DOMRADIO.DE: Warum ist es so schön und sinnvoll, über Religionsgrenzen hinweg gemeinsam zu beten?
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Carolin Hillenbrand (Theologin und Mitorganisatorin des Interreligiösen Gebets): Weil wir spüren, dass es uns Kraft gibt in diesen turbulenten und unsicheren Zeiten. Diese Kraft soll aber nicht nur für den schönen Moment bleiben, sondern wir gehen mit ihr hinaus und engagieren uns im aktuellen Kontext in unserer Gesellschaft. Das gemeinsame Gebet kann sehr stärkend und bereichernd sein und hoffentlich zu tollen Initiativen führen und Früchte tragen.
DOMRADIO.DE: Welche Religionsgemeinschaften beteiligen sich?
Hillenbrand: Es hat sich hier in Köln um uns herum schon richtiger interreligiöser Gebetskreis gebildet. Wir haben viele junge Leute dabei, von Jugendvereinigungen wie Co-Exister oder der Jesidischen Jugend NRW. Auch die Bahai-Community ist mit dabei, die Ahmadiyya Gemeinde und verschiedene jüdische Akteure.
Außerdem macht zum Beispiel eine hinduistische Familie aus Afghanistan mit einer sehr spannenden Biografie mit; sie werden ein Lied vortragen. Es ist toll zu sehen, wie vielfältig die Menschen und die Beiträge sind und wie wir trotzdem an diesem Abend alle vereint sind.
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DOMRADIO.DE: Wie wird der Gebetsabend in etwa ablaufen?
Hillenbrand: Die Kirche wird zu Beginn ganz dunkel sein. Wir erwarten 50 bis 100 Menschen, vielleicht sogar mehr. Jeder bekommt eine Kerze und dann beginnen wir mit einem Lied. An einer brennenden Kerze in der Mitte entzünden wir alle unsere Kerzen und lassen so ein Lichtermeer entstehen. Allein das wird ein starkes Zeichen der Hoffnung und der Zuversicht sein.
Im Folgenden haben wir verschiedene Beiträge, sowohl Wortbeiträge als auch zum Beispiel eine Koranrezitation oder ein jesidisches Gebet und einen Bahai-Song. Wir haben noch weitere Liedbeiträge, zum Beispiel auch mit einer Oud, einem besonderen orientalischen Instrument. Wir singen also gemeinsam, wir beten gemeinsam, wir halten gemeinsam Stille.
Außerdem werden wir Raum geben für persönliche Bittgebete oder Dankesworte. So etwas ist immer bewegend, weil auch persönliche Geschichten und Stimmen zum Tragen kommen. Zum Schluss singen wir dieses Mal gemeinsam "Aufeinander zugehen" und werden auch tatsächlich aufeinander zugehen, uns vielleicht die Hände reichen. Wir werden uns Friedensgrüße geben und damit das gemeinsame Gebet beenden.
DOMRADIO.DE: Dieses interreligiöse Gebet findet im Rahmen der Ausstellung "80 Jahre Befreiung Auschwitz. Ein künstlerisches Plädoyer für Mitmenschlichkeit und Toleranz" statt. Wie hängt beides zusammen?
Hillenbrand: In unserer Gemeinde Sankt Theodor und Sankt Elisabeth läuft über einen Monat lang diese Ausstellung, weil wir das Thema gerade heute so wichtig finden. Wir haben gerade gemeinsam den 80. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz begangen.
Gleichzeitig kann Kunst Menschen verbinden. Deswegen wollten wir ein künstlerisches Plädoyer halten und haben überlegt, was gute Beiträge sein könnten, um Menschen zusammenzubringen, zum Reflektieren und ins Engagement zu bringen. Dazu haben wir verschiedene kulturelle, künstlerische Angebote organisiert - bildende Kunst, Theater, Musik. Auch ein solches interreligiöses Gebet durfte in unseren Augen nicht fehlen, weil das noch einmal auf einer anderen Ebene, vielleicht einer tieferen Ebene, verbindet.
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Denn in der Spiritualität sind Menschen oft miteinander vereint. Auch da spüren wir eine Herzensverbundenheit, die religiöse und inhaltliche Schranken überwinden und uns als Menschheitsfamilie wirklich miteinander verbinden kann. Deswegen war uns dieser Moment des Innehaltens sehr wichtig.
Beim anschließenden gemeinsamen Essen können die Leute in den Austausch gehen, andere kennenlernen und Perspektiven austauschen. Aus solchen Begegnungen entstehen oft gemeinsame Initiativen. Das ist uns ganz wichtig, dass wir Rahmen und Raum dafür schaffen, damit ein solcher Austausch und solche Begegnungen stattfinden können.
DOMRADIO.DE: Es soll auch ein internationales Büffet geben?
Hillenbrand: Unsere Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind sehr vielfältig und genauso vielfältig sind unsere Essgewohnheiten. So wird jeder etwas beisteuern und wir können uns gemeinsam an tollen Gerichten aus verschiedensten Weltregionen und Kulturen stärken. Vielleicht gibt es auch ein kleines Kennenlernspiel. Bei solchen Gelegenheiten entstehen meist tolle Dinge. Wir werden die Kirche jedenfalls bis spät abends mit unseren Gesprächen füllen.
DOMRADIO.DE: Es ist bereits das dritte Mal, dass Sie ein solches interreligiöses Gebet organisieren. Was zeigt die Erfahrung der vorherigen Male?
Hillenbrand: Genau vor einem Jahr haben wir das Ganze bei uns in Sankt Theodor in Köln-Vingst gestartet. Wir standen dabei dem Eindruck des Hamas-Angriffs vom 7. Oktober 2023. Wir standen unter dem Eindruck des Corrective-Berichts zu so genannten Remigrationsplänen. Wir hatten all die Kriege und Konflikte im Kopf, die bis heute herrschen.
Gegen all das wollten wir ein Zeichen für Zusammenhalt und Solidarität setzen. Im vergangenen Oktober waren wir dann zu Gast in der Ahmadiyya-Moschee in Köln. Jetzt steht das dritte Gebet dieser Art an. Die Resonanz der ersten beiden war groß. Es kamen immer mehr Menschen, es war total bewegend. Viele haben uns danach zurückgemeldet, wie viel Kraft die Gebete ihnen gegeben haben, wie berührend sie sie fanden und dass wir doch weitermachen sollen.
Auch dadurch, dass da wirklich so viele Begegnungen und Kooperationen entstanden sind, haben wir uns bestätigt gefühlt und gesagt: Wir machen wirklich weiter. Wir wollen unser Netzwerk noch stärker ausweiten und noch mehr Initiativen und Gemeinden in Köln ins Boot holen. So hoffe ich, dass das Ganze weiter Früchte trägt.
Das Interview führte Hilde Regeniter.