Langjähriger Archivleiter des Erzbistums Köln zieht Bilanz

"Spuren des Wirkens Gottes in der Welt"

Der langjährige Direktor des Historischen Archivs im Erzbistum Köln geht nach 35 Dienstjahren in Rente. Ulrich Helbach blickt dabei auf eine ereignisreiche Zeit zurück – und auf so manche Herausforderung neben dem Tagesgeschäft.

Ulrich Helbach / © Alexander Foxius (DR)
Ulrich Helbach / © Alexander Foxius ( DR )

DOMRADIO.DE: Bei Archiven denkt man vielleicht zunächst an staubige und muffige Räumlichkeiten. Sind Sie froh, nun in Rente zu gehen, Herr Helbach? 

Dr. Ulrich Helbach (Langjähriger Leiter des Historischen Archivs im Erzbistum Köln): Ja, aber da muss ich Sie enttäuschen. Staubig sind die Keller heute Gott sei Dank nicht mehr. Da gibt es Hygieneprogramme, dass das nicht schimmelt und sonstige Unbilden da passieren. Man ist natürlich als Leiter nicht immer im Keller im Magazin, aber doch auch, weil dort ja die Quellen liegen. Denen möchte man auch verbunden bleiben. 

DOMRADIO.DE: Da, wo die Quellen sind, ist es also schon noch muffelig und alt und dunkel? 

Helbach: Wenn die Quellen aus Räumen kommen, die muffelig waren. Das kann manchmal im Pfarreienbereich so sein. Bei einem klassischen Behördenarchiv sind das standardmäßige Räume. Dann riecht das auch schon.

Man ist aber dem Keller und den Magazinen aber doch immer verbunden. Die Akten hat man doch ganz nah und man forscht auch ein Stück weit, soweit die berufliche Zeit das erlaubt, selber an Quellen. Das ist eine homogene Sache. 

Dr. Ulrich Helbach

"Es ist auch eine Anerkennung für das Archiv, wenn der Leiter so verabschiedet wird."

DOMRADIO.DE: In dieser Woche gab es schon eine große Verabschiedung für Sie – mit Festvorträgen und mit vielen Gästen aus dem ganzen Bundesgebiet. Was war das für Sie für ein Gefühl, sich von so vielen Kolleginnen, Weggefährten und Mitarbeitern, die alle Danke sagen, zu verabschieden? 

Helbach: Das ist ein besonderer Moment. Man ist auch gerührt, wie man auf andere wirkt und was das mit anderen macht. Man tut eben seine Arbeit. Man macht das, was ansteht. Man wirkt auf Menschen mit Menschen zusammen. Das aber nochmal so geballt in der Stunde, in dem Moment zu bekommen, macht dann schon was mit einem. 

Es hat mich aber auch gefreut für das Archiv selbst. Der Leiter ist ja eine gewisse Wegstrecke dabei, das Archiv gab es aber schon davor und gibt es auch danach. Insofern ist es auch eine Anerkennung für das Archiv, wenn der Leiter so verabschiedet wird. Das hat ja der Arbeitgeber, also das Generalvikariat, entschieden und gemacht.

Dr. Ulrich Helbach

"Das sind ja nicht nur Verwaltungsakten, es geht um Menschen in diesen Quellen."

DOMRADIO.DE: In Ihren 35 Dienstjahren haben Sie viele interessante Aspekte in der Arbeit als Historiker und als Chefarchivar erlebt. Können Sie einmal einen ganz besonderen Lebensmoment aus Ihrem Direktorendasein im Historischen Archiv erzählen? 

Helbach: Ich habe da zum Beispiel erzählt, wie das war, als das Kölner Stadtarchiv 2009 eingestürzt ist. Da waren wir angefragt und haben uns selbst gefragt: Wie ist es jetzt? Werden wir gebraucht? Können wir helfen? Sollen wir helfen? Aber das ist ja mit Risiken, mit Personaleinsatz und mit allem verbunden. Da wollen Sie sich ja auch noch einmal mit dem Vorgesetzten abstimmen. 

Das ging aber alles nicht, weil der Kardinal und der Generalvikar auf der Bischofskonferenz in Hamburg waren. Das musste einfach entschieden werden. Da sind wir hin, da haben wir geräumt. Das war auch gar nicht ungefährlich im Letzten, aber wir haben es trotzdem gemacht und nicht darüber nachgedacht. Und dann rief der Vorgesetzte an und sagte: Ja, wir sitzen alle gebannt am Fernseher.

