KNA: Der anglikanische Vertreter in Rom, Erzbischof Ian Ernest, hat das Dokument als großen Erfolg bezeichnet. Worin besteht dieser Erfolg?
Kurt Kardinal Koch (Präfekt des Dikasteriums zur Förderung der Einheit der Christen): Er besteht darin, dass ausgerechnet das Papstamt, das lange Zeit als das größte Hindernis für die Einheit der Christen betrachtet wurde, nun zu einer bedeutsamen Möglichkeit wird, um diese Einheit zu fördern und sichtbarer zu machen.
KNA: Gilt das für alle christlichen Kirchen in gleicher Weise?
Koch: Am leichtesten zu akzeptieren ist das gewiss für die Orthodoxen. Sie kennen seit jeher eine Rangordnung der "Sitze" der Apostelnachfolger. In dieser Rangordnung ist auch nach orthodoxer Lehre Rom der erste Sitz, dann folgt Konstantinopel, dann Alexandria usw. Von daher können sie auch verstehen, dass Rom eine besondere Aufgabe hat. Es besteht im Prinzip bereits Konsens darüber, dass der Papst Primus inter pares sein kann.
KNA: Der Kirchenhistoriker Hubert Wolf hat sich sehr kritisch zu dem neuen Vatikanpapier geäußert und eine klarere Abkehr von den Lehren des Ersten Vatikanischen Konzils über das Papstamt gefordert. Hat er Recht?
Koch: Es hat mich schon seltsam berührt, dass ausgerechnet ein Kirchenhistoriker den Vorschlag, die Lehren dieses Konzils vor ihrem geschichtlichen Hintergrund zu betrachten und neu zu situieren, als völlig ungenügend beurteilt und gleichsam eine Revolution fordert. Dass ein Historiker so argumentiert, erstaunt mich, denn gerade die Einordnung von Glaubensaussagen in den historischen Kontext ihrer Entstehung hat in der Ökumene immer wieder geholfen, im Dialog weiterzukommen.
KNA: Die vatikanischen Vorschläge zur Verwirklichung eines ökumenischen Papstamtes wirken insgesamt sehr vorsichtig...
Koch: Tatsächlich sind die Vorschläge von uns sehr sanft formuliert worden, auch aus Rücksicht, damit die anderen Kirchen nicht den Eindruck gewinnen, als hätten wir schon ein fertiges Programm und wollten ihnen das auferlegen. Mit dem Dokument sollte deutlich werden: Hier sind unsere Vorschläge, nun warten wir auf eure Reaktionen, aber wir haben noch kein volles Programm.
KNA: Was würde es denn eigentlich bringen, wenn die christlichen Kirchen den Papst als eine Art Ehrenoberhaupt hätten?
Koch: In der heutigen globalisierten Zeit ist die katholische Kirche der größte Global Player unter den Kirchen.
KNA: Was heißt das konkret?
Koch: Der Papst hat in der Ökumene bereits eine besondere Rolle und übt faktisch einen Primat aus. Man sieht dies daran, dass viele Repräsentanten anderer Kirchen nach Rom kommen und den Papst besuchen wollen. Initiativen wie die Einladungen des Papstes an andere Kirchenoberhäupter zum Gebet um den Frieden nach Assisi zeigen ja, dass der Papst in der Weltökumene bereits eine besondere Rolle spielt. Sie über solche einzelnen Anlässe hinaus deutlicher zu institutionalisieren, könnte eine weiterführende Sache sein.
KNA: Zurück zum Ehrenprimat: Wie soll der verwirklicht werden? Sollte das ein «all-christliches Konzil» beschließen, oder ist es realistischer, dass Rom erst mit einer Kirche eine entsprechende Vereinbarung unterzeichnet, der dann nach und nach weitere Kirchen beitreten würden?
Koch: An sich wäre natürlich ein Zusammengehen von allen Kirchen ideal. Ich denke aber, dass der schrittweise Weg realistischer ist. Dann muss aber sensibel darauf geschaut werden, dass sich auf diesem Weg niemand ausgeschlossen oder abgehängt fühlt. Und es wird entscheidend sein, gemeinsam festzulegen, welches die Kompetenzen eines Primus inter pares sein sollen. Ein reiner Ehrenprimat funktioniert nach meiner Überzeugung gleichsam nur bei schönem Wetter.
KNA: Welche Kompetenzen sollten dies sein?
Koch: Das kann die katholische Kirche nicht für sich allein, sondern nur im Dialog festlegen. Zwei wesentliche Kompetenzen, die sich aus der Geschichte ergeben, wären die Kompetenz, eine allgemeine Versammlung der Kirchen einzuberufen und ihr vorzustehen, und die Aufgabe einer Schlichtung in Konfliktfällen. Beides hat es in der Kirchengeschichte bereits gegeben.
KNA: Ein wichtiges Datum ist das 1.700-jährige Jubiläum des Konzils von Nicäa im kommenden Jahr. Was erhoffen Sie sich von diesem Datum?
Koch: Meine maximale Hoffnung wäre, dass das Jubiläum dieses Konzils, das ja alle christlichen Kirchen betrifft, nicht nur die östlichen Kirchen und Rom umfasst, sondern auch die protestantischen Kirchen. Doch wie und wann das Jubiläum gefeiert werden wird, ist noch offen. Wenn es in Nicäa stattfinden könnte, braucht es die Erlaubnis der türkischen Regierung. Als mögliches Datum ist der Zeitraum Erste Hälfte Juni im Gespräch.
KNA: Wann wird es denn, jenseits dieser Jubiläumsfeier, das erste Treffen der christlichen Kirchenführer auf Einladung des Papstes geben? Werden wir das noch erleben?
Koch: Ich habe gelernt, dass es nicht hilfreich ist, bei ökumenischen Prozessen Zeitansagen zu machen, und schon gar nicht einseitig. Der eigentliche Ökumene-Minister ist ohnehin der Heilige Geist. Dessen zeitliche Agenda kenne ich jedoch nicht so genau – und die möglichen Überraschungen von Papst Franziskus übrigens auch nicht.
Das Interview führte Ludwig Ring-Eifel.