DOMRADIO.DE: Friedrich Merz war in Angriffslaune. Wie haben Sie den Stil des Parteitags empfunden?
Dr. Andreas Püttmann (Politikwissenschaftler und Publizist): Nicht nur Friedrich Merz, auch andere traten als Modell "Röhrender Hirsch" auf. Positiv abgehoben hat sich NRWs Ministerpräsident Hendrik Wüst, der sich auch ausdrücklich zur Regierungszeit Merkel bekannte und einen etwas ruhigeren und sachlicheren Stil hatte, also nicht dieses polemische Haudrauf.
Die Angriffe Söders auf Hofreiters Frisur und von Merz auf Habecks Philosophiestudium und Autorenschaft von Kinderbüchern waren niveaulos plump. Es ist zwar legitim, dass eine Oppositionspartei sich auch durch Angriffe auf die Regierung profiliert und ihrer selbst vergewissert.
Ebenso legitim ist es im ersten Jahr nach einem Machtverlust, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Das ist vielfach zu unrecht angekreidet worden. Kleine Sottisen gegen Personen gegnerischer Parteien heben immer die Stimmung auf Parteitagen, die ja eine Art Großfamilientreffen im Bierzelt sind – und ein Schaulaufen, wer jetzt der Größte und Stärkste im eigenen Lager ist.
Aber man muss schon aufpassen, nicht in einen Kulturkampf abzugleiten. Das sich Abarbeiten am öffentlich-rechtlichen Rundfunk und am Gendern erschien unproportioniert gegenüber den großen politischen und ökonomischen Herausforderungen und wirkt irgendwie kleinlich.
Dass die Medien so etwas immer besonders hervorheben, weiß man doch vorher und kalkuliert es ein. Ich glaube, das lief etwas unglücklich.
DOMRADIO.DE: In der neuen Grundwertecharta taucht der Begriff "christlich" tatsächlich wieder auf. Überraschend für Sie?
Püttmann: Nein. Das ist ja wohl das Mindeste, dass er auftaucht, wenn man sich weiter so nennt. Und er wird auch in seinen wesentlichen Aspekten angesprochen.
Allerdings fällt auf, dass die Zentralbegriffe "christlich", "Gott", "Nächstenliebe", "Kirchen" im Vergleich zum Grundsatzprogramm von 2007 ausgedünnt worden sind und dass die Reihenfolge sich geändert hat: Während man 2007 mit der Verantwortung vor Gott und den Menschen begonnen hat und "ausgehend" davon die eigenen Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität vorstellte, wird die Verantwortung vor Gott jetzt später und nur in einem Relativsatz erwähnt und kommen die Grundwerte vor dem Menschenbild, was eigentlich nicht viel Sinn macht, weil das christliche Menschenbild die tiefer reichende Identität ist.
Drittens wird das Christliche durch das "Bürgerliche" ergänzt und damit auch relativiert, wobei man sagen muss, dass der Begriff "bürgerlich" als eigenständiges Adjektiv sogar häufiger vorkommt als "christlich", weil letzteres nur viermal als Attribut vor "Menschenbild" und einmal vor "sozial" fungiert.
Damit deutet sich doch ein gewisses eigenes Ungenügen am Christlichen an, und indem man es mit dem Bürgerlichen verkoppelt, entsteht inhaltlich eine Begriffsverschiebung mehr zur Eigenverantwortung hin. Da merkt man, dass Wirtschaftsliberale die Feder geführt haben, die nicht so gerne von Sozialstaat und von Solidarität reden, sondern mehr dem Individuum die Verantwortung zuweisen wollen.
Dies gehört zwar auch zum christlichen Menschenbild in Form der Subsidiarität, aber es kommt auf die richtige Gewichtung an. Ein Drittel der Delegierten hat die empfohlene Implantation des "B" neben dem "C" übrigens abgelehnt.
DOMRADIO.DE: Die Christdemokraten wollen sich mit den Attributen christlich, sozial, konservativ profilieren. Ist das denn ein Erfolgsrezept für die nächste Bundestagswahl 2025?
Püttmann: Immerhin hat Angela Merkel 2013 mit diesem Konzept noch 41 Prozent geholt. Die drei Strömungen sind liberal, sozial und konservativ. Und "christlich" ist gleichsam das Vorzeichen vor der Klammer. Das heißt, jede dieser drei Strömungen gewinnt in christlichem Licht noch einmal eine eigene Bedeutung.
Das Christlich-Liberale ist eben nicht das "anything goes" oder Marktradikale, das Konservative nicht das betont Nationale und das Soziale im christlichen Sinn unterscheidet man etwa gemäß der Haltungen: "Gerechtigkeit teilt, Liebe teilt zu".
Mit dieser Pluralität ist die CDU ja auch aus mehreren Weimarer Parteien hervorgegangen, also nicht nur aus dem Zentrum, sondern im kleineren Umfang auch aus den Rechts- und den Linksliberalen sowie den Konservativen. Aber das C war immer die Klammer. Und damit kann man bis heute erfolgreich sein. Das zeigen auch Umfragen zur Wertschätzung des Christlichen.
Personell wird die Partei im Moment allerdings vom Wirtschaftsflügel und vom Mittelstand dominiert und die Balance der Grundströmungen durch die reale CDU meines Erachtens nicht genug ausgestrahlt. Sie kann sich natürlich konservativer positionieren, aber auf über 30 Prozent kommt man damit schwieriger, und Merz wollte ja sogar 40 Prozent.
Meine Prognose ist, dass man mit Merz, Linnemann, Kretschmer, Spahn, Frei und Dobrindt in der medialen ersten Reihe die Merkel-Mitte nicht zurückholt.
DOMRADIO.DE: Ist die auf dem Parteitag beschlossene Frauenquote längst überfällig oder ein Hinterherlaufen des Zeitgeistes?
Püttmann: Vorab: Zeitgeist ist per se nichts Schlechtes. Einem Zeitgeist des 18. Jahrhunderts verdanken wir zum Beispiel die Menschenrechte.
Die Kritiker der Quote haben zwar ein starkes Argument: Wenn nur etwa ein Viertel der Mitglieder Frauen sind, wieso sollen es dann in Ämtern und Mandaten doppelt so viele sein? Beeinträchtigt das konkret nicht die gleichen Wahlchancen von Männern und Frauen? Und sollten nicht andere Kriterien eine Persönlichkeitswahl bestimmen als das Geschlecht?
Andererseits haben die bisherigen Anreize für Frauen, sich in der CDU zu engagieren, offenkundig nicht ausgereicht, um eine männlich dominierte Parteikultur für mehr Inspiration durch Frauen, die ich auch für dringend nötig halte, zu öffnen, so dass ich sagen würde, die Einführung einer Quote light – also in Stufen und befristet – ist ein guter Kompromiss, den ich als Quotenskeptiker auch mitgetragen hätte. Da hat sich Merz richtig positioniert.
Das Interview führte Tobias Fricke.