Haben wir das christliche Brauchtum des Vatertags vergessen?

"Deutschland, eine unrühmliche Ausnahme"

Christi Himmelfahrt und Vatertag wirken wie Gegensätze. Doch der Vatertag ist aus dem jahrhundertealten Brauchtum des christlichen Hochfestes entstanden. Der ursprüngliche Hintergrund ist jedoch in Vergessenheit geraten.

Der Vatertag wird in Deutschland traditionell an Christi Himmelfahrt mit Herrenpartien und Trinkgelagen gefeiert. / © Frank Hammerschmidt (dpa)
Der Vatertag wird in Deutschland traditionell an Christi Himmelfahrt mit Herrenpartien und Trinkgelagen gefeiert. / © Frank Hammerschmidt ( dpa )

DOMRADIO.DE: Der Vatertag früher hieß auch mal Herrentag. Tradition oder Kommerz?

Dr. Désirée Waterstradt (Forscherin am Thema Elternschaft an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe): Beides. Das Wort Vatertag in dem Sinne, wie wir es heute verstehen, gibt es noch nicht mal 100 Jahre. Das hat sich erst in den 1930er-Jahren in Deutschland entwickelt. Aber den Herrentag im Sinne des Tages des Herrn, also der Himmelfahrt Jesu, gibt es schon seit dem Jahr 325 als kirchlich festgelegten Termin. Insofern kommt es darauf an, wie dieser Tag gefeiert wurde und wie sich dieses Brauchtum über die lange Zeit der christlichen Geschichte entwickelt hat.

Spannend ist dabei, dass Elemente, die wir heute noch haben, tatsächlich auf dieses christliche Brauchtum zurückgehen. Im elften Jahrhundert war Christi Himmelfahrt nicht nur ein Tag, das Fest hatte eine so hohe Bedeutung, dass eine ganze Festwoche gefeiert wurde.

Christi Himmelfahrt

40 Tage nach Ostern feiern die Christen das Fest Christi Himmelfahrt. Das Geschehen ist in der Bibel beschrieben, sowohl im Lukas-Evangelium als auch in der von Lukas verfassten Apostelgeschichte. Nachdem Jesus mit seinen Jüngern gesprochen hatte, so heißt es dort, "wurde er vor ihren Augen emporgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf und entzog ihn ihren Blicken".

Christi Himmelfahrt (epd)
Christi Himmelfahrt / ( epd )

In dieser Zeit fanden dann Bittprozessionen und sogenannte Flurumgänge statt. Dabei ging es raus in die Natur. In der Zeit des Barocks im 17. Jahrhundert wandelten sich die Flurumgänge in eine eher theatralische Richtung. Die Flurumgänge wurden dann eher zu heiteren Ausflügen aufs Land. Daraus hat sich dann tatsächlich das entwickelt, was wir heute noch sehen.

Das hatte auch etwas mit der Aufklärung und der damit einhergehenden Entkernung christlicher Inhalte zu tun. Übrig geblieben ist davon der profane Brauch. Männer - eben nur Männer, Frauen sind ausgeschlossen - fahren in heiterer Stimmung auf das Land.

1822 kommt dann eine spannende Entwicklung dazu. Der Berliner Fuhrunternehmer Simon Kremser galt als sehr geschäftstüchtig und hat am Vatertag Ausflugsfahrten mit seinen Pferdefuhrwerken angeboten, sogenannte Herrenpartien oder Schinkentouren, von denen Frauen ausgeschlossen waren und so reine Männerausflüge waren.

DOMRADIO.DE: Hat damals auch schon der Alkohol eine Rolle gespielt?

Waterstradt: Das ist genau dieser Umschlag, der nach dem Barock stattgefunden hat und der von Simon Kremser durch sein Angebot verstärkt wurde. Das waren diese alkoholisierten Fahrten mit einer pubertätsartigen Flucht vor der Familie. Es ging darum, sich ohne Frauen mit Bier und Schnaps zu betrinken und mit dem Leiterwagen ins Freie zu fahren. Das hat eher karnevalistische Züge und Vatertag nannte man das gar nicht, sondern eben Herrenpartie, Herrentag oder Schinkentour.

