DOMRADIO.DE: Er hat damals die Herzen im Sturm erobert mit seiner bescheidenen Art – ist er in Italien, bei den "einfachen" Gläubigen noch genauso angesehen?
P. Bernd Hagenkord SJ (langjähriger deutschsprachiger Chefredakteur von Vatican News): Da würde ich sagen das hängt davon ab, wie man das misst. Also natürlich kommen die Leute auf den Petersplatz beim Angelus-Gebet. Es sind immer 20 bis 30 Tausend Menschen da; je nach Wetter. Er ist immer eine Nachricht wert. Das, was er auf seinen Reisen sagt, ist immer in den Medien oben.
DOMRADIO.DE: Sind Sie denn inhaltlich mit ihm einer Meinung?
Hagenkord: Wir haben gesehen, dass viele Leute durchaus abweisend sind, was etwa die Flüchtlingsfrage angeht. Sie setzen ganz andere Töne, wenn der Papst von Barmherzigkeit, Offenheit und Aufnahme spricht. Das ist wahrscheinlich normal und menschlich, dass man nicht 100 Prozent mitschwingt. Die Begeisterung ist nach wie vor da, das ist richtig, aber nach fünf Jahren ist es dann auch ein bisschen normaler geworden.
DOMRADIO.DE: Der Papst setzte von Anfang auf das Thema Barmherzigkeit, Hilfe für Arme und Flüchtlinge und eine dienende Kirche – kann man schon abschätzen, wie sehr dieser Papst die Kirche verändert hat?
Hagenkord: Er hat sie schon so verändert, dass die Flüchtlingsdebatte südlich und nördlich der Alpen Dauerthema geworden ist. Das ist ein Thema, dass wir seiner Meinung nach eben von Christus und Jesus Christus her beantworten müssen und nicht nur Sozialpolitik ist. Das hat mit christlichem Verhalten zu tun. Das hat mit der Botschaft Jesu Christi zu tun. Von daher hat er da schon sehr deutlich Akzente gesetzt.
DOMRADIO.DE: Akzente klingt aber nicht nach deutlicher Veränderung?
Hagenkord: Es ist wie bei allen Päpsten: Ein Papst kann nicht mit Hauruckverfahren die Kirche ändern. Damit es unten ankommt, müssen wir das umsetzen. Das braucht noch ein bisschen Zeit, die Veränderung ankommen zu lassen. Jedenfalls merke ich das hier so um mich herum.
DOMRADIO.DE: Der Papst steht aber auch in der Kritik, vor allem sein Schreiben "Amoris laetitia" zu Ehe und Familie wird kritisiert. Wie stark und umfangreich sind seine Kritiker oder ist das nur eine laute, aber kleine Gruppe in der Kirche?
Hagenkord: Ich bin immer sehr vorsichtig. Die Kritiker sehe ich nicht so als eine Gruppe. Natürlich gibt es Leute, die das nicht so witzig finden. Es gibt Leute, die gegen dies oder das sind. Aber die Motivation dahinter ist auch immer anders. Da gibt es nicht nur eine Motivation: die Gegner, oder die, die das verhindern wollen, oder die Traditionalisten, oder die Konservativen, oder wie auch immer man sie gerne nennt. Das sind ganz Verschiedene.
DOMRADIO.DE: Darf man einen Papst kritisieren?
Hagenkord: Es ist ja kein Verbrechen, den Papst zu kritisieren. Das sagt er selber ja auch. Das gehört auch zum Spiel dazu. Das war ja auch immer so. Von daher ist nicht jeder, der den Papst kritisiert auch gleich ein Gegner, sondern jemand der erstmal auch zu einer Diskussion beiträgt, die der Papst ja auch will. Es ist ganz gesund, dass es das gibt. Es ist sehr ungesund, wie das manchmal passiert, wie das in die Öffentlichkeit getragen wird. Aber das müssen wir halt aushalten.
DOMRADIO.DE: Franziskus ist 81 Jahre alt – wie gesundheitlich stabil wirkt er auf Dich?
Hagenkord: Für einen 81-Jährigen mit dem Pensum ist er ziemlich fit, würde ich sagen. Da gehen einige 50-Jährige in die Knie. Was er jeden Tag und jedes Jahr an Reisen, an Terminen, an Ansprachen und so weiter macht. Er war nie der Gesündeste. Das sieht man ihm ja auch an, wenn er geht. Er hat schon seit dem 20. Lebensjahr Probleme mit dem Rückgrat und der Lunge, aber wenn man das mal rausrechnet – weil damit lebte er schon über 60 Jahren – geht es ihm immer noch recht gut.
DOMRADIO.DE: Welche Akzente wird er deiner Meinung nach noch setzen?
Hagenkord: Ein paar Themen hat er noch, die er noch abarbeiten will. Die Frage nach der Rolle der Judend in der Kirche und nach Berufung. Wie geht es weiter? Er hat immer wieder die Jugendarbeitslosigkeit angesprochen und solche Themen will er stärker ins Licht stellen. Darauf das Jahr kommt Amazonien auf die Tagesordnung. Das ist ja nicht nur die Region, da hängt ja mehr dran. Da ist sozusagen "Laudato si" – die integrale Entwicklung des Menschen – Thema. Auf der anderen Seite ist er ein großartiger Wiederholer. Er hat im Prinzip schon mit seinem ersten Schreiben "Evangelii gaudium" sein ganzes Programm aufgeschrieben und das wiederholt er immer wieder. Das ist die Art und Weise, wie er vorgeht. Da kommen die Akzente her. Die wandeln sich manchmal. Aber durch die Wiederholungen lernen wir diesen Papst erst richtig kennen.
DOMRADIO.DE: Franziskus ist Jesuit, hat das eigentlich den Orden irgendwie verändert, dass einer der ihren nun Papst ist?
Hagenkord: Ich glaube, wir als Jesuiten sind damit noch nicht durch, dass wir einen Jesuiten als Papst haben. Das ist eigentlich in der DNA des Jesuitenordens nicht vorgesehen, dass einer von uns Papst wird. Das hat ja auch 500 Jahre geklappt, jetzt ist es so. Den Jesuitenorden als solchen, glaube ich, hat er nicht verändert, weil er sehr vorsichtig ist. Er schiebt jetzt nicht Jesuiten in jede Position, die frei wird. Er besucht sie, wenn er auf Reisen ist, aber bevorzugt sie nicht. Der Orden ist als solcher ist gar nicht so homogen, wie man sich das vielleicht vorstellen mag. Ob er den Orden verändert wird, das müssen wir mal gucken. Da muss man die nächsten 50 Jahren abwarten, was das für ein für eine Auswirkung hat. Im Augenblick sind wir alle natürlich damit beschäftigt, das umzusetzen, was er uns aufgibt und damit klarzukommen, dass einer von uns Papst ist, was immer noch nicht so einfach ist.
Das Interview führte Mathias Peter.