DOMRADIO.DE: Das, was gestern in Mannheim passiert ist, macht uns alle fassungslos und tief betroffen. Wie kann man in so einer Situation tröstende Worte finden?

Karl Jung (katholischer Dekan Mannheim): Das macht fassungslos. So geht es auch vielen Menschen in Mannheim. Angst und Unsicherheit breiten sich aus. In solch einer Situation ist es wichtig, dass wir als Kirche einen Raum schaffen, in dem Menschen zusammenkommen, beten und ihren Schmerz, Ärger und all das, was durch diese sinnlose Tat in ihnen aufsteigt, ausdrücken können.
Wir möchten den Menschen auch Hoffnung geben, dass ein gemeinsames Leben ohne solche schrecklichen Vorkommnisse, wie Attentate und Amokfahrten, möglich ist.
DOMRADIO.DE: Zwei unschuldige Menschen wurden so aus dem Leben gerissen. Wie kann Gott so etwas zulassen? Wie gehen Sie mit dieser Frage um?
Jung: Ich weiß, dass diese Frage aufkommt. Sie steht tatsächlich im Raum. Aber es ist wichtig zu sagen, dass nicht Gott die Amokfahrt begangen hat, sondern ein Mensch, der anderen das Leben genommen hat. Warum das passiert ist, weiß ich nicht. Das ist genau dieses Sinnlose.
Dass es unschuldige Menschen sind, die einfach da mit einbezogen waren. In solchen Momenten können wir nur beten, dass Gott in dieser Situation, im Tod und bei den Verletzten, gegenwärtig ist. Das ist unsere christliche Hoffnung.
DOMRADIO.DE: Mannheim trifft es besonders hart. Wir erinnern uns noch an das Attentat im Mai vergangenen Jahres, bei dem ein Polizist ums Leben kam. Und jetzt schon wieder? Das ist für die Mannheimer Bevölkerung bestimmt unfassbar.
Jung: Ja, das ist richtig. Es macht einfach fassungslos. Die Menschen werden immer verunsicherter. Kann man noch in die Innenstadt gehen? Was bewegt solche Menschen, andere einfach zu töten? Diese Fragen sind sehr präsent und spielen eine große Rolle.
Aber das Ziel ist es, zu sagen: Nein, wir wollen uns von solchen schrecklichen Taten nicht auseinanderdividieren lassen. Wir wollen weiterhin ein Leben im Miteinander gestalten, in Freiheit und Frieden, ohne dass es zu solchen Gewaltexzessen kommt.
DOMRADIO.DE: Gibt es einen starken Zusammenhalt? Das hat man ja in anderen Städten schon festgestellt. Wie ist das in Mannheim?

Karl Jung: Das gibt es auf jeden Fall, und zwar über alle Religionen, Weltanschauungen und politischen Richtungen hinweg. In Mannheim herrscht ein großer Zusammenhalt, und das soll auch in der Andacht heute Abend zum Ausdruck kommen. Übrigens werden auch der Freiburger Erzbischof und die evangelische Landesbischöfin aus Karlsruhe dabei sein.
DOMRADIO.DE: Das heißt, auch die Religionen rücken zusammen. Ist es eine ökumenische Andacht? Sie sagten gerade, dass alle Religionen beteiligt sind. In Mannheim gibt es ja auch eine große muslimische Gemeinde.
Jung: Genau. Die Andacht heute Abend ist eine ökumenische Andacht. Aber grundsätzlich stehen wir in engem Kontakt und Dialog mit Muslimen, Juden und Aleviten. In Mannheim gibt es ein Forum der Religionen, in dem wir über solche Ereignisse und Fragen gemeinsam sprechen.
Es gibt auch schon entsprechende Verlautbarungen der muslimischen Gemeinden und auch von der jüdischen Gemeinde. Die Betroffenheit ist überall groß, und wir sprechen mit einer Stimme: Wir sind gegen Gewalt und lassen uns von solchen Gewaltexzessen nicht auseinanderbringen.
DOMRADIO.DE: "Unter dem Schatten deiner Flügel suchen wir Zuflucht" – dieses Bibelwort steht über dem ökumenischen Gottesdienst, den Sie gemeinsam mit dem evangelischen Dekan gestalten. Sie sagten auch, dass der Erzbischof aus Freiburg und die Landesbischöfin kommen werden. Heute um 17:30 Uhr laden Sie in die CityKirche Konkordien ein. Haben Sie sich schon Gedanken gemacht, wie Sie den Gottesdienst gestalten werden?
Jung: Es wird ein Gottesdienst der Stille sein, mit Musik, Momenten des Innehaltens und dem Anzünden von Kerzen. Jeder soll die Möglichkeit haben, das Licht der Hoffnung, das er in sich trägt, symbolisch in einer kleinen Kerze zum Ausdruck zu bringen. Im Mittelpunkt stehen ein Schriftwort, Klagepsalmen und kurze Gebete.
Wir wollen nicht viele Worte machen, denn es geht nicht darum, alles zu erklären, sondern darum, unser Leid, unseren Schmerz, unsere Trauer, aber auch unsere Hoffnung vor Gott zu bringen.
Das Interview führte Johannes Schröer.