Ordensfrau und Psychologin zieht gemischte Corona-Bilanz

"Das Gewissen in der Krise neu entdeckt"

Fünf Jahre nach Beginn der Pandemie wirbt Schwester Katharina Kluitmann für einen differenzierten Blick auf die Corona-Zeit. Statt Schuldzuweisungen im Rückblick empfiehlt sie eine Stärkung der Gemeinschaft in Gesellschaft und Kirche.

Autor/in:
Hilde Regeniter
Symbolbild Menschen mit Mundschutz in der Corona-Pandemie / © View Apart (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Hat sich durch Corona Ihr Blick auf die Welt verändert? 

Katharina Kluitmann / © Julia Steinbrecht (KNA)

Sr. Katharina Kluitmann (Franziskanerin, Theologin, Psychologin): Ich glaube schon, dass er sich verändert hat. Denn ich habe zum ersten Mal eine kollektive Krise dieses Ausmaßes erlebt. Ich vergleiche das damit, dass ich einmal auf einer Intensivstation wach geworden bin und nicht wusste, warum ich dort war. Damals habe ich für mich individuell gemerkt: "Oh! Die Welt ist gar nicht so sicher und unter Kontrolle, wie du immer gedacht hast." 

Und in der Corona-Krise haben wir, glaube ich, genau das als Kollektiv erlebt: "Oh, die Welt ist nicht so unter unserer Kontrolle, wie wir gedacht haben". 

DOMRADIO.DE: Wie stark hat Corona denn Ihr Leben und das Ihrer Mitschwestern geprägt? 

Sr. Katharina: Die Schwestern, die gearbeitet haben, wurden genauso stark aus ihrem normalen Rhythmus geworfen, wie alle anderen, die zu diesem Zeitpunkt arbeiten mussten. Die alten Schwestern wurden vor allem stark isoliert. Weil sie aber in Gemeinschaft lebten und in Gemeinschaft vieles weitermachen konnten, war die Veränderung für sie viel geringer als für alleine lebende Menschen. 

Schwester Katharina Kluitmann

"Für die Frauenorden war es sicher schwierig, dass sie nicht ohne Priester miteinander Eucharistie feiern konnten."

DOMRADIO.DE: In vielen Ordensgemeinschaften in Deutschland leben vor allem ältere und alte, also in der Pandemie besonders vulnerable Menschen. Wie haben die Orden diese Herausforderung unterm Strich gestemmt? 

Sr. Katharina: Die meisten von uns waren sehr vorsichtig. Aber wir sind viele unterschiedliche Gemeinschaften, da waren natürlich manche vorsichtiger, andere weniger vorsichtig. Wir haben viel diskutiert, was wir leben wollten und wie. 

Insgesamt, würde ich sagen, sind wir relativ gut durch die Pandemie gekommen, eben weil wir nicht alleine waren. Für die Frauenorden war es sicher schwierig, dass sie nicht ohne Priester miteinander Eucharistie feiern konnten. Das war ein großes Thema und das hat viele Fragen nach oben gespült: Was wollen wir? Wie wollen wir es? Wie könnten wir es anders machen? Wie gehen wir damit um? 

Es ging tatsächlich um eine ähnliche Frage wie bei Corona: Wie gehen wir damit um, wenn wir nicht dürfen, was wir wollen? 

Ein Mann geht in der Mainzer Innenstadt an einer verlorenen OP-Maske entlang / © Frank Rumpenhorst (dpa)
Ein Mann geht in der Mainzer Innenstadt an einer verlorenen OP-Maske entlang / © Frank Rumpenhorst ( (Link ist extern)dpa )

DOMRADIO.DE: Haben Sie denn Antworten auf diese Fragen gefunden? 

Sr. Katharina: Auch hier waren die Ansätze von Antworten sehr unterschiedlich. Manche fanden die Messe in dem Zusammenhang gar nicht so wichtig. Andere haben neue Formen entdeckt; es sind in dieser Zeit viele neue Gottesdienstformen entstanden. Manche haben getrickst, wie sie doch einen Priester ins Haus kriegen. Manche haben ganz neue Dinge mit digitalen Medien ausprobiert. Da hat es alles Mögliche gegeben. 

