Die Bilder aus Chicago verbreiten Unsicherheit in den Nachbarschaften der Einwanderer. Hunderte Beamte derUS-Einwanderungsbehörde durchkämmten bei der ersten Großrazzia der neuen Regierung Donald Trumps in den vergangenen Tagen Stadtviertel und Vororte der Metropole im Mittleren Westen.
Dort und in anderen Städten nahm die Einwanderungspolizei allein am Sonntag 956 Menschen ohne gültige Aufenthaltspapiere fest. Die vorab angekündigte Aktion ist der Auftakt zu dem, was Trump als "größte Abschiebung in der Geschichte der USA" versprochen hat.
Konfrontationskurs mit der Kirchenführung
Vizepräsident J.D. Vance verteidigte das harte Vorgehen in der CBS-Sendung "Face the Nation". Die Razzien hätten "hoffentlich eine abschreckende Wirkung auf illegale Einwanderer", erklärte er. Der zum Katholizismus übergetretene Politiker ging dabei auf Konfrontationskurs mit der Kirchenführung. Als praktizierender Katholik sei er "von der Haltung der Bischofskonferenz zutiefst enttäuscht".
Streit um die Seele der USA
Der Vizepräsident bezog sich auf eine ungewöhnlich scharfe Stellungnahme der Bischöfe vom 22. Januar - mit klaren Worten zum Vorgehen der Trump-Regierung. "Die angekündigten Massenabschiebungen sind zutiefst beunruhigend und werden verheerende Folgen haben", heißt es dort. "Wir stehen treu zur Lehre Jesu Christi und unserer langen Tradition, Flüchtlingen zu helfen."
Besonders deutlich war zuvor schon der Vorsitzende des Migrationsausschusses der Bischofskonferenz geworden, Bischof Mark Seitz aus El Paso. "Wir riskieren, einen Teil unserer Seele als Nation zu verlieren", warnte er bei einem interreligiösen Treffen in Newark. "Dies ist eine Zeit größter Sorge."
Auch Kardinal Blase Cupich aus Chicago bezog klar Stellung. "Die Berichte über Massenabschiebungen im Großraum Chicago sind nicht nur sehr beunruhigend, sondern verletzen uns auch zutiefst", erklärte er bei einem Besuch in Mexiko-Stadt.
Eigennützige Motive
Während die Position der Kirche zu dem Thema nicht neu ist und Papst Franziskus vor der Amtseinführung des neuen US-Präsidenten noch einmal mahnende Worte an Donald Trump gerichtet hatte, unterstellte Vance seiner Kirche eigennützige Motive. "Die Bischöfe müssen sich fragen, ob es ihnen wirklich um humanitäre Anliegen geht - oder ob sie sich Sorgen um ihre Finanzen machen."
Vance spielte damit auf mehr als 450 Millionen Dollar an, die die katholische Kirche seit 2021 für Flüchtlingshilfe vom Staat erhielt. Vance' aggressive Kritik an den Bischöfen kommt nicht von ungefähr. Der Politiker fühlt sich im rechtskatholischen Milieu der USA zu Hause, das sich wiederholt kritisch über Papst Franziskus geäußert hat. Dessen Kritik an Trumps Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik dürfte das Verhältnis weiter belasten.
"Werk der Barmherzigkeit"
Die Bischöfe fühlten sich als Reaktion zu einer weiteren Erklärung genötigt. Am Sonntag wies die Bischofskonferenz Vance' Unterstellungen scharf zurück. "Die staatlichen Mittel decken bei weitem nicht die Gesamtkosten unserer Programme. Dennoch bleibt dies ein Werk der Barmherzigkeit und ein Dienst der Kirche." Eine so direkte Zurückweisung eines Vizepräsidenten durch die Bischöfe gilt als höchst ungewöhnlich.
Rote Linie
Für die Kirche ist die Hilfe für Migranten aus Sicht des Kolumnisten des "National Catholic Reporter", Sean Michael Winters, keinpolitisches, sondern ein moralisches und seelsorgerisches Anliegen. Die Bischöfe hätten eine Rote Linie gezogen. Sie schwiegen nicht, wenn die Regierung fundamentale Prinzipien der katholischen Soziallehre verletze.
Wenn Trump die Migranten angreifen wolle, "muss er an der Kirche vorbei". Winters bezweifelt, dass Trump seine Pläne effektiv umsetzen kann. Der Streit um die Abschiebungen dürfte erst der Auftakt für weitere Konflikte sein.