"Viele säkular gestimmte Menschen entdecken plötzlich ihr Herz für die Christenheit. Sie sollten sich aber bitteschön auch engagieren, wenn es um tiefere Glaubensfragen geht", sagte der 55-Jährige Zaimoglu der "Zeit"-Beilage "Christ & Welt" (Donnerstag).
Die Grünen-Politiker Cem Özdemir und Claudia Roth sowie die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK) kritisierten die Umwandlung dagegen scharf. An diesem Freitag soll das erste Freitagsgebet in der Hagia Sophia stattfinden.
Schriftsteller Zaimoglu äußert Verständnis
Zaimoglu betonte: "Ich begrüße, wenn in einem Gotteshaus wieder ein Gott angebetet wird. Die Hagia Sophia wurde ja schließlich nicht als Verwahranstalt und Showroom von Kultgegenständen gebaut." Gleichwohl handele es sich bei dem Schritt des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan um eine Inszenierung. "Es ist aber auch nichts Neues unter der Sonne. Der Protestantismus hat die katholischen Kirchen überschrieben, mit der Gegenreformation ging die Reise wieder zurück. Aus Synagogen und Tempeln wurden Kirchen. Heute werden Kinos und Buchläden daraus, wenn sie nicht mehr gebraucht werden", sagte Zaimoglu.
Auf die Frage, ob durch die Umwidmung der Hagia Sophia deren christliche Geschichte getilgt und aus dem kulturellen Gedächtnis gelöscht werden solle, sagte Zaimoglu: "Das wäre fatal. Nichts ist schlimmer als zensierte Geschichte." Zugleich erinnerte er daran, dass in Istanbul im "Modernisierungswahn" der vergangenen 15 Jahre osmanische Relikte und historisch gewachsene Straßen und Viertel zerstört worden seien. "Die Geschichte der Zerstörung des kulturellen Erbes hat also weit vor der Umwidmung der Hagia Sophia begonnen, mit Wolkenkratzern aus Chrom und Glas."
Scharfe Kritik aus Kirche und Politik
Die Grünen-Politiker Cem Özdemir und Claudia Roth bezeichnen den Auftritt von Präsident Erdogan zum Freitagsgebet in der Hagia Sophia dagegen als Tiefpunkt seiner Amtszeit. Mit dem zunehmenden Vertrauensverlust der Bevölkerung in seine Politik suche der Präsident die Rettung in solch symbolischen Aktionen, wie die beiden Bundestagsabgeordneten am Donnerstag in Berlin erklärten. Die Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee bleibe eine perfide Instrumentalisierung der Religion für kurzsichtige politische Ziele und sei mehr als ein Symbol, sondern ein klarer Bruch mit dem Erbe von Atatürk. Sie stehe für Erdogans kulturfeindliche, nationalistische und revanchistische Politik, die die Zukunft im Mittelalter suche.
Ähnlich äußerte sich die ACK. Der administrative Akt des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan bedeute "das Ende einer Epoche", erklärte der ACK-Vorsitzende Constantin Miron am Donnerstag in Frankfurt. Er sprach von einem Vorgang, "der offenkundig nicht religiöse Bedürfnisse, sondern innen- und außenpolitische Ambitionen des türkischen Präsidenten befriedigen" solle.