DOMRADIO.DE: Die Bevölkerung aus Afghanistan ist durch die Taliban bedroht. Was wissen Sie da über die Lage vor Ort?
Pater Claus Pfuff SJ (Jesuiten-Flüchtlingsdienst): Die Informationen, die ich habe, kommen vor allem von Menschen, die hier in Deutschland leben und ihre Familienangehörigen weiterhin in Afghanistan haben. Sie berichten darüber, dass die Taliban in die Wohnungen eindringen, sie nach Geld und Waffen durchsuchen.
Außerdem durchsuchen sie sie nach Menschen, die mit den Deutschen oder mit den Amerikanern kollaboriert haben. Das andere, was sie berichten, ist, dass Schulen und Krankenhäuser geschlossen sind und die Versorgungslage sehr angespannt ist, also dass es wenig Nahrungsmittel gibt, die Leute Hunger haben und versuchen, durch irgendein Schlupfloch aus Afghanistan wegzukommen.
DOMRADIO.DE: In Deutschland suchen ja viele Menschen aus Afghanistan Schutz. Welche Schwierigkeiten und Ängste nehmen Sie bei den Geflüchteten wahr?
Pfuff: Zum einen haben sie natürlich selber Angst, abgeschoben zu werden. Denn sie haben keinen sicheren Bleibestatus hier in Deutschland. Zum anderen ist natürlich immer auch die Frage: Sehe ich meine Familienangehörigen wieder? Was kann ich tun, damit ich die, mit denen ich verheiratet bin - zum Beispiel Frau und Kind - , aus Afghanistan heraus bekomme?
Oder kann ich zum Beispiel Familienangehörige nach Deutschland bringen, die eben auch zusammengearbeitet haben mit den Amerikanern, mit den Deutschen? Wie ist es zum Beispiel auch mit Familienangehörigen, die bereits außerhalb des Landes sind, die zurzeit im Iran sind, in Pakistan? Können die irgendwann einmal auch zu mir nach Berlin oder nach Deutschland kommen? Und zum anderen natürlich auch noch: Kann ich sie finanziell oder sonstwie unterstützen?
DOMRADIO.DE: Wie sehen Sie denn die Zukunftsperspektive für die Menschen, die aus Afghanistan hierher gekommen sind?
Pfuff: Die Zukunftsperspektive wäre eigentlich für sie gut, weil wir ja junge Arbeitskräfte suchen. Wir suchen ja Menschen, die hierher kommen, die Berufe erlernen könnten, die uns hier auf dem Arbeitsmarkt unterstützen könnten.
Auf der anderen Seite ist natürlich die Schwierigkeit, dass sie hier keinen sicheren Bleibestatus bekommen, damit natürlich auch wenig motiviert sind oder sich auch schwer tun, sich hier eine längere Zukunft in Deutschland vorstellen zu können oder aufzubauen.
Das andere natürlich auch: Sie möchten gerne, dass Ihre Familienangehörigen hierher kommen, dass sie mit denen zusammen sein können.
DOMRADIO.DE: Die Europäische Union, die befasst sich ja in dieser Woche intensiv mit Afghanistan. Was wünschen Sie sich da von der EU?
Pfuff: Zum einen wünsche ich mir von der EU, dass Afghanen einen Schutzstatus bekommen und dass sie so ausgestattet werden, dass sie sich hier eine neue Zukunft aufbauen können. Zum anderen wünsche ich mir von der EU, dass die, die in Afghanistan bedroht sind, möglichst unbürokratisch und schnell in die EU kommen können, um dort Schutz zu finden.
Vor allem die Menschen, die mit uns zusammengearbeitet haben, die uns damals in Afghanistan unterstützt haben.
DOMRADIO.DE: Soll die EU denn mit den Taliban reden oder käme das Ihrer Ansicht nach einer Anerkennung gleich?
Pfuff: Wenn ich aus meiner Sicht heraus auf die Lage blicke - ich sehe sie aus dem Blickwinkel derer, die eben hier sind, die um ihre Angehörigen bangen - wenn ich darauf blicke, dann denke ich, müssten wir verhandeln, um möglichst viele Menschenleben zu retten und auch die Versprechungen, die wir gemacht haben, umzusetzen.
DOMRADIO.DE: Sie haben einen Infobrief vom Jesuiten-Flüchtlingsdienst herausgegeben und es steht dort drin, dass er ein Zeichen gegen das Vergessen sein soll. Was genau meinen Sie damit?
Pfuff: Wir haben festgestellt, dass plötzlich der Blick der Öffentlichkeit wieder auf anderen Themen ist, dass Afghanistan im August mal ganz groß war und alle gesagt haben, die Situation dort ist katastrophal. Die Situation hat sich nicht zum Positiven verändert, sondern eher verschlimmert.
Die Menschen, die aus Afghanistan fliehen wollen, sind immer noch dort, stehen zum Teil an den Grenzen, warten darauf irgendein Schlupfloch zu finden, um rauszukommen. Ich denke auch, wir müssen weiterhin für Lösungen werben, damit dort den Menschen geholfen wird, die diese Hilfe nötig haben, sei es, dass sie humanitäre Hilfe bekommen oder auch wenn sie das Land verlassen möchten, um zu ihren Angehörigen zu kommen oder auch in Sicherheit zu kommen, dass es dort Möglichkeiten gibt, diese ihnen zu geben.
Deswegen möchten wir gerne gegen das Vergessen erinnern, weil wir den Eindruck haben, die Situation interessiert kaum mehr. Es ist Tagesordnung oder Normalität geworden.
Das Interview führte Julia Reck.