Die Bischöfe, die da sonst noch mit sind, kriegen das sehr erschrocken und fassungslos mit. Und man freut sich natürlich, dass in Köln das Erzbistum, sprich das Archiv, sofort und ohne jede Vorbehalte geholfen hat. Das bleibt einem natürlich in Erinnerung als besonderer Moment.

Joseph Kardinal Höffner / © Ernst Herb (KNA)
Joseph Kardinal Höffner / © Ernst Herb ( KNA )

Oder die Frau, die der damalige Kardinal Höffner als jüdisches Mädchen versteckt hatte und dann nie mehr Kontakt zu ihr hatte. Die haben wir für eine Ausstellung ermittelt. Wir haben sie in den USA angerufen und wussten gar nicht genau, ob wir sie antreffen. Das Gespräch kam zustande. Dann ist sie uns ganz offen begegnet, sie kannte uns auch nicht. Und sie hat uns das erklärt und immer vom "Pfarrer Höffner" gesprochen. 

Sie wusste gar nicht, was dieser Priester, der sie bei Bauern versteckt und ihr Überleben gesichert hatte, für eine Karriere nach dem Krieg machte. Diese Unmittelbarkeit berührt einen. Später kam sie auch nach Köln. 

Da wird auch deutlich, dass Kirche und kirchliche Archive und Quellen auch mit diesen schwierigen Zeiten zu tun haben. Das sind ja nicht nur Verwaltungsakten, es geht um Menschen in diesen Quellen. 

DOMRADIO.DE: Das heißt, das ist dann auch als Leiter des Historischen Archivs eine richtig große Rechercheaufgabe? 

Helbach: Wir forschen zum Teil auch selbst. Das kann man aber gar nicht so in der Intensität machen. Unsere Aufgabe ist das Vermitteln. Und die Damen und Herren, die kommen und forschen, denen begegnen wir im Gespräch und weisen die auf Quellen hin und eröffnen ihnen noch einmal zusätzliche Spuren, die sie noch gar nicht auf dem Schirm haben. 

Und wir müssen es alles erschließen. Wenn das Material zu uns kommt, ist es im Grunde schwer nutzbar, weil es ja nicht beschrieben ist. Sie müssten dann größere Mengen durchwühlen, durchackern. Nein, es wird direkt beschrieben, dann auch nummeriert und auffindbar gemacht – online findbar gemacht. Das ist unsere Aufgabe, diese Brücke in Form der Beschreibung und Registrierung der Stücke abrufbereit zu leisten. Das ist eine fachliche Arbeit. 

Dr. Ulrich Helbach

"Alle Archive bauen im Grunde an derselben Aufgabe, dass sie Quellen haben, die dauerhafte, unbestechliche Zeugen für das sind, was passiert."

DOMRADIO.DE: Sie sind auch jemand, der das kirchliche Archiv immer professioneller aufgestellt hat und es auf Augenhöhe mit anderen wissenschaftlichen Archiven im gesellschaftlichen Raum gestellt hat. Sind kirchliche Archive gar nicht so eine Nische? Man denkt sonst schnell an etwas Verstaubtes und Außenseiterisches.

Helbach: Heute nicht mehr. Früher, vor Jahrzehnten, waren das andere Zeiten. Alle Archive bauen im Grunde an derselben Aufgabe, dass sie Quellen haben, die dauerhafte, unbestechliche Zeugen für das sind, was passiert. Im Grunde ist das ein Korrektiv für ihre Zeit, für das jeweilige Heute. Das spiegeln sie unmittelbar wider. 

Das gilt es zu erhalten, um so den späteren Generationen die Möglichkeit zu geben, ihre Fragen zu stellen. Dafür muss das wichtige, relevante Material da sein. Wir kennen die Fragen ja nicht, die dann in 50, 80 oder 100 Jahren gestellt werden.

Das betrifft kirchliches Quellengut genauso wie Staat, Gesellschaft, Industrie und Wirtschaft – und das könnten wir jetzt weiter fortsetzen. Da sind wir in einer Berufsfamilie. Und das ist ganz wichtig. Wir leisten für unsere Kirche das, was dann andere Archive für ihren Träger leisten. 

DOMRADIO.DE: Und wenn man die Antwort gefunden hat, ändert das Leben sowieso die Frage wieder. Das habe ich neulich gelesen. 

Helbach: Das ist dann eine Reflexion. Wie es wirklich gewesen ist, ist ja etwas anderes, als wie es erzählt wird und welche Vorstellung man hat. Da ist es wirklich auch ein Korrektiv, die Quelle noch einmal zu haben. 

