DOMRADIO.DE: Was haben Sie persönlich getan, um das Ausscheiden der deutschen Nationalmannschaft zu verarbeiten?
Pfarrer Rainer Maria Schießler (Pfarrer von Sankt Maximilian in München und Fußballfan): Eigentlich gar nicht viel. Es war vorbei und damit habe ich wieder die Bestätigung bekommen, was dieser Fußballsport eigentlich bedeutet: Es ist ein Spiel. Das Spiel ist vorbei und das nächste Ziel ist die Weltmeisterschaft.
Ich muss nicht in Tristesse verfallen. Ich habe weder mein Leben verloren, noch meinen Job, noch meine Liebe. Wir dürfen weitermachen.
DOMRADIO.DE: Die Gemütslage bei den Fans in Deutschland schwankt zwischen Trauer und Bewunderung für die Mannschaft. Was überwiegt bei Ihnen?
Schießler: Die Bewunderung für das, was in diesen letzten zwei Jahren geschehen ist. Denken wir an das Ausscheiden der letzten beiden Male. Was für eine Distanz, was für ein Bruch zwischen uns Fans und der Mannschaft entstanden ist. Was das für eine Tristesse und eine wirklich persönliche Enttäuschung bei den Spielern und dem ganzen System war.
Jetzt ist hier etwas aufgebaut worden. Es wurde wieder bewiesen: In diesem Sport geht es nicht um Sieger und Verlierer am Ende, sondern darum, dass alle Gewinner sind. Da haben wir eine Gemeinschaft und ein Gemeinschaftsbewusstsein gewonnen. Ich glaube, damit haben wir alle nicht gerechnet.
DOMRADIO.DE: Es gab die Szene mit dem nicht gegebenen Hand-Elfmeter. Der hätte vielleicht den Spielausgang anders gestaltet. Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat auf X geschrieben: "Der schlechteste auf dem Platz war der Schiedsrichter." Sehen Sie auch so?
Schießler: Wir hatten auch andere Möglichkeiten als den vermeintlichen Elfmeter. Es gibt auch keine Garantie, dass ein Elfmeter dann reingeht. Was wäre gewesen, wenn der verschossen worden wäre? Dann wäre der Spieler wieder schuld.
Es ist halt ein Spiel mit einem Live-Schiedsrichter. Der Videoschiedsrichter hat sich nicht eingeschaltet. Ich glaube, das machte das Spiel aus, dass es diese menschliche Schwäche, diese Unwägbarkeit gibt, dass es ein menschliches Urteil ist, das letztlich entscheidet wie es weitergeht. Ich habe mich nicht darüber aufgeregt, sondern nur gedacht, Gott sei Dank bin ich kein Schiedsrichter.
DOMRADIO.DE: Viele Spieler haben nach dem Aus geweint, auch Trainer Nagelsmann hat immer wieder mit den Tränen gekämpft. Ist es einfacher für die Fans, die eigene Trauer zu verarbeiten, wenn Team und Trainer so öffentlich traurig sind? Was würden Sie sagen?
Schießler: Die letzten beiden Male haben wir nicht geweint, sondern uns eher für die Spiele geschämt. Ich finde, wenn Spieler dieses Niveaus ihre Gefühle so offen zeigen und ein Julian Nagelsmann in der Pressekonferenz zu seinen Tränen steht, dann hat es eine menschliche Komponente, die auch nur der Sport schreibt.
So etwas wie kann man nicht spielen. Diese tiefe Erschütterung, die nichts mit Wut oder mit blinder Enttäuschung zu tun hat, sondern einfach nur mit Trauer, die versöhnt und beschwichtigt und ist für meine Begriffe mehr aggressionshemmend als alles andere.
DOMRADIO.DE: Nagelsmann hat sehr emotional das entstandene große Wir-Gefühl im Land beschrieben und beschworen. Er hat zudem gesagt, man solle nicht immer alles negativ sehen. Er schlug den Bogen vom Fußball in die Gesellschaft. Kann der Fußball da Vorbild sein?
Schießler: Da war er jetzt Vorbild, da hat er etwas in uns angestiftet. Wenn es uns gelingt, dieses Gemeinschaftsgefühl am Leben zu erhalten, dieses aufeinander verwiesen sein und miteinander zu kämpfen, ohne den anderen niedermachen zu wollen und dabei fair zu bleiben, dann hat er uns eine ganz große Lektion Glaube erteilt.
DOMRADIO.DE: Spanien steht im Halbfinale gegen Frankreich, und zwar am kommenden Dienstag in ihrer Heimat München. Für wen schlägt Ihr Herz?
Schießler: In dem Fall schon für die Spanier, weil sie die beste Mannschaft sind. Wir haben im Viertelfinale gezeigt, dass wir uns gegen die beste Mannschaft behaupten können. England ist nicht unbedingt mein Favorit. Wie die sich reingestolpert haben, tut mir leid. Man soll so einen Titel nicht mit Dusel gewinnen. Und Frankreich hat aktuell so große politische Probleme. Vielleicht sind die im Kopf nicht ganz frei.