Gastkommentar zur Missbrauchstafel im Paderborner Dom

"… zu richten die Lebenden und die Toten"

In der Krypta des Paderborner Doms erinnert jetzt eine Gedenktafel an das Fehlverhalten ehemaliger Bischöfe im Umgang mit Missbrauch. Ist das eine gute Art der Aufarbeitung? Anna Mirijam Kaschner sieht das kritisch. Ein Gastkommentar.

Darstellung des jüngsten Gerichts in der sixtinischen Kapelle / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Darstellung des jüngsten Gerichts in der sixtinischen Kapelle / © Cristian Gennari/Romano Siciliani ( (Link ist extern)KNA )
 Sr. Anna Mirijam Kaschner / © Julia Rathcke (KNA)

"Pilatus ließ auch ein Schild anfertigen und oben am Kreuz befestigen, die Inschrift lautete: Jesus von Nazareth, der König der Juden." – Diese Assoziation kam mir unweigerlich in den Sinn als ich mit Entsetzen die Nachricht verschiedener Medien las, dass in der neugestalteten Krypta des Domes in Paderborn eine sog. "Missbrauchstafel" am Grab der Erzbischöfe Kardinal Lorenz Jäger und Kardinal Johannes Joachim Degenhardt angebracht worden sei. Das Metropolitankapitel habe den Text formuliert.

Warum lässt die Bistumsleitung, die diesem Vorschlag laut Medien "schnell zugestimmt" habe, so etwas geschehen? Darüber kann man nur mutmaßen, auch wenn es heißt, die Betroffenenvertreter hätten so eine Texttafel gefordert, da es "auch in Paderborn Kleriker gäbe, die die Missbrauchsthematik ausblendeten und nicht darüber reden wollen" (Zitat katholisch.de). Also eine Erziehungsmaßnahme für resistente Kleriker? Schaut man in die sozialen Medien, so kann man lesen, dass es gut sei, im Sinne der Aufklärung des Missbrauchs, diese Schuldtafel anzubringen. Aufklärung also. Aber gehört zu einer Aufklärung nicht auch, dass sich die angeklagten Personen erklären können, Stellung nehmen und auch um Vergebung bitten können? All dies ist den beiden Kardinälen nun leider nicht möglich. Und da sie sich durch ihren Tod nun einmal der weltlichen Gerichtsbarkeit entzogen haben, muss man sie wohl noch nachträglich irgendwie "bestrafen" – und sei es eben durch eine "Missbrauchstafel".

Missbrauchstafel im Paderborner Dom / ©  Christoph Reichwein (dpa)

Allerdings kann man durchaus fragen, warum dann konsequenterweise nicht an jedem Grab eines pädophilen Familienvaters, eines jeden Vergewaltigers, eines jeden Lehrers, der noch vor 50 Jahren seine Schüler verprügelt hat und an jedem Grab einer Mutter, die ein oder mehrere Kinder abgetrieben hat, genau solche Schuldtafeln zu finden sind? Wahrscheinlich, weil sonst jeder Friedhof einem Schilderwald gleichen würde. Als Christ kann man darauf nur antworten: Weil ich an einen gerechten Gott glaube, der nicht nur die Lebenden, sondern eben auch die Toten richten wird. Somit ist jene Missbrauchstafel in der Krypta des Paderborner Domes am Grabe der beiden Kardinäle letztlich nichts anderes als ein Zeichen des tiefen Unglaubens, dass Gott eben nicht gerecht ist und die beiden Kardinäle nicht zur Rechenschaft ziehen wird. Dies müssen daher die Bistumsleitung samt Metropolitankapitel und jeder Besucher der Krypta des Domes in die eigene Hand nehmen. 

Sr. Anna Mirijam Kaschner cps

Die Autorin: Anna Mirijam Kaschner ist Ordensfrau und Generalsekretärin der Nordischen Bischofskonferenz. Sie ist geboren und aufgewachsen im Erzbistum Paderborn. 

Erzbistum Paderborn

Rund 4,8 Millionen Menschen leben im Erzbistum Paderborn, davon sind gut 1,3 Millionen katholisch. Das Erzbistum gliedert sich in 19 Dekanate mit 603 Pfarrgemeinden in 107 Seelsorgeeinheiten (Pastorale Räume / Pastoralverbünde / Gesamtpfarreien). 

Erzbistum Paderborn / © Bernd Thissen (dpa)
Quelle:
DR

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