Pilgerhaus in Tabgha am See Genezareth bekommt neuen Leiter

Christ, Aramäer, Israeli

Zum April wird Sharbel Yacoub neuer Leiter des Pilgerhauses in Tabgha am See Genezareth. Die Geschichte seiner Familie ist eng mit der Geschichte Israels verbunden und zugleich ist Deutschland für ihn so etwas wie eine zweite Heimat.

Autor/in:
Andrea Krogmann
Sharbel Yacoub (DVHL)

Es ist einer der Regentage in diesem Winter im Heiligen Land. Schwerer Nebel legt sich über die hügelige Landschaft Obergaliläas. Ein Wächterhäuschen markiert die Einfahrt zum Nationalpark Bar‘am. 16 Schekel, umgerechnet rund 4,30 Euro, kostet der Eintritt. Die paar Dutzend jedoch, die trotz der nassen Kälte an diesem Samstag den Weg hierher finden, sind von der Gebühr befreit. Es sind maronitische Christen, Nachfahren der Bewohner des Dorfes Bar‘am, die sich wie jedes Wochenende zum Gottesdienst in der Liebfrauenkirche einfinden. 

Unter ihnen ist Sharbel Yacoub. Der engagierte Christ ist Gemeinderatsmitglied und Subdiakon. Als Sohn von Vertriebenen von Bar‘am ist er der schlichten Kirche – dem einzigen erhaltenen Bau des maronitischen Dorfes – eng verbunden. "2006 habe ich in dieser Kirche geheiratet. Meine vier Kinder wurden hier getauft", sagt Sharbel Yacoub, die ersten noch vor der Zeit, als Israel die Kirche für wöchentliche Gottesdienste freigab.

Liebfrauenkirche von Bar‘am / © Andrea Krogmann (DVHL)

Es ist eine schmerzhafte Geschichte, die Sharbel und die anderen an den Ort bindet: 1948 verließen die maronitischen Bewohner Bar‘ams – israelische Staatsbürger – auf Geheiß ihrer Armee den Ort. Seither kämpfen Überlebende und Nachfahren um das, was ihnen bei der Evakuierung schriftlich zugesichert und später gerichtlich bestätigt wurde: die Rückkehr in ihre Heimat. 

Hoffnung nicht aufgeben

Bis heute ist das Versprechen uneingelöst, von dem Dorf sind unterdessen nur noch Ruinen übrig. Unter der üppigen Vegetation sind sie kaum noch auszumachen, und seit neuestem hinter Absperrungen und damit unzugänglich. Im Narrativ des Nationalparks, der die Überreste einer antiken jüdischen Siedlung präsentiert, tauchen das Dorf und seine Gemeinde nicht auf, sagt Sharbel Yacoub. Umso größer ist dafür ihr Platz in der Sehnsucht der Menschen, die hier ihre familiären Wurzeln haben. 

Gottesdienst in Bar‘am / © Andrea Krogmann (DVHL)

"80 bis 85 Prozent des Landes von Bar‘am wurde als Staatsland deklariert und liegt brach. Auf ihm wollen wir ein christliches Dorf errichten, aber der Staat hat Angst vor einem Präzedenzfall", erklärt der maronitische Christ, "zu Unrecht, denn wir sind keine Flüchtlinge, sondern israelische Vertriebene". Mit der Ermordung des damaligen israelischen Ministerpräsidenten und Architekten des Oslo-Friedensvertrags Jitzchak Rabin 1994 sei "alle Hoffnung erloschen, aber wir hoffen weiter", beschreibt Yacoub ein paradoxes Gefühl, das viele der Bar‘am-Stämmigen teilen.

Yacoub spricht fließend Deutsch. Zwölf Jahre hat er in Paderborn Germanistik, Informatik und Medienwissenschaften studiert. Bis er nach dem Magister in Internetkommunikation im Juni 1998 zurückkehrte, "der Eltern wegen, sonst wäre ich in Deutschland geblieben".

Im April wird er die Leitung des Pilgerhauses des Deutschen Vereins vom Heiligen Lande (DVHL) in Tabgha übernehmen, wo er seit 14 Jahren arbeitet. "Eine schwierige Aufgabe in dieser Zeit" – kriegsbedingt ist der Pilgertourismus seit Oktober 2023 so gut wie vollständig zusammengebrochen, und während der intensiven Kampfhandlungen zwischen der libanesischen Hisbollah und der israelischen Armee im Norden sind selbst die wenigen israelischen Gäste ausgeblieben. 

Herausforderungen für das Pilgerhaus

Zwischenzeitlich schloss das Haus, auch aus Sicherheitsgründen, seine Tore ganz. Sharbel bleibt optimistisch. Auch die "enorme Herausforderung Corona" habe man gemeistert, und inzwischen trudelten schon wieder die ersten Reservierungen ein. Bis Herbst, so seine Prognose, wird am See Gennesaret wieder Hochbetrieb herrschen. 

Pilgerhaus Tabgha (DVHL)

Der Mann "Jahrgang 1966" bereut es im Nachhinein nicht, aus Deutschland ins Heilige Land zurückgekehrt zu sein, auch wenn das Wiedereinleben gedauert habe. "Ich hatte eine gute Zeit in Deutschland, und trotzdem hatte ich Heimweh. Es bleibt, egal wie lange man im Ausland ist", sagt er aus der Retrospektive. Auswandern ist der einfache Weg, sagt er heute, ein gutes Vierteljahrhundert später. Die Erfahrung dürfe aber "jeder erstmal machen". 

