Karfreitagsliturgie im Kölner Dom

Leiden und Sterben Jesu unter großer Anteilnahme gefeiert

So einen vollen Dom hat es lange nicht mehr gegeben. Am Karfreitag haben sich weit mehr als 1000 Menschen zur Feier der Liturgie vom Leiden und Sterben Jesu in Kölns Kathedrale versammelt.

Autor/in:
Beatrice Tomasetti
Karfreitag 2022 im Kölner Dom / © Beatrice Tomasetti (DR)
Karfreitag 2022 im Kölner Dom / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Die Nachmittagssonne taucht den Innenraum in ein warmes Licht und zeigt ihn ungewöhnlich karg: ohne jeden Altar- oder Blumenschmuck wie sonst üblich. Die vielen auch internationalen Gottesdienstteilnehmer aus allen Kontinenten – dazwischen auch der eine oder andere Tourist von der Domplatte – füllen bereits eine halbe Stunde vor Liturgiebeginn die Bankreihen, um die Todesstunde Jesu im Kölns Kathedrale mitzufeiern. Trotz der Menge herrscht eine feierliche Stille, obwohl im Minutentakt immer noch mehr Menschen in die Kirche strömen. Aber alles läuft ruhig ab. Kurz, bevor es losgeht, ist jeder Sitzplatz – auch in den hinteren Ausläufern der Seitenschiffe – besetzt. Hier wird um 15 Uhr – die Evangelien überliefern, es sei um die neunte Stunde gewesen – des Leidens und Sterbens Jesus gedacht.

Der Karfreitag, der erste Tag des sogenannten "Triduum Sacrum", der drei Heiligen Tage, die in höchster symbolischer Verdichtung die Kernbotschaft des christlichen Glaubens von Leiden, Tod und Auferstehung Jesu Christi symbolisieren, leitet sich von dem althochdeutschen "kara" ab, was so viel bedeutet wie Klage, Kummer oder Trauer. Den Berichten der Evangelisten zufolge endete Jesu Leben an diesem Tag mit seiner Hinrichtung durch das Kreuz. Doch zuvor wird er gefangen genommen und vor den römischen Statthalter Pontius Pilatus gebracht. Als Vertreter der Besetzungsmacht Rom ist Pilatus die wichtigste weltliche Machtinstanz in Jerusalem. Er soll über Jesus richten. Die Pharisäer schaffen es, die Menschen gegen Jesus aufzuwiegeln. So fordert die Menge schließlich seinen Tod und Pilatus spricht sein Urteil: Der Sohn Gottes wird gegeißelt und muss sein Kreuz selbst auf den Hügel Golgotha – auf deutsch: Schädelhöhe – tragen. Im Kölner Dom wird diese Passionsgeschichte nach Johannes eindrucksvoll in der musikalischen Version des Komponisten Hermann Schroeder vorgetragen: mit Domkapellmeister Eberhard Metternich in der Christusrolle, Domkantor Oliver Sperling als Erzähler und Benedict Nagel, der unter anderem Pontius Pilatus seine Stimme gibt.

Feier des Triduums mit liturgischen Besonderheiten

Das Johannes-Evangelium bildet auch den zentralen Text der Karfreitagsliturgie. Noch deutlicher als die anderen Evangelien zeigt es, dass sich Jesus mit vollem Bewusstsein freiwillig dem Tod ausliefert. Souverän steht er seinen Anklägern und Richtern gegenüber. Niemand kann ihm das Leben entreißen, er selbst gibt es hin. Nach der Darstellung von Johannes starb Jesus zu der Stunde, als im Tempel die Lämmer für das Paschamahl geschlachtet wurden. Er selbst ist das wahre Osterlamm, sein Blut ist der Preis für unsere Rettung.

Schweigend ist die Prozession mit Ministranten, Seminaristen, Domkapitularen, den Bischöfen und Kardinal Woelki zuvor eingezogen. In der Vierung angekommen, streckt sich der Erzbischof auf dem Boden aus – als Zeichen der Demut und Hingabe. Statt der üblichen Kniebeuge legt er sich flach vor den Altar. Alle verharren in Stille. Anschließend steht er auf und betet das Tagesgebet – ohne Kreuzzeichen, Begrüßung oder Einleitung. Was deutlich macht: Diese Gestaltung der Todesstunde unterscheidet sich fundamental von allen anderen liturgischen Feiern – wie sich überhaupt die ganze Karwoche theologisch und auch liturgisch als Ausnahmesituation beschreiben lässt, zumal die Feier des österlichen Triduums in jedem Jahr eine Aneinanderreihung von liturgischen Besonderheiten ist.

Lesungstexte mit Bezug zum Leiden und Sterben Jesu

So kennt die Kirche am Karfreitag keine Eucharistiefeier. Der Altar ist abgeräumt, die Glocken schweigen, der geöffnete Tabernakel ist leer. Mit seinem Sterben, das der Gottessohn als bewusste Lebenshingabe vollzieht, löst er ein, was er beim Abendmahlssaal vorweggenommen hat: Er gibt seinen Leib und er vergießt sein Blut für uns. Dann wird er ans Kreuz genagelt und ruft, bevor er stirbt: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" Im Anschluss wird er in einer Höhle beigesetzt. Im Kölner Dom findet die Grablegung an der 14. Kreuzwegstation unter dem Nordturm statt.

