Emanuela Orlandi vor 40 Jahren verschwunden

Ein tragischer Verlust und viele Gerüchte

Vor 40 Jahren geriet eine Familie in das Zentrum einer vermeintlichen internationalen Verschwörung. Die damals 15-jährige Emanuela verschwand. Immer wieder gibt es neue Gerüchte. Wird der Fall um die Vatikan-Bürgerin je aufgeklärt?

Autor/in:
Robert Messer
 Demonstranten machen im Jahr 2019 auf das Verschwinden von Emanuela Orlandi vor dem Vatikan aufmerksam 
 / © Burkhard Jürgens (KNA)
Demonstranten machen im Jahr 2019 auf das Verschwinden von Emanuela Orlandi vor dem Vatikan aufmerksam / © Burkhard Jürgens ( KNA )

Missbrauch, Erpressung, ausländische Geheimdienste oder ein Zusammenhang mit der Mafia und dem Vatikan?

Um das rätselhafte Verschwinden der damals 15-jährigen Emanuela Orlandi blühen bis heute Gerüchte. Vor nunmehr 40 Jahren, am 22. Juni 1983,  verschwand das "Vatican Girl".

Undatiertes Foto der Teenagerin Emanuela Orlandi / © N.N. (dpa)
Undatiertes Foto der Teenagerin Emanuela Orlandi / © N.N. ( dpa )

Emanuelas Vater war ein Angestellter des Vatikan - die Familie lebt seit 100 Jahren in dem kleinsten Staat der Welt und diente nach eigenen Angaben sieben Päpsten - allein deswegen schon war und ist der Fall brisant. Doch vor allem die Umstände ihres Verschwindens schlagen bis heute hohe Wellen.

Spurlos verschwunden

An einem heißen und schwülen Juniabend des Jahres 1983 verschwand die 15-Jährige spurlos. Nach dem Besuch einer Musikschule in der Altstadt Roms kam sie nicht mehr nach Hause zurück. Von einem Moment auf den anderen geriet eine ganze Familie mitten in einen spektakulären Fall. In den ersten Jahren ging man gar von einer internationalen Verschwörung aus, in dessen Zentrum die Teenagerin stand.

Der Fall sorgte nicht nur in Italien für großes Aufsehen. Sogar eine eigene vierteilige Netflix-Serie ("Vatican Girl") aus dem Jahr 2022 gibt es. Denn was mit ihr geschah, ist noch immer unklar. Eine Leiche wurde nie gefunden. Seither kursieren viele, teils abenteuerliche Theorien um ihr Verschwinden.

Attentat auf Papst Johannes Paul II. durch den türkischen Terroristen Mehmet Ali Agca auf dem Petersplatz im Vatikan am 13. Mai 1981.  / © Pool (KNA)
Attentat auf Papst Johannes Paul II. durch den türkischen Terroristen Mehmet Ali Agca auf dem Petersplatz im Vatikan am 13. Mai 1981. / © Pool ( KNA )

Es wurde etwa behauptet, Orlandi sei entführt worden, um den Papst-Attentäter Mehmet Ali Agca freizupressen, oder Geheimdienste wie der KGB oder die CIA seien involviert. Auch von Vertuschung von Missbrauch durch einen Kurienbeamten oder die Entführung durch die Mafia war die Rede.

Gräber erfolglos durchsucht

Immer wieder kamen neue angebliche Hinweise über ihr Verschwinden auf. Gräber, unter anderem auf dem deutschen Friedhof in Rom (Campo Santo Teutonico), wurden geöffnet. Auch im Ausland wurde nach ihr gesucht. Man fand nichts und niemanden. Und im Mai des laufenden Jahres meldete sich ein Ex-Carabiniere zu Wort und behauptete, Emanuela sei unter der Engelsburg in Rom vergraben.

Engelsbrücke mit Engelsburg in der Abenddämmerung / © Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Engelsbrücke mit Engelsburg in der Abenddämmerung / © Gennari/Romano Siciliani ( KNA )

Seit dem Verschwinden kämpft vor allem ihr nun über 60 Jahre alter Bruder Pietro für Aufklärung - an seiner Seite die Anwältin Laura Sgrò. Nach etlichen Versuchen der Aufklärung sind nicht nur sie davon überzeugt, dass der Vatikan weiß, was mit Emanuela passiert ist.

Drei Päpste gab es seit 1983: Johannes Paul II., Benedikt XVI. und heute Franziskus. Ihre Worte gaben teils Grund zu Spekulationen, der Heilige Stuhl wisse etwas. So etwa Franziskus' Äußerungen gegenüber Bruder Pietro, der sagte: "Emanuela ist im Himmel", obwohl nie eine Leiche gefunden wurde.

Papst Franziskuss setzt sich für Aufklärung ein

Kürzlich kam überraschend Bewegung in den Fall. Im Januar hatte der Kirchenstaat erstmals offizielle Ermittlungen eingeleitet. Die vatikanischen Strafverfolger unter Alessandro Diddi wollen den Hinweisen nachgehen, wonach das "Vatican Girl" entführt oder ermordet wurde.