DOMRADIO.DE: Das DOMRADIO ist Pfingsten 2000 OnAir gegangen. Finde ich dafür schon im Erzbischöflichen Historischen Archiv Belege? Haben Sie etwas von uns? 

Helbach: Sie haben uns Material angeboten, aber das wäre so ein großes Ereignis oder so ein besonderer Moment, das würde sich sogar auch in den Dokumenten des Erzbistums oder anderer Player spiegeln. 

DOMRADIO.DE: Oder der Boulevardzeitung. 

Helbach: Für das ganz Normale gilt aber: Bieten Sie es uns an, wir entscheiden dann. Das ist die berufliche, fachliche Entscheidung, ob das dann für die lange Dauer relevant bleibt oder eher nicht. 

DOMRADIO.DE: Wenn Sie nach Ihrer 35-jährigen Erfahrung nach vorne gucken, was denken Sie, wo liegen die Herausforderungen für diese kirchlichen Archive jetzt heute? 

Helbach: Es gilt, dabei zu bleiben in dieser Aufgabe, also die Quellen weiter zu bearbeiten und erst einmal zu bekommen. Die Kirche muss ihr Material, nicht immer ist es ja positiv konnotiert, spiegeln und in die Archive geben, sodass die Archive die Möglichkeit haben, diese Arbeit zu machen. So bleiben die Quellen in der Welt. 

Es wird ja schwieriger, wenn alles digital ist, dann muss es ja weiter am Leben erhalten werden und immer wieder neu umgespielt werden. Das ist ja nicht wie mit den Papieren. Die liegen dann da – und dann sind sie da, wenn nicht was Schlimmes eintritt. Sie kennen das ja in der digitalen Welt. Das sind neue Herausforderungen. Die wird man angehen, die wird man lösen. Es ist aber vielfach eine Zukunftsaufgabe. Es hat heute begonnen, aber das geht noch viel weiter. 

Dr. Ulrich Helbach

"Die Quellen bleiben aber. Insofern kann da auch immer wieder angeknüpft werden. Die sind ja Spuren des Wirkens Gottes in der Welt."

DOMRADIO.DE: Es gibt immer weniger Gläubige. Wir haben eine große Kirchenkrise, einen Vertrauensverlust und Kirchenaustritte. Haben Sie als Christ persönlich auch Sorge, dass es in Zukunft die Kirche eher nur noch in gut abgelegten Archiven gibt? 

Helbach: Interessante Frage, die man nicht so einfach jetzt kurz beantworten möchte. Persönlich als Christ vertraue ich aber erst einmal auf Gott, dass sich da die Wege weisen. Ich sehe die Kirche auch weltweit. Die Fokussierung auf uns hier ist immer ganz wichtiger Aspekt, aber ich bin da in gewissem Sinne gelassen. Man wird es ja noch, so Gott will, eine Weile mitbekommen und erleben. 

Die Quellen bleiben aber. Insofern kann da auch immer wieder angeknüpft werden. Die sind ja Spuren des Wirkens Gottes in der Welt. Und als solche können sie auch gelesen und erkannt werden. Sie können auch anders gelesen werden. Das ist ein guter Fundus, dass man ein Stück weit gelassen bleiben kann – ohne die Probleme, die die Kirche heute hat, hier irgendwie wegreden zu wollen. 

DOMRADIO.DE: Wie ist es mit Ihrer persönlichen Gelassenheit, dass Sie jetzt in Rente sind und keine Arbeit mehr haben? 

Helbach: Man hat sich ja im Leben für verschiedene Wege entschieden. Man hätte auch anders entscheiden können. Jetzt hat man noch einmal die Chance, anderes zu machen – auch für Menschen. Und herausfordernd, nicht nur irgendwas, wo man von seiner Erfahrung zehrt. Dazu habe ich Lust und ich habe auch keine Sorge.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.

Erzbistum Köln

Das Erzbistum Köln zählt zu den bedeutendsten Diözesen in Deutschland. Mit rund 1,9 Millionen Katholiken hat es die meisten Mitglieder, gefolgt von Münster, Freiburg und Rottenburg-Stuttgart (je rund 1,8 Millionen). Das Vermögen liegt bei rund 3,8 Milliarden Euro. Damit liegt Köln auf Platz drei hinter Paderborn (7,15 Milliarden Euro) und München-Freising (6,1 Milliarden Euro).

Blick auf den Kölner Dom / © saiko3p (shutterstock)
Quelle:
DR