DOMRADIO.DE: Der Koalitionsvertrag der wohl künftigen Regierung liegt seit vergangener Woche vor. Was ergibt sich daraus für die politische Arbeit der Kirchen?

Dr. Karin Wollschläger (Korrespondentin und Co-Leiterin des KNA-Hauptstadtbüros): Die Kirchen sind durch den Koalitionsvertrag eigentlich in eine recht komfortable Situation gekommen. Eine Liberalisierung der Abtreibungsregelung ist erst mal vom Tisch. An den anstehenden Regelungen zur Sterbehilfe wollen die Koalitionäre ebenfalls nicht rütteln. Und eine Ablösung der historischen Staatsleistungen für die Kirchen steht in dem Papier nicht mehr zur Disposition. Damit sind drei große Brocken erst mal weg.
Es gibt natürlich trotzdem Punkte, die die Kirchen kritisch sehen. Das sind gerade Themen, die Friedrich Merz als Bundeskanzler als erstes angehen will: zum einen die Abschaffung des deutschen Lieferkettengesetzes. Das ist aus kirchlicher Sicht ein No-Go. Zum zweiten die Großbaustelle Migrationspolitik. Da wird es in den kommenden Monaten sicher zu größeren Debatten zwischen der künftigen Regierung und den Kirchen kommen, weil diese schärfere Gangart, die Union und SPD anstreben, von den Kirchen so sicher nicht in allen Teilen mitgetragen werden wird, zum Beispiel eine Aussetzung des Familiennachzugs.
Insgesamt denke ich, dass die Kirche beim Thema Flüchtlinge, Asyl und Integration gute Möglichkeiten haben, sich mit einer klaren Haltung zu profilieren. Sie haben da ein Wächteramt, damit die Migrationspolitik menschenwürdig und rechtskonform gestaltet wird. Da haben die Kirchen eine klare Position, und diese christliche Perspektive ist meines Erachtens auch für viele Menschen in der Gesellschaft anschlussfähig.
DOMRADIO.DE: Ebenfalls eine klare Position hat die Kirche beim Thema des Klimaschutzes. Was sagt der Koalitionsvertrag dazu?
Wollschläger: Der Koalitionsvertrag rückt das Ankurbeln der Wirtschaft in den Vordergrund. Da muss man aufpassen, dass das nicht zulasten des Klimaschutzes geht. Bei der Frühjahrsvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz betonten die Bischöfe noch einmal, dass Umweltschutz kein Luxusproblem sei. Die Kirchen verstehen sich durchaus als Lobbyist für eine nachhaltige Klimapolitik. Auch weil der Klimawandel dramatische soziale Folgen nach sich zieht. Das hat die Kirche voll auf dem Schirm.
DOMRADIO.DE: Um das Entwicklungsministerium gab es Diskussionen über eine Abschaffung bzw. eine Eingliederung ins Auswärtige Amt. Laut Koalitionsvertrag bleibt es als eigenständiges Ministerium erhalten. Wie ist das zu bewerten?
Wollschläger: Die Kirchen und ihre Hilfswerke wie Misereor, Adveniat, Missio oder Brot für die Welt sind über den Erhalt natürlich sehr erfreut. Das war auch eine ihrer zentralen Forderungen während der Koalitionsverhandlungen in den vergangenen Wochen. Aber ob das der ausschlaggebende Grund für den Erhalt war ...? Ich habe gehört, dass eine Zusammenlegung von Entwicklungsministerium und Auswärtigem Amt einfach zu viel Zeit gekostet hätte, bis da alles organisatorisch von den Abläufen her wieder in Tritt gekommen wäre. Zeit, die man derzeit angesichts der Weltlage nicht hat. Es brennt an allen möglichen Stellen und die deutsche Außenpolitik muss jetzt sehr schnell wieder handlungsfähig sein – da kann man sich keine Reibungsverluste leisten.
DOMRADIO.DE: Der Koalitionsvertrag trägt den Titel: "Verantwortung für Deutschland". Wie deutest du das?
Wollschläger: Ich finde, dass die Koalitionäre damit gut und sensibel auf die Stimmung in der Bevölkerung reagiert haben. Es gibt viel Verunsicherung und viele Ängste durch die vielfältigen Krisen in der Welt. Außerdem erleben wir eine Transformationsmüdigkeit. Da sehnen sich viele nach Stabilität. Zum Vergleich - der Koalitionsvertrag der Ampel titelte: Mehr Fortschritt wagen. Ein solcher Titel würde heute wahrscheinlich bei vielen eher für Stöhnen und Ablehnung sorgen: 'Nicht noch mehr Veränderung'.
Allerdings bedeutet Verantwortung für Deutschland natürlich nicht, dass es keine Fortschritte mehr geben wird. Die braucht es weiterhin ganz dringend in vielen Bereichen. Diese müssen aber gut und verantwortungsvoll vermittelt werden, um die Bevölkerung mitzunehmen, damit auch wieder Vertrauen in Politik und in das politische Handeln wächst. Insofern gibt es einen gewissen Druck auf die künftige Bundesregierung, rasch zu liefern, aber eben auch verantwortungsvoll.
DOMRADIO.DE: Blicken wir noch auf das Personalkarussell. Wer wird denn am künftigen Kabinettstisch sitzen?
Wollschläger: Das wüsste ich auch gerne. Unter den Hauptstadtjournalisten geht es im Moment ein bisschen wie auf einem Basar zu. Es grassieren diverse und immer wieder neue Namenslisten, die untereinander verglichen werden. So richtig verlässlich ist das alles noch nicht. Das Einzige, was man durch den Koalitionsvertrag weiß, ist, welche Partei welches Ressort bekommt.
Wenn ich trotzdem einen Tipp abgeben soll, dann ist mein Tipp, dass Joe Chialo neuer Kulturstaatsminister und damit Nachfolger von Claudia Roth wird. Chialo ist CDU-Mann und derzeit in Berlin Kultursenator. 54 Jahre alt und ein politischer Quereinsteiger. Vorher war er Spitzenmanager in der Musikindustrie und ist bekennender Katholik. Interessanterweise beschloss er beim Pilgern auf dem Jakobsweg zu seinem 50. Geburtstag, sich mehr in der Politik zu engagieren, um Verantwortung zu übernehmen.
Das Interview führte Carsten Döpp.