DOMRADIO.DE: Inwieweit konnten Sie selbst in der Zeit der Pandemie Ihren Aufgaben gerecht werden? 

Sr. Katharina: Als am Anfang erst einmal alle Vorträge und Konferenzen ausfielen, dachte ich, ich würde bestimmt Langeweile bekommen. Aber dann kamen schnell die digitalen Kommunikationsmöglichkeiten. So konnte ich sehr viel von dem, was ich sonst analog hätte tun müssen, nun eben auf digitale Weise erledigen. Manche Dinge sind ausgefallen, andere hinzugekommen.

Wie für alle, die Landesgrenzen überqueren mussten, war es auch für mich schwierig, zu meiner Arbeit bei meinen Schwestern in den Niederlanden zu gelangen. Das war am Anfang wirklich kompliziert. 

Schwester Katharina Kluitmann

"Im Nachhinein lässt sich immer leicht sagen, was alles anders hätte laufen können und sollen."

DOMRADIO.DE: Die Kirchen sind im Nachhinein kritisiert worden, sie hätten Menschen im Stich gelassen, weil sie sich sklavisch an die Anti-Corona-Maßnahmen der Politik hielten. Wie sehen Sie das? 

Sr. Katharina: Ich frage mich dann immer, wer denn die Kirche ist bzw. wer die Kirchen sind. Ich glaube, auch da ist das Bild extrem differenziert. Ich habe Menschen gesehen, die in der Corona-Zeit alles in Bewegung gesetzt haben, um seelsorgliche Angebote machen zu können.

Ich habe wunderbare Streaming-Gottesdienste gesehen, auch in alternativen Formen, in denen also nicht einfach eine Messe abgefilmt wurde. Ich habe unglaublich viel christliches Engagement gesehen bei Menschen, die niemals von sich selbst sagen würden, dass sie Christen sind.

Auch das war Ostern 2020: Gestreamter Gottesdienst / © Corinne Simon (KNA)

Ehrlich gesagt war ich froh, dass ich damals nur für meine kleine Gemeinschaft zuständig war und nicht in übergeordneter Leitung Entscheidungen treffen musste. Im Nachhinein lässt sich immer leicht sagen, was alles anders hätte laufen können und sollen. Aber das ist müßig. 

DOMRADIO.DE: Ein Fehler war sicher, dass Schwerstkranke und Sterbende isoliert waren, teilweise gar keinen Besuch empfangen durften. Hätten die Kirchen stärker gegenhalten sollen und müssen? 

Sr. Katharina: Auch das lässt sich nicht pauschal beantworten. Es hing an den jeweiligen Leitungen, wie sie im Einzelnen entschieden haben. Mein Vater ist auf einer Intensivstation an Corona gestorben. Ich habe stundenlang bei ihm gesessen und er hat auch eine Krankensalbung bekommen. Es war ein christliches Haus, in dem sich ein muslimischer Pfleger darum gekümmert hat, dass die Krankensalbung stattfinden konnte.

Es gab sehr unterschiedliche Szenarien und Erfahrungen. Es gab auch sehr mutige Menschen. Wir haben wohl noch einmal neu entdeckt, wie wichtig das Gewissen ist, wo ich persönlich entscheide, ob ich vielleicht auch einmal einem Gesetz oder einer Anordnung widersprechen muss. 

DOMRADIO.DE: In der Corona-Zeit hat sich unter dem Label Querdenker eine merkwürdige Allianz Unzufriedener gebildet. Sehen Sie die aktuelle tiefe Spaltung der Gesellschaft auch als eine direkte Folge daraus?

Schwester Katharina Kluitmann

"Ich frage mich auch, wie sehr wir verlernt haben, eigenverantwortlich Dinge zu tun."

Sr. Katharina: Das ist eine sehr schwierige Frage. Ich frage mich, ob Corona wirklich der Grund oder doch eher der Anlass dafür war, dass diese Spaltungen in der Gesellschaft und in der Kirche derart zu Tage getreten sind.