Das hatte mit dem Vater nichts zu tun. Der Vater kam erst in den 1930ern Jahren dazu. In Deutschland hatte sich von 1923 bis 1933 der Muttertag durchgesetzt, den der Verband der Blumenhändler eingeführt hat. So kam das Bedürfnis nach einem Tag für die Väter auf. Da sahen die Herrenausstatter, Zigarren- und Zigarettenhändler eine gute Gelegenheit und förderten den Vatertag.

Ein wichtiger Nebenaspekt ist dabei der Alkohol, den Simon Kremser 1822 ins Spiel gebracht hatte. Damals feierte man eben stark alkoholisiert und das ist bis heute so. Das Statistische Bundesamt verzeichnet bis heute jedes Jahr den Vatertag als den Tag mit der höchsten Zahl an alkoholbedingten Unfällen. Die Zahl ist ungefähr zweieinhalb bis drei Mal so hoch im Vergleich zu allen anderen Tagen im Jahr.

DOMRADIO.DE: In vielen Gesellschaften gibt und gab es Ehrentage für Vater, Mutter oder beide Eltern. Wie verhält sich denn der Vatertag im Vergleich zum Muttertag?

Dr. Désirée Waterstradt, Forscherin für Elternschaft an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe

Es ist erschütternd, was sich aus diesem hohen christlichen Feiertag in Deutschland entwickelt. Das ist entsetzlich.

Waterstradt: Im Prinzip ist die Bedeutung der Tage gegensätzlich. Am Muttertag wird die aufopferungsvolle Fürsorge der Mutter für die Kinder gefeiert. Am Vatertag ist es eher die Flucht vor der Familie und es feiern nicht nur Väter, sondern Männer jeden Alters.

Deutschland bildet da im Vergleich zum Vatertagsbrauchtum anderer Länder leider eine unrühmliche Ausnahme. Es gibt in vielen anderen Ländern Vatertage. Zum Beispiel feiern viele christliche Länder am Josefstag, dem 19. März, den Vater. Das ist der Tag des Heiligen Josef, dem Schutzpatron der Kirche, der der soziale Vater Jesu ist.

An diesem Tag wird die soziale Vaterschaft geehrt. Damit ist der Tag deutlich näher an dem, was wir uns unter Muttertag vorstellen. Der Josefstag als Vatertag ist in Süddeutschland, Bayern, Österreich, der Schweiz, aber auch in Spanien, Lateinamerika und etlichen anderen Ländern verbreitet. Es ist erschütternd, was sich aus diesem hohen christlichen Feiertag in Deutschland entwickelt. Das ist entsetzlich.

DOMRADIO.DE: Wäre es dann nicht besser, man macht einen Elterntag aus beiden Festen?

Dr. Désirée Waterstradt, Forscherin für Elternschaft an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe

Es sollte um die kooperative Aufzucht unseres Nachwuchses gehen und das könnte man Feiern.

Waterstradt: Das ist sowieso ein Anliegen, weil keine Mutter, kein Vater und kein anderer Mensch Kinder alleine großziehen kann. Das ist seit 1,8 Millionen Jahren so. Praktisch, seitdem wir Menschen sind. Es sollte um das kooperative Aufziehen unseres Nachwuchses gehen und das könnte man Feiern. Ob man nun nach Mutter und Vater getrennt oder gemeinsam feiert, ist eine Frage der gesellschaftlichen Entwicklung, aber ich finde das Feiern von Elterntagen insofern sinnvoller, um sich an diese Kooperation bei der Fürsorge zu erinnern und darüber nachzudenken.

Wir erleben in unserer Gesellschaft auch, was passiert, wenn Kooperation rund ums Kind scheitert. Das muss nicht zwischen Eltern oder Großeltern sein, das kann auch mit der Kita, der Schule, Vereinen oder Nachbarn passieren. Dann wird es schwierig für Eltern. Egal, ob Mutter oder Vater. Diese kooperativen Gedanken, die uns als Menschheit sehr lange begleiten, die sollten wir feiern und an so einem Tag in den Mittelpunkt stellen.

Das Interview führte Dagmar Peters.

Quelle:
DR