Den Streit zwischen Papst, Kaiser und Franziskanerorden um die Armut Christi und den Besitz der Kirche hat Umberto Eco in "Der Name der Rose" einem breiten Publikum nahegebracht. Der Roman spielt 1327, auf dem Höhepunkt des sogenannten Armutsstreits.
Der Südfranzose Jacques Dueze, "Fuchs von Cahors" genannt, war das Finanz- und Verwaltungsgenie unter den Päpsten des Mittelalters. Gewählt 1316 mit schon 72 Jahren, regierte Johannes XXII. dennoch über 18 Jahre mit äußerster Tatkraft.
Wohltäter der Armen
Seine Unhöflichkeit und Strenge, seine Vetternwirtschaft und Raffgier – bei zugleich totaler persönlicher Anspruchslosigkeit – machten ihn vielen verhasst. Zugleich war er ein ausgesprochener Wohltäter der Armen. Der gewiefte Jurist und Verwaltungsexperte baute die päpstlichen Finanzinstrumente wie den Pfründen- und Ablasshandel konsequent aus. Den riesigen Papstpalast errichteten erst seine Nachfolger – mit jenem Geld, das er in 18 Jahren Amtszeit anhäufte.
Der sogenannte Armutsstreit nahm seinen Ausgang in Italien, in der hohen Zeit der Wanderprediger und der Verfolgung von "Irrlehrern". Die Franziskaner mit ihrem Ideal der Armut Christi waren als neue geistliche Kraft auf den Plan getreten – und befanden sich doch bereits in einer schweren inneren Krise. Dem Weltklerus waren die "Bettelorden" ein Dorn im Auge.
Die sogenannten Spiritualen, eine geistig starke Strömung innerhalb des Ordens, wollten zurückkehren zum radikalen Gründungsideal der Armut des heiligen Franziskus (1181/82-1226). Im Kern stand die Frage: Wenn Jesus keinen privaten Besitz hatte, muss dann nicht auch die Kirche arm sein?
Eine solche Sichtweise musste dem "Finanzpapst" Johannes XXII. ein Dorn im Auge sein. Gut ein Jahr nach seinem Amtsantritt legte er im Oktober 1317 mit seiner Bulle "Quorundam exigit" den Grundstein für eine jahrzehntelange Auseinandersetzung mit Franziskaner-Theologen wie Marsilius von Padua, William von Ockham und Ordensgeneral Michael von Cesena.
Zur Wiederherstellung der Ordensdisziplin griff Johannes XXII. tief in die inneren Angelegenheiten der Franziskaner ein und ordnete eine Unterwerfung der Spiritualen unter die gängige Praxis an: Armut bedeute nicht komplette Besitzlosigkeit des Ordens – die nicht praktikabel sei – sondern persönliche Besitzlosigkeit des Einzelnen.
Bettelorden wurde über Nacht wohlhabend
Um der Einheit des Ordens willen setzte der neue Franziskanergeneral Michael von Cesena das Papstdekret konsequent um – obwohl er persönlich mit den Spiritualen sympathisierte. Doch die Diskussion kam damit keineswegs zum Ende. Vor 700 Jahren, am 6. Juni 1322, erklärte Ordensgeneral Michael von Cesena feierlich, Christus und die Apostel hätten keinerlei weltliche Güter besessen.
Die Reaktion des Papstes war typisch für den "Fuchs von Cahors": Der Kirchenrechtler hob das (freilich theoretische) Eigentumsrecht der Päpste respektive der Gesamtkirche an allem Besitz des Franziskanerordens auf (Konstitution "Ad conditorem canonum" vom 8. Dezember 1322). Damit wurde der "Bettelorden" der Franziskaner über Nacht unweigerlich wohlhabend.
Und am 13. November 1323 setzte der Papst mit der Bulle "Cum inter nonnullos" einen Deckel drauf, indem er die Armut Christi grundsätzlich verneinte. Anderes zu behaupten sei Häresie.
Machtkampf zwischen Papst und Kaiser
Politisch verquickt war der Armutsstreit zusätzlich mit dem letzten großen Machtkampf zwischen Papst und Kaiser. Im deutschen Thronstreit stellte sich Johannes XXII. gegen den gewählten König Ludwig den Bayern – der sich umgekehrt in den Papst verbiss und in Rom einen Gegenpapst zu etablieren versuchte.
Doch auf dem Territorium des jeweils anderen war nichts auszurichten, außer den Kontrahenten mit den stumpf gewordenen Waffen früherer Jahrhunderte zu attackieren: Häresievorwürfe, Absetzungserklärungen, Exkommunikation. Die Franziskaner-Spiritualen – inklusive dem General Michael – suchten Zuflucht an Ludwigs Hof in München, von wo sie ihren Kampf gegen den Papst mit Streitschriften weiterführten.
Der Armutsstreit in der Kirche ist über die Jahrhunderte in vielen Varianten neu aufs Tapet gekommen; sei es während der Reformation, der Französischen Revolution oder mit der Theologie der Befreiung. Die Päpste Benedikt XVI. und Franziskus haben der Diskussion zuletzt neue Facetten hinzugefügt: der deutsche Papst durch seine Freiburger Rede 2011 über die "Entweltlichung" einer verbeamteten Kirche in Deutschland; und der lateinamerikanische Papst mit seinen Kleinwagen und seinen Reden über eine "verbeulte Kirche" im Einsatz für die Armen.