Wer wissen will, wie Obdachlosigkeit riecht, der ist an der Bahnhofsmission am Berliner Zoo richtig: Während oben eine S-Bahn über die Gleise rattert, stinkt es unten nach Urin, Erbrochenem, Schweiß, nach menschlichen Ausscheidungen und altem Bier. Die Menschen, die auf diesem Straßenabschnitt heimisch sind, werden bei einem Blick um die Ecke sichtbar. Viele warten vor der Einrichtung der Berliner Stadtmission auf Einlass, um sich mit Nahrung und Wasser zu versorgen oder endlich mal wieder duschen zu können.
Wer glaubt, dass Obdachlosigkeit vor allem im Winter ein Problem ist, der täuscht sich. "Obdachlosigkeit ist 365 Tage im Jahr dramatisch", sagt Lutz Müller-Bohlen, der mit einem Bus der Karuna Sozialgenossenschaft in Berlin unterwegs ist und Wasser an die Straßenbewohner ausgibt. Nicht nur klirrende Kälte lässt Menschen ohne Obdach leiden, sondern auch die Glut der Sonne - der Obdachlose im Sommer oftmals schutzlos ausgeliefert sind. Starke Verbrennungen, Parasiten, Wassermangel und Verletzungen - die Liste der Probleme ist lang.
Zu wenig Schlafplätze
Hinzu kommt noch der Konsum von Drogen: "Besonders hart wird es durch die Mischung aus Alkohol und praller Sonne, da viele nicht genügend Wasser trinken. Da wird das Leben auf der Straße schnell lebensbedrohlich", sagt der 57-jährige Projektleiter von Karuna.
Gegenüber der Bahnhofsmission hat Micha es sich mit einem Bier gemütlich gemacht. Zusammen mit einem zahnlosen älteren Mann, der selbst nicht spricht, sondern Michas Äußerungen nur mit einem zustimmenden Nicken begleitet, beobachtet er das trostlose Treiben vor der Hilfseinrichtung und beschwert sich energisch: "Die Stadt müsste mehr Schlafplätze bereitstellen und ich würde mir wünschen, dass die Leute nicht nur an uns vorbeigehen und uns einfach liegen lassen."
Flöhe, Wanzen und Ratten - im Sommer übliche Begleiter
Der 39-Jährige, der durch sein vom harten Leben auf der Straße gezeichnetes Gesicht zehn Jahre älter aussieht, berichtet, wie problematisch es ist, dass es im Sommer weniger Plätze in Notunterkünften gibt als im Winter. Alleine könne man es draußen nicht schaffen, weil man sonst beklaut oder zusammengeschlagen werden werde. Während der eine schlafen könne, müsse ein anderer Wache halten.
Für Dieter, Ex-Obdachloser und Stadtführer beim Verein "querstadtein", waren die grassierenden Krankheiten und das ganze Ungeziefer das Schlimmste am Sommer. Flöhe, Wanzen und Ratten seien die typischen Mitbewohner auf der Straße. Offene Beine und Wunden, die sich unter den Schichten durchgeschwitzter Kleidung verbergen und aufgrund der schweißtreibenden Bedingungen auch nur schlecht verheilen würden, seien ein alltägliches Problem: "Dagegen sind die Erfrierungen im Winter noch harmlos", sagt Dieter.
Wasser ist auf der Straße Mangelware
"Querstadtein" bietet Touren an, auf denen ehemalige Obdachlose die Orte zeigen, an denen sie sich aufgehalten haben. Dieters Route beginnt am Eingang des Bahnhofs Zoo, führt über die Hardenberg- und Kantstraße bis zum Bahnhof Charlottenburg. Sechs seiner damaligen Freunde, mit denen er diese Strecke regelmäßig im Sommer abging, seien inzwischen tot, sagt der 50-Jährige.
Er verrät, wo er sich mit Wasser versorgte: "Mein Geheimtipp sind Parkhäuser - da sind immer Wasserhähne zu finden. Oder Tankstellen: Da sagt keiner nein, wenn man Wasser abzapfen will." Ansonsten sei Wasser auf der Straße aber Mangelware.
Karuna versucht mit den Wasserfahrten zu helfen, doch es müsse noch viel mehr passieren, auch wenn die Berliner Wasserbetriebe schon über 70 Brunnen in der Stadt aufgestellt hätten, sagt Müller-Bohlen. Es bräuchte mehr bürgerschaftliches Engagement und freie Flächen, wo Obdachlose sich aufhalten könnten und Zugang zu hygienischen Einrichtungen und Trinkwasser hätten, erklärt der Karuna-Projektleiter: "Jeder kann mehr machen, als nur den Kleiderschrank nach alten Klamotten zu durchsuchen."