domradio.de: Viele Fußballer tragen ihren Glauben offensiv in die Öffentlichkeit. Warum fallen Fußballern die Glaubensbekenntnisse scheinbar so leicht?
Pfarrer Gereon Alter: Was ich persönlich glaube oder hoffe, ist ja erst mal etwas sehr Intimes. Von daher habe ich das nicht vorne auf der Zunge liegen. Aber es gibt Situationen, wo das leichter über die Lippen geht als in anderen Situationen. Und ich glaube, das Fußballspiel ist einfach ein Paradebeispiel dafür. Da geht es um etwas, also um Sieg, Niederlage, Hoffnung, Enttäuschung und Emotionen. Da hat man die Seele eh weiter vorne auf der Zunge liegen und da wird auch der Glaube einfach sichtbar. Das finde ich klasse.
domradio.de: Mesut Özil hatte ja zuletzt auf Facebook ein Bild von sich vor dem muslimischen Heiligtum - der Kaaba - gepostet. Die Zeitung "Der Tagesspiegel" schrieb dazu, das Bild sei ungewohnt und würde im "religiös analphabetischen Europa" verstören. Hat das Bild denn verstört?
Alter: Ich glaube, es hat neugierig gemacht. Mesut Özil hat ja ganz viele Fans. Die fragen ja erst mal: Dieser sympathische und erfolgreiche Fußballer, was bedeutet ihm das, dass er dahin geht und sich auch so zeigt? Für mich hat es erst mal eine Frage aufgeworfen. Das finde ich wertvoll.
domradio.de: Woher kommt die Frömmigkeit vieler Fußballer denn?
Alter: Ich glaube nicht, dass Fußballspieler überdurchschnittlich religiös sind, sondern dass das auf dem Platz und in der Öffentlichkeit einfach sichtbarer wird. Ich finde es spannend, mal hinter die Kulissen zu schauen. Mir ist jetzt erst bekannt geworden, dass die Stammmannschaft des FC Bayern einen Bibelkreis gegründet hat. Da ist eine große Zahl von Spielern, die sich regelmäßig trifft, weil die sonntagvormittags immer Training haben und nicht in ihre Kirche gehen können. Ein Journalist wollte mal dabei sein, in der Hoffnung auf eine tolle Story. Aber die haben sich einfach darüber unterhalten, was sie wirklich bewegt und geguckt, ob da Glaube nicht Orientierung bieten kann. Das hat den Journalisten ziemlich überzeugt.
domradio.de: Fällt es denn uns anderen, die wir nicht in der Öffentlichkeit stehen, schwerer, zu unserem Glauben zu stehen?
Alter: Da möchte ich mal auf meine eigene Gemeinde schauen. Im Sonntagsgottesdienst frage ich oft im Rahmen der Predigt, ob jemand mit eigenen Worten etwas sagen kann und möchte zu dem, was er glaubt. Da gibt es eine Handvoll Leute, die das tun. Die anderen staunen und sind sehr beeindruckt. Aber viele trauen sich das einfach nicht. Wir sind da schlichtweg nicht geübt. Die gleichen Leute treffe ich am Sonntagabend beim Public Viewing in unserer Gemeinde und mit denen kann ich ganz normal sprechen. Es kommt scheinbar in dem anderen Kontext auch zu Gesprächen, wo man sagen könnte, das ist auch ein Glaubensgespräch. Daher meine Vermutung: Das hat etwas mit dem Kontext zu tun. Wir haben den Gemeindemitgliedern in unseren liturgischen Räumen über Jahre und Jahrzehnte kein Übungsfeld gegeben. Ich glaube, das lernen wir langsam wieder und müssen wir auch lernen, wenn wir relevant bleiben wollen.
domradio.de: Was können wir von den Fußballspielern lernen, wenn es um öffentliches Bekennen geht?
Alter: Es ist immer etwas sehr Persönliches. Wir erinnern uns an das Bekenntnis von David Alaba, der hatte sich auf sein T-Shirt geschrieben: "Meine Kraft liegt in Jesus." Also können wir von ihnen lernen, Mut zu haben - zu einem persönlichen Zeugnis. Wir müssen nicht etwas sagen, das nicht unseres ist. Aber wenn es das ist und wir eine Glaubensvorstellung haben, dann dürfen und sollten wir das auch in einer selbstverständlichen Weise zeigen.
Das Interview führte Silvia Ochlast.