Groß waren die Erwartungen, als vor rund einem Jahr die von der Bischofskonferenz eingesetzte "Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen" (UKA) startete. Die Ernüchterung kam schnell: Bereits wenige Monate später beschwerten sich Betroffene von sexuellem Missbrauch über ein aus ihrer Sicht intransparentes Verfahren und einen als technokratisch empfundenen Umgang. Dabei hatten die Bischöfe gehofft, nach Jahren nun endlich ein angemessenes Verfahren gefunden zu haben.
Ein Blick zurück: Nach Bekanntwerden des Missbrauchsskandals im Jahr 2010 hatten sich die Bischöfe zunächst auf Zahlungen von durchschnittlich 5.000 Euro geeinigt. Schon damals hatten sie betont, dass es sich dabei nicht um Entschädigungen handele, sondern um eine Anerkennung des Leids der Missbrauchsopfer.
Streit um Anerkennungszahlungen aus Kirchensteuermitteln
Von Beginn an regte sich bei vielen Betroffenen Kritik - sowohl an den als viel zu gering empfundenen Beträgen als auch daran, dass sie sich wieder an die Kirche wenden mussten, um den Geldbetrag zu erhalten. Ein Umdenken vieler Kirchenvertreter erfolgte dann 2018, als Wissenschaftler die MHG-Studie vorstellten - mit erschreckenden Zahlen zu Opfern und Tätern aus den Reihen der katholischen Kirche.
Der Missbrauchsbeauftragte der Bischofskonferenz, Bischof Stephan Ackermann, beauftragte daraufhin eine Arbeitsgruppe, zu der auch Betroffene wie der Sprecher des Eckigen Tisches, Matthais Katsch, und Juristen gehörten, eine Höhe für Anerkennungszahlungen zu erarbeiten. Seine Ergebnisse legte das Gremium 2019 bei der Herbstvollversammlung der Bischofskonferenz vor. Demnach sollten die Betroffenen Summen von bis zu 400.000 Euro erhalten. Schnell wurde klar, dass dann ein Milliardenbetrag auf die katholische Kirche zukommen würde. Es hagelte erneut Proteste, diesmal aus den Reihen der Kirche, auch bei vielen Laienvertretern, weil zur Debatte stand, die notwendigen Mittel eventuell auch zum Teil aus den Kirchensteuern zu nehmen.
Weltliche Schmerzensgeldsummen als Orientierung
Ein Jahr später einigten sich die Bischöfe: Demnach sollte fortan eine unabhängige Kommission die Zahlungen regeln - allerdings nach Vorgaben der Bischofskonferenz. Je nach Schwere des Missbrauchs sollten Betroffene nun bis zu 50.000 Euro erhalten - eine Art Kompromiss zwischen den bislang gezahlten Summen und den Vorlagen der Arbeitsgruppe. Als Orientierung sollten die im weltlichen Bereich üblichen Schmerzensgeldsummen dienen.
Anfang dieses Jahres begann dann die UKA mit der Bearbeitung der Anträge. Die Kommission besteht aus sieben Mitgliedern - Juristen, Pädagogen, Mediziner und Psychologen. Vorsitzende ist die pensionierte Richterin Margarete Reske. Das Gremium sitzt wie die Bischofskonferenz in Bonn, hat aber eigene Büroräume. Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Geschäftsstelle - die Mitglieder selbst arbeiten ehrenamtlich - sind den Weisungen der Kommission unterworfen.
Vorwurf der bewussten Täuschung der Öffentlichkeit
Wieder beschwerten sich Betroffene: Die Kommission arbeite viel zu langsam, das Verfahren sei nach wie vor intransparent und sehr formalisiert - ohne Empathie für die Betroffenen. Zudem gingen die Zahlungen in der Regel nicht über ein paar tausend Euro hinaus, dabei sei die Summe 50.000 Euro bewusst vom Vorsitzenden der Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, in den Raum gestellt worden. Katsch erhebt sogar den Vorwurf, dass Bätzing damit bewusst die Öffentlichkeit getäuscht habe. Zudem bezweifelten Missbrauchsopfer, ob ein von den Bischöfen eingesetztes Gremium wirklich unabhängig arbeiten könne.
In einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) betonte die Vorsitzende Reske im Juli, sie verstehe den Unmut der Betroffenen, es seien aber neben den neuen Anträgen auch viele alte eingereicht worden, so dass die Kommission nun diesen Berg abarbeiten müsse. Das Gremium zog aber Konsequenzen und priorisierte etwa Anträge von sehr alten Betroffenen oder von solchen, die an ernsten Erkrankungen litten. Zudem wurde die Geschäftsstelle aufgestockt.
Forderung nach einer staatlichen Aufsicht
Grundsätzlich änderte sich jedoch wenig, so dass sich einige Betroffene nun in einem Schreiben auch an Bundespolitiker wandten. Sie beklagten darin, dass das Antragsverfahren derzeit ein geheimer Vorgang sei: "Die Opfer werden nicht angehört, ihnen wird kein rechtliches Gehör gewährt, sie haben keinen Einblick in die Akten." Die sehr unterschiedlichen Zahlungen blieben nicht nachvollziehbar.
Sie forderten in dem Schreiben deshalb eine staatliche Aufsicht über die UKA und eine Prüfung der Regelung für Schmerzensgeld und Entschädigungen im Konfliktfall durch eine neutrale staatliche Ombudsstelle. Zu den Unterzeichnern gehören Matthias Katsch, Sprecher der Betroffeneninitiative "Eckiger Tisch", der frühere Sprecher des Kölner Betroffenenbeirats, Patrick Bauer, sowie Jens Windel, Gründer der Betroffeneninitiative im Bistum Hildesheim und Mitglied im Betroffenenbeirat der Deutschen Bischofskonferenz.
Widerspruch gegen die Leisungshöhe möglich
So entschlossen sich die Bischöfe erneut, das Verfahren zu prüfen - was nun der Ständige Rat in Würzburg in der vergangenen Woche getan hat. Ergebnis: Keine grundsätzlichen Änderungen, aber Betroffene können künftig gegen die Leistungshöhe Widerspruch einlegen, Geschäftsstelle und die Kommission werden zudem noch einmal personell aufgestockt.
Den Betroffenen reicht das nicht. Es sei ein großer Fehler, dass die UKA ihre Entscheidungen nicht begründen müsse, schreibt der Betroffenenbeirat der Bischofskonferenz in einer Stellungnahme. Dagegen sei die Einrichtung einer Widerspruchsstelle eigentlich eine Selbstverständlichkeit. "Statt eine spürbare Nachbesserung auf den Weg zu bringen, bleibt es bei einem problembehafteten und intransparenten System", so der Beirat. Und: Die Bischöfe hofften auf Gesprächsbereitschaft der Betroffenen, das sei aber völlig perspektivlos.
Wie es in der verfahrenen Situation zwischen Bischofskonferenz und Betroffenen nun weitergeht, ist völlig unklar. Viele Betroffene, so ist zu hören, wollen sich mit dem Erreichten nicht zufrieden geben und dringen darauf, dass Politik und Öffentlichkeit die Debatte aufgreifen.
Bislang kaum Signale aus der Politik
Katsch kann sich statt des derzeitigen Verfahrens auch ein Fondsmodell vorstellen, in das die Kirche einzahlt. Vorbildlich findet er die Regelungen in Irland. Dort werden die Opfer von physischer Misshandlung oder sexuellem Missbrauch in den staatlichen und kirchlichen Einrichtungen Irlands in organisierter Form entschädigt. Dabei werden die von Staat und Kirche in Höhe von 2,1 Milliarden Euro bereitgestellten Gelder durch eine Kommission verwaltet. Nach einer Prüfung erhalten die Antragsteller je nach Schwere der Misshandlung oder des Missbrauchs maximal 300.000 Euro Entschädigung - wobei die Zahlungen von Schmerzensgeld in Irland sehr viel höher sind und eine Vergleichbarkeit schwierig ist.
Aus der Politik gibt es bislang kaum Signale. Das könnte sich mit der neuen Ampelregierung ändern: In ihrem Koalitionsvertrag hat sie sich darauf verständigt, sich stärker in die Aufarbeitung einzumischen. "Die Aufarbeitung struktureller sexualisierter Gewalt an Kindern und Jugendlichen in gesellschaftlichen Gruppen, wie Sportvereinen, Kirchen und der Jugendarbeit, werden wir begleiten, aktiv fördern und wenn erforderlich gesetzliche Grundlagen schaffen", heißt es in dem Papier. Was das genau bedeutet, werden die kommenden Monate zeigen.