kfd-Vorsitzende fordert klare Konsequenzen aus Gutachten

"Wirklich handfeste Änderungen nötig"

Nach der Veröffentlichung des Münchener Missbrauchsgutachtens fordert die kfd die Kirche erneut zum Handeln auf. Dass der emeritierte Papst Benedikt ebenfalls belastet wird, wundert die kfd-Vorsitzende Mechthild Heil nicht.

Mechthild Heil / © Julia Steinbrecht (KNA)
Mechthild Heil / © Julia Steinbrecht ( KNA )

DOMRADIO.DE: Wirklich überraschend kam das ja alles nicht, aber was macht Sie persönlich jetzt besonders betroffen?

Mechthild Heil (Vorsitzende der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands): Persönlich macht mich betroffen, dass wir schon so lange, so viele Jahre, man kann ja fast sagen Jahrzehnte darüber sprechen. Aber das, was sich wirklich verändert für die Betroffenen und auf Seiten der Strukturen in der Kirche, geht ganz langsam voran. Da ist so eine gewisse Disharmonie kann man sagen. Das gefällt mir überhaupt nicht. Es müsste viel schneller gehen.

DOMRADIO.DE: Spielt es aus Ihrer Perspektive auch eine besondere Rolle, dass auch Joseph Ratzinger, der spätere Papst, an Vertuschungen beteiligt war?

Heil: Nein, eigentlich nicht. Ich meine, das ist jetzt öffentlich wirksam, aber das ist klar. Eigentlich fast die ganze Struktur und alle, die da waren, sind Teil davon und waren mehr oder weniger mitbeteiligt. Es wird wohl schwierig sein, jemanden zu finden, der eben nicht an dem System beteiligt war. Das wundert mich jetzt nicht, dass unser Papst auch daran beteiligt war.

Mechthild Heil

"Es wird wohl schwierig sein, jemanden zu finden, der eben nicht an dem System beteiligt war."

DOMRADIO.DE: Der amtierende Münchner Erzbischof Marx hat angekündigt, dass er das Gutachten jetzt im Detail studiert und am kommenden Donnerstag dazu Stellung beziehen wird. Was muss er denn in Ihren Augen tun? Noch mal seinen Rücktritt anbieten?

Heil: Ich glaube, es ist nicht mehr die Zeit, einfach Gutachten zu studieren. So gut ich es jetzt finde, dass es wieder einen Gutachten gibt: Eigentlich liegt seit Jahren alles auf den Tisch. Es muss gehandelt werden. Jetzt ist Max nicht derjenige, der das Handeln verhindert. Das kann man wirklich nicht sagen, aber er muss viel mehr Mitstreiter finden. Die Bischofskonferenz, jeder Priester, die ganze katholische Kirche bis hinauf zum Papst. Die müssen handeln und wenigstens sagen: Wir entschuldigen uns, das ist ein großes Leid. Und dann aber auch in der Struktur Dinge ändern.

DOMRADIO.DE: Mit den Erkenntnissen aus dem Gutachten ist ein neuer Tiefpunkt in der Krise der katholischen Kirche erreicht, kann man sagen. Wie soll und kann es jetzt in dieser Situation weitergehen?

Heil: Nein, ganz ehrlich, der Tiefpunkt ist schon längst erreicht. Der wird nicht erreicht durch immer wieder neue Gutachten. Die Öffentlichkeit und wir Christen wissen ja, was passiert ist. Der Tiefpunkt ist erreicht, weil es keine Entschuldigung gibt. Weil man nicht sagt: So, das ist auch ein institutionelles Versagen und da müssen wir dran. Das erwarte ich einfach, dass man sagt: Die Laien sind verurteilt worden. Auch im kirchlichen Raum ist man gegen die Laien vorgegangen. Wir müssen genauso gegen die Priester, also gegen die Nicht-Laien vorgehen. Wir müssen sagen: Okay, wir brauchen endlich eine Ombudsstelle. Es muss in jedem Bistum jemand sein, der dann hinhört. Die Geschädigten werden ihr ganzes Leben lang leiden. Die müssen endlich Geld bekommen und es muss klar sein, aus welchem Topf das Geld bezahlt wird. Es gibt da wirklich genug zu tun und das alles geht nur schleppend voran. Und das ist nicht mehr zu akzeptieren. Deswegen laufen die Leute auch aus der Kirche weg.

Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd)

Die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd) ist mit rund 265.000 Mitgliedern der größte katholische Frauenverband und einer der größten Frauenverbände Deutschlands. Wir machen uns stark für die Interessen von Frauen in Kirche, Politik und Gesellschaft und setzen uns für ihre Rechte ein.

