Papst Franziskus in Lateinamerika

An die Peripherie

Der Papst reist nach Chile und Peru. Warum hat er sich diese Länder ausgesucht, was sind seine Themen und wann besucht er endlich seine Heimat Argentinien? Im Interview erklärt Christine Seuss von Vatican News die Hintergründe.

Papst am Flugzeugfenster / © Gregorio Borgia (dpa)
Papst am Flugzeugfenster / © Gregorio Borgia ( dpa )

DOMRADIO.DE: Warum hat der Papst sich denn ausgerechnet Chile und Peru als Reiseziele ausgesucht?

Christine Seuss (Redakteurin Vatican News): Warum nicht, könnte man dagegen halten. Wir wissen mittlerweile aus den vergangenen 21 Reisen des Papstes, dass er sich immer wieder Länder aussucht, die an der viel beschworenen "Peripherie" liegen, in denen die katholische Kirche manchmal eine verschwindend geringe Minderheit bildet und in denen es offene oder verdeckte Wunden gibt, für die Versöhnung vonnöten ist. Dass es in Chile rumort, dürfte mit den kurz vor der Papstreise verübten Brandanschlägen auf Kirchen und den damit verbunden Drohungen gegen den Papst klar geworden sein. 

Und auch wenn Chile mittlerweile eine Demokratie ist: Die Wunden der Pinochet-Diktatur sind dort noch lange nicht verheilt, und auch in der Gesellschaft gibt es große Spannungen, unter anderem mit den Ureinwohnern, den Mapuche, denen lange ihre Rechte aberkannt wurden und die nun teils gewalttätig dafür kämpfen. Es gibt also genug Stoff, um eine Reise in dieses Land zu rechtfertigen.

DOMRADIO.DE: Und was sind die zentralen Themen in Peru, wo der Papst ab Donnerstag sein wird?

Christine Seuss: Auch dort ist die Gesellschaft zutiefst gespalten, wie in den vergangen Tagen zu beobachten war, als der amtierende Präsident mit einem ziemlich offensichtlichen Kuhhandel den Ex-Diktator Fujimori freiließ, der wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit eigentlich noch eine lange Haftstrafe hätte verbüßen müssen.

Peru – wie übrigens auch Chile – hat einen Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche hinter sich. Und Peru hat einen großen Anteil am Urwald Amazoniens, der unter Umweltzerstörung und Raubbau leidet und in dem die Ureinwohner unter großem Druck stehen. Im kommenden Jahr wird dazu eine Bischofssynode stattfinden, was zeigt, wie sehr auch dieses Thema dem Papst am Herzen liegt.

DOMRADIO.DE: Gibt es so etwas wie ein übergeordnetes Thema, wenn der Papst diese beiden sehr unterschiedlichen Länder besucht?

Christine Seuss: Es fällt auf, dass in beiden Ländern Indigene und ihre Situation eine Rolle spielen, von daher könnte man es vielleicht mit dem Überthema: Indigene, Umweltschutz und Laudato si, aber auch Gerechtigkeit und Versöhnung in der Gesellschaft überschreiben.

DOMRADIO.DE: Welche Programmpunkte sind denn aus Ihrer Sicht die wichtigsten?

Christine Seuss: Die Treffen mit Indigenen sind sicherlich die Höhepunkte der Reise, das trifft vor allem für Peru zu, wo diesem Thema ein ganzer Vormittag gewidmet ist, und in Chile wird Franziskus eine Messe mit Indigenen feiern. Alle wichtigen Programmpunkte, dazu zählen natürlich die Messen und Begegnungen mit Priestern und Ordensleuten, aber auch die Treffen mit den Autoritäten und gesellschaftlichen Vertretern des Landes, werden durch uns übrigens live und mit deutschem Kommentar übertragen.

DOMRADIO.DE: Chile ist ein Land, in dem gerade der konservative Unternehmer Sebastián Piñera die Wahlen gewonnen hat. Im Herbst wurden dort Abtreibungen teilweise legalisiert, seit 2015 sind gleichgeschlechtliche Partnerschaften anerkannt. Wird sich der Papst politisch äußern – wie sind Ihre Erwartungen?

Christine Seuss: Wir wissen aus Erfahrung, dass der Papst sich zwar nicht scheut, Probleme direkt anzusprechen – es aber auch nicht als seine Aufgabe sieht, den Politikern offen in ihre Entscheidungen hineinzureden. Das wäre meines Erachtens auch kontraproduktiv. Wenn, dann spricht er derartige Themen eher allgemein an, mit einer Bemerkung zum Lebensschutz und der Bedeutung der Familie – dann versteht man schon, worauf er hinaus will. Die richtig brennenden Themen – wie beispielsweise die Rohingya bei seinem Besuch in Myanmar  - spricht er dann eher privat und nicht-öffentlich an. Aber er hat bei dieser Reise sicherlich insgesamt andere Schwerpunkte.

DOMRADIO.DE: Rund 800.000 Argentinier aus der Heimat des Papstes werden bei seinem Besuch in Chile erwartet. Fünf Mal war er jetzt schon in Lateinamerika. Nur in seiner argentinischen Heimat noch nicht. Warum eigentlich?

Christine Seuss: Über die Gründe dafür sind insbesondere in Argentinien hitzige Diskussionen entbrannt. Die Bischöfe haben in der vergangenen Woche einen offenen Brief verfasst, in dem sie Vereinnahmungsversuchen des Papstes durch einzelne Lager eine entschiedene Absage erteilen. Der Papst ist ein Papst aller, schreiben sie da. Gleichzeitig verleihen sie ihrem Bedauern darüber Ausdruck, dass diese Vereinnahmung des Papstes auch darin gipfelt, dass sogar Beleidigungen und Diffamierungen an die Adresse von Franziskus geschickt werden. Dadurch wird eine Reise natürlich sehr schwierig, denn mit dem Papst vor Ort würde sich ein derartiges Verhalten, also die Versuche, den Papst vor den eigenen Karren zu spannen, nochmals verstärken.

Ich denke, Franziskus sieht all diese Vorkommnisse mit einer gewissen Distanz und will sich vielleicht diese Schwierigkeiten einfach ersparen - zumindest vorerst. Wer weiß, vielleicht wird es ihn irgendwann doch in seine Heimat ziehen – viele weiße Flecken gibt es in Südamerika ja nicht mehr.

Das Interview führte Hilde Regeniter.

 

Freiwillige Helfer lassen sich in Chile mit einer Figur von Papst Franziskus fotografieren / © Hans Scott (dpa)
Freiwillige Helfer lassen sich in Chile mit einer Figur von Papst Franziskus fotografieren / © Hans Scott ( dpa )

 

Eine Menschengruppe auf dem Petersplatz hält eine peruanische Flagge hoch / © Paolo Galosi/Romano Siciliani (KNA)
Eine Menschengruppe auf dem Petersplatz hält eine peruanische Flagge hoch / © Paolo Galosi/Romano Siciliani ( KNA )
Quelle:
DR
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