Alle Lesungstexte der Karfreitagsliturgie nehmen Bezug auf das Leiden und Sterben Jesu Christi. Die erste Lesung aus dem Buch Jesaja spricht vom Gottesknecht, der wegen der Vergehen durchbohrt wurde. Dieser Text wird von den Christen auf den gekreuzigten Jesus bezogen. Die zweite Lesung aus dem Hebräerbrief betont, wie sehr Gott in Jesus das Menschenschicksal geteilt hat. Weder Versuchung noch Todesangst blieben ihm fremd. Indem er sie aber trotzdem am Weg des Kreuzes festgehalten hat, konnte er zum Erlöser werden

Zusätzliche Fürbitte für die Menschen in der Ukraine

Ein weiteres zentrales Element dieses Wortgottesdienstes sind nach den Lesungen und der Passion die "Großen Fürbitten", denen in diesem Jahr aus aktuellem Anlass eine zusätzliche Bitte "Für die Menschen in den Kriegsgebieten" hinzugefügt ist. In besonderer Weise wird für die Menschen in der Ukraine gebetet: "für alle, die vor dem Schrecken der Gewalt geflohen und ihrer Heimat beraubt sind; für alle, die mit ihrem Leben einstehen für die Abwehr des Feindes und für den Schutz der Schwachen und Verfolgten". Zuvor ist außerdem für die Kirche, den Papst, alle Stände der Kirche, für die Katechumenen, die Einheit der Christen, für die Juden, für alle, die nicht an Christus glauben, für die Regierenden und für alle notleidenden Menschen gebetet worden. Charakteristisch ist dabei die sich stets wiederholende Aufforderung des Lektors an die Gläubigen "Beuget die Knie … Erhebet euch!" Seit 2010 haben die deutschen Bischöfe dreimal eine solche Sonderbitte formuliert: Die erste galt dem sexuellen Missbrauch in der Kirche, 2020 dann eine den von der Corona-Pandemie Betroffenen und nun diese, die die Opfer des russischen Angriffskrieges und Menschen in allen Kriegsgebieten der Erde in den Blick nimmt.

Die Kreuzverehrung bildet den zweiten Teil der Feier. Dabei enthüllt Kardinal Woelki – nun nur noch in Albe und Stola – in drei Stationen ein großes Holzkreuz mit der Darstellung des Gekreuzigten, vor dem er schließlich niederkniet und es küsst. Nach ihm haben auch alle anderen Mitfeiernden Gelegenheit, prozessionsweise zum Kreuz zu treten und dem Gekreuzigten mit einer Kniebeuge zu huldigen, bis es dann mit zwei brennenden Kerzen auf den Altar gestellt wird, während der Chor Gesänge zur Kreuzverehrung anstimmt.

Grablegung mit Schlusschoral aus Bachs Johannes-Passion

Kein Instrument, auch nicht die Orgel, soll die Trauer übertönen, hatte noch vor Beginn der Feier ein Seminarist vom Ambo aus erläutert; die Lieder singe ausschließlich der Chor. Diesmal steht dafür der Kölner Domchor unter der Leitung von Metternich und seiner Assistentin Anna Goeke auf dem Podest im Südquerhaus bereit. Sie haben Trauergesänge vorbereitet, die nun bei diesem zentralen Bestandteil der Feier, zum Einsatz kommen: "Ecce lignum crucis" und "Oh, du hochheilig Kreuze" aus dem Gotteslob etwa oder "Tristis est anima mea" von Orlando di Lasso sowie "O crux ave" von Palestrina gehören dazu und begleiten den Weg der Gemeinde zum Kreuz, das in der Mitte der Kommunionbank von Ministranten gehalten wird.

Nach der Austeilung der heiligen Kommunion durch alle Bischöfe folgt der letzte Akt: die Grablegung an der 14. Kreuzwegstation. Auch dieser Gang durch den Dom erfolgt schweigend und in Prozession. In der Bibel heißt es dazu: Josef hüllt den Leichnam in ein sauberes Leinentuch, legt ihn in ein neues Felsengrab und schiebt einen großen Stein davor. Maria Magdalena und Maria, die Mutter Jesu, beobachten, wohin Josef den Leichnam bringt. Am Tag danach kommen die Hohepriester und Pharisäer zu Pilatus und fordern Wachen für Jesu Grab. Sie erinnern ihn an die Prophezeiung, dass Jesus nach drei Tagen auferstehen wird. Das Grab wird versiegelt und die Wächter davor postiert.

Im Kölner Dom kommt an dieser Stelle dann das, was alle längst kennen, die in jedem Jahr mit dabei sind, wenn des Leidens und Sterbens Jesu gedacht wird. Ein letztes Mal hat der Chor seinen Einsatz – nun mit dem Schlusschoral aus der Johannes-Passion von Bach, der traditionell diese Feier besiegelt: "Ach Herr, lass dein lieb Engelein…"

Quelle:
DR
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