Die kfd ist eine Gemeinschaft, die trägt und in der sich Frauen in vielfältigen Lebenssituationen gegenseitig unterstützen. Sie ist der Frauenort in der Kirche, offen für Suchende und Fragende.  

Ein Plakat der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd) / © Julia Steinbrecht (KNA)
Ein Plakat der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd) / © Julia Steinbrecht ( KNA )

DOMRADIO.DE: Haben Sie den Eindruck, dass sich in Folge der verschiedenen Berichte aus den unterschiedlichen Bistümern immer noch wirklich nichts oder wenig verändert hat?

Heil: Es fängt ja langsam an, sich zu verändern, aber - das sage ich ja - es ist einfach zu langsam. Und wenn ich dann jetzt höre, wie man damit umgeht, dass das Gutachten nicht entgegengenommen wird, dass man jetzt - auch als ehemaliger Papst - anfängt zu sagen: Menschn, ich war ja bei der Sitzung, aber bei dem Punkt war ich nicht da. Oder Einwände: Bei dem Punkt wurde aber nur darüber gesprochen, ob wir da dem Priester, der in Rede steht, eine Wohnung geben, aber nicht über den Missbrauch selber. Das interessiert eigentlich gar keinen. Fakt ist doch: Jeder Normale hätte gefragt: Wieso wird er denn versetzt zu uns? In welche Therapie kommt der? Wenn wir dem Heimstatt geben, müssen wir doch was tun. Wir müssen ihn doch so einhausen, dass der nicht mehr mit Kindern in Kontakt kommt oder mit Menschen in Kontakt kommt, wo er seine Macht ausspielen kann und noch einen sexuellen Übergriff vollziehen kann. Das ist doch die Grundlage und da interessiert es doch wirklich nicht mehr, was da in dem Protokoll steht.

DOMRADIO.DE: Also zu viel Bürokratie?

Heil: Zu wenig Mut und zu wenig Rückgrat, zu sagen: "Ich bin schuldig geworden." Wenn nicht persönlich, aber doch wenigstens im institutionellen Versagen.

DOMRADIO.DE: Sie sprechen für einen großen katholischen Frauenverband. Kommt da manchmal auch der Gedanke auf, dass Männer das Vertrauen in die Kirche verspielt haben und es allerhöchste Zeit ist, dass Frauen übernehmen, um neues Vertrauen aufzubauen?

Heil: Ich glaube, wir Frauen haben noch Vertrauen, aber natürlich ist das zu kurz gesprungen. Wenn man ehrlich hinguckt, werden auch Frauen in den Gemeinden manches gesehen haben und nicht laut genug dagegen opponiert haben. Jetzt kann man sagen, das war die Zeit. Aber wir Frauen haben jetzt auch für uns angefangen zu sagen: Wo müssen wir denn vor der eigenen Tür kehren und wo liegt denn unsere Schuld? Auch in der Struktur. Deswegen, so schwarz-weiß ist es nicht, sondern es hat etwas mit Macht zu tun.

DOMRADIO.DE: Die Wünsche, die Sie gerade schon geäußert haben, sind nachvollziehbar. Das Tempo ist zu langsam, sagen Sie. Inwieweit kommt man aus diesem Dilemma denn heraus? Sehen Sie da Möglichkeiten?

Heil: Ja, ich sehe schon Möglichkeiten. Bleiben wir mal in der Deutschen Kirche, bei der Bischofskonferenz: dann müssen aber alle dann mitziehen, alle Bischöfe. Und nicht noch ein paar sagen: "Nee, das ist ja nicht so schlimm. Und es geht eigentlich nur um den Zusammenhalt unserer Institutionen. Es geht nicht um die Menschen, es geht nicht um die Betroffenen. Es geht nicht um Strafverfolgung, sondern es geht um das Ansehen unserer Kirche. Und da darf eben nichts nach außen treten. Und wir müssen das alte System stabilisieren." Wenn das das Denken bleibt, dann haben wir verloren, dann geht die Entwicklung genauso weiter. Aber wenn die Bischöfe sich dazu durchringen würden und sagen würden: "Wir wollen eine Änderung. Wir kämpfen jetzt mit offenem Visier. Wir bekennen uns schuldig. Wir gehen auf die Betroffenen zu und wir versetzen uns mal in deren Lage." Dann hätten wir wirklich gewonnen. Und das heißt aber wirklich: Geld, Ombudsstelle, Anlaufstellen, wirklich handfeste Änderungen.

Das Interview führte Dagmar Peters.

Quelle:
DR
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