In Kolumbien gibt es vor dem am morgigen Mittwoch mit Spannung erwarteten Generalstreik erste Anzeichen einer Entspannung der politischen Lage. Kolumbiens konservativer Präsident Ivan Duque erklärte in einer TV-Ansprache am gestrigen Montag, er sei bereit zu direkten Gesprächen mit den Organisatoren des jüngsten Generalstreiks. Dies war eine der Kernforderungen der Initiatoren der Massenproteste.
Duque gesprächsbereit
Zugleich bat er das Streikkomitee, auf weitere Aktionen in dieser Woche zu verzichten. Zudem ging Duque auch auf die Forderung der Demonstranten ein, die nach einem Bombenanschlag mit 22 Toten auf Eis gelegten Friedensgespräche mit der marxistischen ELN-Guerilla wieder aufzunehmen. Wenn sich die ELN dem Frieden in Kolumbien verpflichtet fühle, müsse sie alle Geiseln freilassen und kriminelle Aktivitäten beenden. Alles andere führe zu weiterer Gewalt, sagte Duque.
Ebenfalls am 2. Dezember rief die katholische Kirche die ELN auf, drei in der Gewalt der Guerilla befindliche Geiseln freizulassen. Unterschrieben wurde der offene Brief von den Bischöfen der Diözesen Cali, Quibdo, Apartado und Istimina-Tado. Unterdessen sagte der kolumbianische Friedensaktivist und Partner des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat, Leyner Palacios, seine für Dezember geplante Deutschlandreise ab. Die zunehmende Gewalt in Kolumbien zwinge ihn dazu, begründete er die Entscheidung.
Verhandlungen im Generalstreik
Am 3. Dezember akzeptierten Sprecher des Streikkomitees ein ebenfalls am Dienstag geplantes Treffen mit dem Präsidenten, erklärten aber, an dem für Mittwoch angesetzten Generalstreik festhalten zu wollen. "Wir verhandeln inmitten der Demonstrationen und halten den Aufruf für die große Mobilisierung zum Streik am Mittwoch aufrecht", sagte Nelson Alarcon, Chef der Lehrer-Gewerkschaft Fecode, dem Sender Radio Blu. Jennifer Pedraza, eine der Repräsentantinnen der Studentenschaft an der Nationalen Universität, bekräftigte gegenüber der Tageszeitung "El Espectacdor" die Bereitschaft zum Dialog. "Aber wir werden nicht den Streik am 4. Dezember absagen. Im Gegenteil. Wir erweitern den Aufruf, auf die Straße zu gehen, um mit größerer Kraft die Forderungen des Streikkomitees zu verteidigen."
Unterdessen haben fast 600 Akademiker die Regierung Duque und die führenden politischen Kräfte des Landes zu einem konstruktiven Dialog aufgerufen. Nationale Regierung, Studierende und Zivilgesellschaft müssten zielführend zusammenarbeiten. In einem am Montag veröffentlichten offenen Brief, aus dem die Tageszeitung "El Tiempo" zitiert, fordern die Unterzeichner von allen Seiten Respekt vor den Menschenrechten, friedliche Proteste, die Bereitschaft, zu Vereinbarungen zu kommen, einen Dialog mit allen relevanten Akteuren führen zu wollen sowie konkrete Vorschläge kurzfristiger und mittelfristiger Art zu unterbreiten.
Es sei wichtig, den derzeitigen Weg zu korrigieren, heißt es in dem Schreiben weiter. Die Regierung müsse das Friedensabkommen mit der FARC achten, einen effektiven Schutz sozialer Aktivisten gewährleisten und Abkommen mit der Studentenschaft, der indigenen und afrokolumbianischen Bevölkerung respektieren.
Festhalten an Privilegien
Zuvor hatte bereits die katholische Kirche beide Seiten aufgefordert, ihre Positionen zu überdenken. "Ich sage an alle, die eine gute Dosis Demut gebrauchen könnten: Alle Welt ist ein bisschen hochmütig und der Hochmut ist kein guter Ratgeber", sagte der Vikar der Erzdiözese Bogota, Rafael Cotrino. Demut dagegen helfe, die Dinge richtig einzuordnen und daran zu denken, was als Land möglich sei.
Ziel müsse es sein, die tiefen Gräben der Ungleichheit in Kolumbien zu überwinden, sagte Cotrino: "Wir alle müssen von bestimmten Privilegien zurücktreten, wenn wir wollen, dass sich die sozialen Bedingungen für die Ärmsten der Armen verbessern. Aber das sehe ich nicht." Stattdessen habe er den Eindruck, dass viele die Privilegien behalten und unantastbar bleiben wollen. Deswegen werde es schwierig, eine Lösung zu finden. Notwendig sei aber eine "Vision für das Wohl des Landes".
Kolumbien wird seit einem Generalstreik am 21. November 2019 von Demonstrationen und Unruhen erschüttert. Die Proteste richten sich unter anderem gegen die Sozialpolitik, die schleppende Umsetzung des Friedensprozesses mit der ehemaligen Guerilla-Organisation FARC sowie den mangelnden Schutz von Menschenrechtlern und sozialen Aktivisten. Für die Versäumnisse machen die Demonstranten Präsident Duque verantwortlich.