhalten". Allerdings dürfe es nicht darum gehen, politisch schönzufärben und Missstände zu verharmlosen. Und Aktivist Schäfer warnt: "Positive Visionen sind wichtig - sie dürfen allerdings nicht auf Kosten der Realität geschehen."