Entsprechend dürften sich auch seine Kinder bei ihren Entscheidungen seiner Unterstützung sicher sein. Sharbels Ältester Fadi ist 17 Jahre alt und möchte in der israelischen Armee dienen. Auch hierfür hat er die Unterstützung seines Vaters. "Ich gebe ihm Rat, aber die Entscheidung liegt alleine bei ihm", sagt Sharbel, der selbst nicht gedient hat. 

Anders als für Juden und Drusen gibt es für Christen und Muslime in Israel keine Wehrpflicht. Der Dienst, ob an der Waffe oder im "Sherut Leumi", wie der Zivildienst in Israel genannt wird, ist freiwillig, wird aber von den meisten abgelehnt. Gesellschaftlich öffnet er viele Türen in einem Land, in dem die Armee für die große Mehrheit Pflicht ist. 

Leben an der Nordgrenze

"Als Informatiker Arbeit in Israel zu finden, war nicht einfach", erinnert sich Sharbel an die Zeit nach der Rückkehr aus Deutschland. Der Wehrdienst eines Kandidaten sei für viele Arbeitgeber ein wichtiges Kriterium gewesen. Zivildienst wiederum habe es zu seiner Zeit noch nicht gegeben. Sohn Fadi wäre nicht der Einzige aus der Gemeinde, der in die Armee geht, eine Tendenz, die wohl durch den jüngsten Krieg an Aufwind gewinnen dürfte. Die Menschen in Jish und überhaupt in der Region fühlten sich direkt bedroht, beschreibt Sharbel Yacoub die Angst vor einem Einmarsch der Hisbollah vergleichbar dem Angriff der Hamas auf Südisrael vom 7. Oktober 2023. 

Weder die Hisbollah noch ihre Raketen würden zwischen Muslimen, Christen und Juden unterscheiden, "wir sind alle Israelis". Mit dem Waffenstillstand an der Nordfront, der trotz verbreiteter Skepsis seit Ende November hält, bekommt auch die Hoffnung, die Sharbel mit vielen in Jish teilt, neue Nahrung: "dass am Ende Frieden zwischen Israel und Libanon herrscht und wir uns gegenseitig besuchen können". 

Viele Familien aus Bar‘am leben heute im Libanon, dem Stammland der maronitischen Christen. Sharbel Yacoub ist dankbar, dass seine Eltern sich nicht in den Libanon vertreiben ließen, sondern in Jish (hebräisch: Gush Halav), einem mehrheitlich christlichen Dorf wenige Kilometer südöstlich von den Ruinen seines Elternhauses in Bar‘am, Zuflucht suchten. "Ich bin froh, als Christ in Israel zu leben. Es ist ein sicherer Ort, an dem ich meine Religion ohne Angst leben kann, vor allem im Vergleich zu anderen Orten rundherum", sagt er. Es gebe zwar auch jüdische Extremisten, die versuchten, das Zusammenleben zu verhindern, "aber das haben sie bisher nicht geschafft". 

Als Maronit gehört er der mit 12.000 Mitgliedern kleinsten Christengruppe an, der Minderheit in der Minderheit. "Keine einfache Position", erklärt Sharbel Yacoub, zumal die Maroniten Wert auf ihren aramäischen Ursprung legen. Das sei für viele der proarabischen Christen im Heiligen Land schwierig zu akzeptieren. "Aber nicht jeder, der Arabisch spricht, ist auch Araber", so Yacoub, der sich selbst als Aramäer sieht. 

Anerkennung Aramäer

Dass Israel Aramäer seit 2014 für das Bevölkerungsregister als Minderheitennationalität anerkennt, ist einer der Erfolge, die Sharbel und gleichgesinnte Christen aus Jish sich erkämpft haben. Nach eigenen Schätzungen beten bis heute rund 15.000 Christen in Israel auf Aramäisch. "Ich selber habe Abendkurse besucht, um Aramäisch lesen und schreiben zu lernen, und um unsere aramäischen Gebete zu verstehen", so Yacoub. Für den Erhalt der aramäischen Sprache und Kultur wurde 2009 die "Israelisch-christlich-aramäische Gesellschaft" (ICAA) gegründet. Aber auch die Weitergabe innerhalb der Familie spiele eine wichtige Rolle. 

Sharbels Sohn und seine drei Töchter tragen selbstverständlich aramäische Namen. "Ich komme aus Bar‘am, ich wohne nur momentan in Jish": Der Satz ist auch 77 Jahre nach der Vertreibung oft zu hören. Auch in ihm klingt die Komplexität der Lebensrealität durch. "Obwohl wir vertrieben wurden, fühlen wir uns als Israelis und haben keinen Hass auf Juden", formuliert es Sharbel. "Unser Ziel, die Rückkehr auf das Land von Bar‘am, wollen wir mit Liebe erzielen, nicht mit Hass!"

Deutscher Verein vom Heiligen Lande

Seit mehr als 160 Jahren engagiert sich der Deutsche Verein vom Heiligen Lande (DVHL) für die Menschen im Nahen Osten – immer vor dem Hintergrund des interreligiösen Dialogs und friedenspolitischen Engagements. "Mit Erfahrung und Kompetenz sind wir auf einzigartige Weise im Nahen Osten präsent. Wir engagieren uns dort, wo Menschen konkrete Hilfe brauchen, und treten mit ihnen für eine bessere Zukunft ein." Im Spannungsfeld von Judentum, Christentum und Islam stehen sie für Verständigung, Versöhnung und Frieden.

Blick auf Jerusalem / © Kyrylo Glivin (shutterstock)