Ingo Brüggenjürgen (DOMRADIO.DE-Chefredakteur): Pater Marte, Sie sind der Rektor des Jesuitenkollegs. Wie viele Jesuiten sind bei Ihnen im Haus?
P. Christian Marte SJ (Rektor Jesuitenkolleg Innsbruck): Wir sind hier in Innsbruck 40 Jesuiten, davon sind fünf Novizen. Wir sind die größte Kommunität, die wir in Deutschland, Österreich und der Schweiz haben. Bei uns im Haus sind 40 Diözesanpriester, die ihr Doktorat an der Theologischen Fakultät machen. Und dann haben wir noch 20 Mitarbeiter.
Brüggenjürgen: Was sind Ihre Schwerpunkte?
Marte: Der erste Schwerpunkt ist das Akademische, das Studieren unsere Doktoranden und dann kommt gleich die Seelsorge, das heißt, wir haben die Jesuitenkirche und zahlreiche Seelsorgeeinsätze. Also unsere mentale Karte, wenn ich so sagen darf, das ist Nordtirol, Osttirol, Südtirol, Vorarlberg und Salzburg und natürlich ein bisschen Bayern.
Brüggenjürgen: Wo sehen Sie die großen Herausforderungen gegenwärtig für die Jesuiten?
Marte: Die erste Herausforderung ist immer, dass man sich wieder zurückbesinnt auf das Evangelium und sich nicht ablenken lässt und sich immer wieder zurückholt in die Spur Jesu. Ich gehe nun in meine Jahresexerzitien und es ist mir einfach sehr wichtig, dass ich den Kompass wieder richtig ausrichte.
Die zweite Herausforderung ist, dass wir uns organisatorisch immer wieder neu gut aufstellen. Wir sind jetzt eine neue Organisationseinheit, das heißt eine Provinz Europa Centralis. Der Leiter, der Provinzial, sitzt in München und hat Deutschland, Österreich, Schweiz, Litauen, Lettland und Schweden im Blick. Da gibt es viele Kulturunterschiede, das muss man alles genau berücksichtigen und gut machen.
Brüggenjürgen: Was verbindet die Jesuiten denn?
Marte: Wir haben als Jesuiten gemein, dass wir alle sehr verschieden sind! Uns verbindet, dass wir in den Exerzitien zu Hause sind, die Ausrichtung auf das Evangelium und dass wir so ein bisschen die Haifische im katholischen Aquarium sind (lacht).
Brüggenjürgen: Gewöhnlich gelten die Jesuiten als die schlauen Jungs. Sind die besonders schlau?
Marte: Ach, wissen Sie, ich kenne den Innen-Betrieb und da habe ich nicht so den Eindruck, dass wir oft so besonders schlau sind (lacht). Aber es stimmt, dass wir schon einen kritischen und auch selbstkritischen Zugang haben.
Brüggenjürgen: Und Sie stehen vor allen Dingen, das merkt man ja auch, mitten im Leben...
Marte: Das ist unsere Aufgabe. Wir haben sehr viele Menschen, die zu uns kommen, um Rat in der Seelsorge zu suchen. Ich bin der Kaplan im Gefängnis, aber ich habe auch mit Führungskräften, Spitälern oder mit der Regierung zu tun. In dieser Gemengelage versuche ich die Spur zu halten.
Brüggenjürgen: Wie sieht die Spur im Alltag zum Beispiel beim Gebet oder den gemeinsamen Mahlzeiten aus? Wie muss man sich das konkret vorstellen?
Marte: Uns im Haus hier ist gemein, dass wir zu Mittag eine Viertelstunde im Schweigen sind, das Mittagsgebet haben und dann gemeinsam zum Essen gehen. Da sind runde Tische, fünf Menschen an einem Tisch, es gibt viele Gespräche, viel Austausch, manchmal in verschiedenen Sprachen, weil wir allein in unserer Kommunität etwa zwölf verschiedene Nationalitäten haben. Im Haus selber sind es insgesamt 25 Nationalitäten.
Also, Internationalität ist uns wichtig, Gäste sind uns wichtig in unserem großen Gästebereich.
Brüggenjürgen: Das ist eigentlich ein bisschen Weltkirche, was hier zusammenkommt. In Deutschland hat man vielfach den Eindruck einer Kirchenkrise. Gilt das auch für die Welt, gibt es da auch Kirchenkrise? Würden Sie das so sagen?
Marte: Nein, überhaupt nicht. Das ist eine völlig falsche Wahrnehmung aus meiner Sicht. Da bin ich ganz anderer Meinung.
Ich war jetzt schon dreimal in der Ukraine. Das, was dort funktioniert, ist Kirche! Wenn Sie in anderen Staaten sind, ist oft nur die Kirche die, die strukturell funktioniert. Wenn Sie sich die Synode in Rom angeschaut haben und hier Leute aus der ganzen Welt an runden Tischen sitzen, kriegen das die OSZE und die UNO nicht hin.
Wir bekommen das irgendwie hin, dass man am runden Tisch sitzt. Allein dieses Bild zu haben. Schwierig ist es sicher überall, keine Frage.
Brüggenjürgen: Was könnte denn Ihrer Ansicht nach bei uns im deutschsprachigen Raum passieren, damit Kirche vielleicht ein Stück aus dieser Krise herauskommt?
Marte: Also, entspannt euch, würde ich als erstes sagen. Ein bissl mehr Humor und Lockerheit wäre nötig. Ich glaube, das kann man von den Österreichern ein bisschen lernen. Es ist nicht alles so todernst.
Die strukturelle Seite ist sehr wichtig, die muss gut sein. Wir brauchen einfach eine gute Leitung im besten Sinne des Wortes, gute Leitung, gute Führung. Da geht es um Entscheidungskraft, die man hat, aber man darf nicht der Ökonomie das letzte Wort lassen. Wenn Soll und Haben regieren - und ich bin Ökonom von der Ausbildung her - dann wird es schwierig.
Wir müssen die Ideale des Evangeliums stark machen, und dann ordnen wir uns neu. Die Kirche hat sich immer neu geordnet. Kirche war 1950 anders und es war 1920 anders, es war im Jahr 1880 anders und Kirche wird in 50 Jahren wieder anders sein. Also, ein bisschen Kirchengeschichte hilft, dass man sich ein wenig entspannt.