Pietro Orlandi hält ein Bild seiner Schwester Emanuela während einer Sitzblockade in der Nähe des Petersdoms / © Gregorio Borgia (dpa)
Pietro Orlandi hält ein Bild seiner Schwester Emanuela während einer Sitzblockade in der Nähe des Petersdoms / © Gregorio Borgia ( dpa )

"Ich bin überzeugt, dass es im Vatikan viele Leute gibt, auch solche in hohen Positionen, die wissen, was damals passiert ist", sagte Pietro Orlandi damals. Auch in Italien wird eine parlamentarische Untersuchungskommission geplant.

Es sei Papst Franziskus' "eiserner Wille", den Fall "vorbehaltlos zu klären" und Licht ins Dunkel zu bringen, sagte Diddi dem "Corriere della Sera".

Im Mai entschied auch die Staatsanwaltschaft in Rom, sich der Sache nach bereits zwei Untersuchungen (1983 bis 1997, 2008 bis 2015) anzunehmen. Beobachter spekulieren, dass der Pontifex Druck gemacht haben dürfte - laut Diddi will dieser "absolute Transparenz".

Denn auch nach fast einem halben Jahrhundert wartet eine ganze Familie auf Aufklärung. Emanuelas 93-jährige Mutter lebt einem Bericht des "Corriere della Sera" zufolge noch immer im Vatikan. Wie Anwältin Sgrò bei einer Anhörung sagte, ließ die Mutter lange Zeit den Schlüssel in der Tür ihrer Wohnung stecken - in der Hoffnung, ihre Tochter komme wieder. "Emanuela hat eine Mutter, einen Bruder, drei Schwestern, zehn Neffen und Nichten, die auf sie warten."

 Demonstranten machen im Jahr 2019 auf das Verschwinden von Emanuela Orlandi vor dem Vatikan aufmerksam 
 / © Burkhard Jürgens (KNA)
Demonstranten machen im Jahr 2019 auf das Verschwinden von Emanuela Orlandi vor dem Vatikan aufmerksam / © Burkhard Jürgens ( KNA )

Der Fall ist nicht frei von Kontroversen. Im April spielte Pietro während einer Anhörung mit vatikanischen Staatsanwälten ein Tonband ab, das ein angebliches Gespräch zwischen einem Journalisten und dem Chef einer kriminellen Organisation in Rom enthält. In der Aufnahme deutete der Boss an, der 2005 gestorbene Johannes Paul II. sei nachts mit hochrangigen Geistlichen außerhalb der Vatikanmauern unterwegs gewesen.

Ein Teil der Aufnahme wurde in einer italienischen Fernsehshow mit Orlandi ausgestrahlt. Er sagte im TV, er habe gehört, dass Karol Wojtyła (Johannes Paul) damals immer mal wieder mit zwei Freunden, zwei polnischen Priestern, ausgegangen sei und das sicher nicht, um "die Häuser zu segnen". Seine Äußerungen lösten einen Sturm der Entrüstung aus - sogar Papst Franziskus verteidigte seinen Vorvorgänger gegen "beleidigende und unbegründete Unterstellungen".

Wusste Johannes Paul II. etwas über den Fall?

Die Hoffnung auf Aufklärung rücke jedoch von Jahr zu Jahr in die Ferne, sagte Sgrò ebenso im Fernsehen. «Die Zeit ist der Feind der Wahrheit.» Doch weder sie noch Pietro wollen die Hoffnung aufgeben: "Ich bin ehrlich, ich hätte nie gedacht, dass 40 Jahre ohne die Wahrheit vergehen würden, aber wir werden sie immer einfordern!", schrieb Pietro kürzlich bei Instagram.

Demonstranten fordern am 27. Mai 2012 in Rom eine Aufklärung des Verschwindens der 15-jährigen Vatikanbürgerin Emanuela Orlandi und halten ein Banner mit der Aufschrift "Verita per Emanuela Orlandi" (dt. Die Wahrheit über Emanuela Orlandi). / © Cecilia Fabiano/Agenzia Sintesi (KNA)
Demonstranten fordern am 27. Mai 2012 in Rom eine Aufklärung des Verschwindens der 15-jährigen Vatikanbürgerin Emanuela Orlandi und halten ein Banner mit der Aufschrift "Verita per Emanuela Orlandi" (dt. Die Wahrheit über Emanuela Orlandi). / © Cecilia Fabiano/Agenzia Sintesi ( KNA )

Seit Jahren organisiert er zum Gedenken an Emanuela Sit-ins - meist auf dem Petersplatz. Das nächste Sit-in ist kurz nach dem Jahrestag geplant. Am 25. Juni, einem Sonntag, an dem der Papst sein Angelus-Gebet spricht, will Pietro an seine Schwester erinnern.

In seiner Ankündigung schreibt er, er sei sich sicher, dass der Pontifex es nicht versäumen werde, an Emanuela zu erinnern - und an die Notwendigkeit, nach 40 Jahren Wahrheit und Gerechtigkeit zu finden.

Quelle:
dpa
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