Angesichts weiterhin ansteigender Fälle von Entführungen und Zwangsverheiratungen junger Frauen und Mädchen aus religiösen Minderheiten in Pakistan haben vor wenigen Wochen mehr als dreißig Organisationen einen Appell an die pakistanische Regierung gerichtet. Sie fordern, diese Vorfälle einheitlich zu dokumentieren und dem Parlament vorzulegen. Unter den Organisationen befindet sich auch die Kommission für Gerechtigkeit und Frieden der Pakistanischen Bischofskonferenz, die vom weltweiten katholischen Hilfswerk "Kirche in Not" (ACN) unterstützt wird.
Laut einem Bericht, der dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen im Sommer vorgelegt wurde, sind für 2021 mindestens 78 Fälle belegt, bei denen junge Frauen in Pakistan entführt, zur Konversion zum Islam gezwungen und zwangsverheiratet wurden. Autor der Studie ist das Zentrum für soziale Gerechtigkeit (CJS) in Lahore; für 2022 liegen dort aktuell noch keine Zahlen vor. Betroffen sind vor allem junge Frauen aus der christlichen oder hinduistischen Minderheit. Der Bevölkerungsanteil der Christen in Pakistan liegt bei rund zwei Prozent.
Hohe Dunkelziffer
Beobachter nehmen an, dass die tatsächliche Zahl der Entführungen weit höher sein dürfte, da viele Taten nicht bei der Polizei gemeldet werden. Andere Studien nennen weit höhere Zahlen, die jedoch nicht im Einzelfall nachgeprüft werden können. Der Direktor der Kommission für Gerechtigkeit und Frieden der pakistanischen Bischofskonferenz, Emmanuel Yousaf, beschrieb gegenüber "Kirche in Not" die gegenwärtige Lage: "Es gibt Gesetze, um gegen die Täter vorzugehen, aber sie werden zu wenig umgesetzt. Ein Grund dafür ist, dass diese Gewalt ausschließlich christliche oder hinduistische Frauen und Mädchen betrifft. Der Druck geht stark von der Gesellschaft in Pakistan und der muslimischen Seite aus. Sie setzen die Familien und die Mädchen unter Druck, und deshalb bleiben solche Taten oft unentdeckt."
Eines der Entführungsopfer ist die 14-jährige Christin Mehwish Bibi. Sie stammt aus Sheikhupura in der Provinz Punjab im Nordosten Pakistans. Um ihre junge Familie zu unterstützen, arbeitete die junge Frau als Kindermädchen. Am 4. August 2021 bot ihr ein muslimischer Nachbar an, sie mit dem Auto an ihre Arbeitsstelle mitzunehmen. "Er bot mir ein Getränk an. Es war mit starken Beruhigungsmitteln versetzt und ich weiß nicht mehr, was dann geschah", berichtet Mehwish.
Ihr Entführer brachte sie in die 140 Kilometer entfernte Stadt Sargodha; dort wurde das Mädchen in einem Lieferwagen gefangen gehalten. "Ich habe mich gegen ihn gewehrt, aber er hat mir immer etwas ins Essen getan, und geschlagen hat er mich auch", erzählt die junge Christin. Eine Woche später sprach ihr Entführer bei den lokalen Behörden vor. Er hatte Dokumente dabei, die belegen sollten, dass Mehwish zum Islam konvertiert sei und ihn geheiratet habe.
Verfahren zur Befreiung dauern oft Monate
Nachdem ihre Eltern vom Aufenthalt und der Zwangsheirat ihrer Tochter erfahren hatten, wandten sie sich an die Einrichtung "Christians' True Spirit", die sich für entführte christliche Mädchen einsetzt. Diese beantragte bei Gericht die Auflösung der Ehe – und bekam Recht. Behörden und Gerichte in Pakistan sind nach Angaben lokaler Gesprächspartner sensibler für Fälle von Zwangsverheiratungen und -konversionen geworden. Doch oft ziehen sich entsprechende Verfahren über Monate hin; das Martyrium der jungen Frauen geht in der Zwischenzeit weiter.
Seit rund einem Jahr lebt Mehwish in einer Unterkunft von "Christians' True Spirit" in Lahore, in der sieben weitere Frauen Zuflucht gefunden haben. In ihre Familie kann sie aktuell noch nicht zurück: Oft werden die Entführungsopfer und ihre Angehörigen weiter bedroht oder sind sozial stigmatisiert.
Die Psychologin Aghania Rafaqat betreut Mehwish und ihre Leidensgenossinnen. Sie berichtet: "Manche meiner Klientinnen sind aggressiv und bekommen Weinkrämpfe. Sie erleben tiefe Traurigkeit und haben große Angst vor der Zukunft. Die Albträume führen nicht selten zu schweren psychischen Störungen." Eine Zeitlang hatte Mewish Angst vor jedem fremden Mann: "Ich geriet in Panik, wenn Elektriker oder Klempner in unsere Unterkunft kamen, um etwas zu reparieren." Ihr Zustand hat sich etwas gebessert; sie überlegt aktuell, ob sie eine Ausbildung als Schneiderin oder Köchin beginnen soll.
"Ich habe mich geweigert, meinen christlichen Glauben aufzugeben"
Mewishs Mitbewohnerin Shumaim Lazir, ebenfalls 14, hat sich bereits für eine Schneiderlehre entschieden – trotz der traumatischen Erfahrungen, die sie Anfang 2022 durchleiden musste. Sie war in Rahwali, etwa 100 Kilometer von Lahore entfernt, drei Tage lang von zwei muslimischen Männern vergewaltigt worden. Einer der Täter, ein 36-Jähriger, befindet sich in Haft, der andere ist noch auf freiem Fuß.
"Einer der Männer wollte mich heiraten, aber ich habe mich geweigert, meinen christlichen Glauben aufzugeben", berichtet Shumaim.
Psychologin Aghania Rafaqat zufolge werden sich die betroffenen jungen Frauen trotz aller Fortschritte nie ganz erholen können: "Sie können die Traumata nicht vergessen. Ich kann ihnen nur dabei helfen, die Situation zu akzeptieren und weiterzuleben." Dabei spiele auch die religiöse Dimension eine Rolle: "Ihre Hand zu halten und mit ihnen zu beten, ist oft auch sehr hilfreich."