Ich finde es wichtig, solche Spaltungen zu sehen, aber wir dürfen sie auch nicht herbeireden. Denn ich erlebe auch, wie sehr viele Menschen sich sehr um Zusammenhalt bemühen. Ich frage mich auch, wie sehr wir verlernt haben, eigenverantwortlich Dinge zu tun und nicht immer nach oben zu schielen. Wie sehr wir verlernt haben zu sagen: "Ich sehe, das muss hier sein und das tue ich."  Dafür muss ich mich auch nicht groß abgrenzen.

Wenn jemand entscheidet, sich nicht impfen zu lassen – warum muss das gleich zur politischen Aussage, zur Spaltung werden? Wie direkt die Verbindungen von damals zu heute sind, finde ich wirklich ganz schwer zu sagen. Da müssten wir besser einen Soziologen oder eine Soziologin fragen. 

DOMRADIO.DE: Was halten Sie persönlich für die wichtigste Lehre aus der Corona-Krise? 

Sr. Katharina: Ich habe gelernt, dass weniger mehr sein kann. Dass es gut ist, nicht eins nach dem anderen wegzuarbeiten, sondern zwischendurch Pausen zu machen und zu reflektieren. Das fördert die Kreativität. Ich habe auch viel darüber nachgedacht, welche Formen wir gerade im Kirchlichen brauchen und wo und wie wir Begegnung fördern können, Begegnung mit anderen Menschen, aber eben auch Begegnung mit Gott.

Muss es wirklich unbedingt immer die Messe sein? Die Messe ist mir sehr wichtig. Aber wenn die Zusage gilt, dass Gott in der Messe, im Abendmahl, in der Eucharistie gegenwärtig ist, bedeutet das ja nicht, dass er anderswo nicht da ist. Und ganz praktisch gesprochen haben zum Beispiel die Videokonferenzen mein Leben sehr verändert, genauso wie unser Ordensleben. Sie haben uns gelehrt, dass wir nicht nur sehr viel Fahrzeit sparen können, sondern auch internationale Konferenzen machen können, wo wir früher nicht einmal daran gedacht hätten. Schließlich konnten wir nicht mal eben für einen zweistündigen Vortrag nach Südafrika fahren. 

Symbolbild Schüler mit Masken im Unterricht / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Symbolbild Schüler mit Masken im Unterricht / © Cristian Gennari/Romano Siciliani ( (Link ist extern)KNA )

DOMRADIO.DE: Inwieweit hat die deutsche Gesellschaft die Pandemie verarbeitet? Und was bliebe da womöglich dringend zu tun? 

Sr. Katharina: Ich bin gerade sehr zwiegespalten, ob wir wirklich in einen Aufarbeitungsprozess gehen sollten und müssten. Denn ich halte Schuldzuweisungen gerade jetzt nicht für hilfreich. Ich würde im Moment eher daraufsetzen, das zu fördern, was zusammenhält.

Deshalb schätze ich es sehr, wenn Politiker nun versuchen den Zusammenhalt mit den anderen, nicht radikalen Parteien zu fördern. Ich halte es für sehr wichtig, dass wir jetzt versuchen, Ängste von Menschen besser zu verstehen und ernst zu nehmen, damit sie nicht ins Kraut schießen, damit man vernünftig mit diesen Ängsten umgehen kann. Eigene Initiativen zu fördern und nicht immer nur nach oben zu gucken, finde ich sehr wichtig.

Und wir sollten als Kirchen unseren Schatz nicht vergraben; wir haben tolle Angebote und wir haben tolle Möglichkeiten durch unser geistliches Leben. Ich glaube zudem, dass wir gerade kirchlich und gesellschaftlich in einem Paradigmenwechsel stecken, dass gerade ein total anderes Denken beginnt. Da treffen gerade diejenigen aufeinander, die das Alte noch wollen und die, die das Neue schon wollen. So etwas ist durch die Geschichte hindurch immer ruckelig gewesen. Das ein bisschen gelassener zu sehen, glaube ich, wäre eine echte Chance.

Das Interview führte Hilde Regeniter.

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Gottesdienstbesucher machen Kreuzzeichen / © Lars Berg (KNA)
Quelle:
DR

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