Publizistin Beatrice von Weizsäcker interpretiert Seligpreisungen neu

"Ein Schnupperkurs hin zu Jesus"

Schon als Kind hat Beatrice von Weizsäcker nach Gerechtigkeit gedürstet. Als Juristin ist ihr diese Seligpreisung bis heute am nächsten. In ihrem neuen Buch liest sie die acht Sätze aus der Bergpredigt als Angebot Jesu an uns.

Autor/in:
Hilde Regeniter
Die Statuen von Jesus und den zwölf Aposteln in der "Domus Galilaeae" auf dem Berg der Seligpreisungen / © alefbet (shutterstock)
Die Statuen von Jesus und den zwölf Aposteln in der "Domus Galilaeae" auf dem Berg der Seligpreisungen / © alefbet ( (Link ist extern)shutterstock )

DOMRADIO.DE: Vor zwei Jahren haben Sie sich in einem Buch intensiv mit dem Vaterunser auseinandergesetzt. Jetzt widmen Sie sich einem anderen Teil der berühmten Bergpredigt – den Seligpreisungen nämlich. Warum berühren diese Sie auf besondere Weise? 

Beatrice von Weizsäcker (privat)
Beatrice von Weizsäcker / ( privat )

Beatrice von Weizsäcker (Autorin, Juristin, Publizistin): Sie berühren mich, weil sie mich ansprechen. Das war auch beim Vaterunser so. Es sind Worte Jesu, die nichts Abstraktes haben, sondern unmittelbar mit mir oder mit anderen, die sich angesprochen fühlen, zu tun haben. Es sind Worte, die mich hinterfragen und herausfordern, die mich verzweifeln oder glücklich werden lassen. Das ist wohl das, was mich immer an den Seligpreisungen berührt hat. 

DOMRADIO.DE: Jede einzelne der acht Seligpreisungen schildert, wer selig ist oder wird beziehungsweise, was selig macht. Aber was heißt denn überhaupt "selig"? 

Weizsäcker: Das ist schwer zu sagen. Es kommt vom indogermanischen Wort "salin", was so viel wie "Glück" und "Heil" bedeutet. Ob man etwas mit dem Begriff "Heil" anfangen kann, ist ohnehin die Frage. Auf jeden Fall finde ich, dass "selig" etwas anderes ist als "glücklich". 

Wenn ich zum Beispiel glücklich bin und dann irgendeine schreckliche Nachricht höre, ist es mit dem Glücklichsein vorbei. Das könnte beim Gefühl der Seligkeit zwar auch passieren; aber ich finde, dass Seligsein etwas Himmlisches hat. Es öffnet für mich die Verbindung zum Himmel, es bringt mich dem Himmel näher. Wir sagen schließlich auch "Ich habe einen Seelenfrieden" und nicht "Ich habe einen glücklichen Frieden".

DOMRADIO.DE: Stehen in den acht Seligpreisungen denn sozusagen die Bedingungen festgeschrieben, unter denen wir ebenfalls selig werden könnten?  

Beatrice von Weizsäcker

"Deshalb glaube ich nicht, dass die Seligsprechungen als Bedingungen gemeint sind."

Weizsäcker: Das ist die Crux der Seligpreisungen. Tatsächlich klingen sie zunächst nach "Wenn du das eine tust, dann bekommst du das andere". Im Gotteslob gibt es ein recht bekanntes Lied zu den Seligpreisungen, in dessen Text es zum Beispiel ausdrücklich heißt "Selig seid ihr, wenn ihr Wunden heilt" oder "Selig seid ihr, wenn ihr Schuld verzeiht". Das hätte zur Folge, dass ich eigentlich nie selig werden kann. Denn wer kann das schon alles erfüllen? 

Aber ich glaube nicht, dass Jesus so ist, ich glaube nicht, dass er Bedingungen stellt nach dem Motto "conditio sine qua non". Er war schließlich selbst Mensch, er kennt die Schwächen der Menschen, er kennt unsere Fehlbarkeit. Deshalb glaube ich nicht, dass die Seligsprechungen als Bedingungen gemeint sind. 

DOMRADIO.DE: Sie gehen die Seligpreisungen eine nach der anderen durch und tun sich unterschiedlich schwer damit. Welche der Seligpreisungen erschließt sich Ihnen denn ohne größere Probleme? 

Weizsäcker: Interessanterweise ist es "Selig, die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit; denn sie werden gesättigt werden". Ich hungere und dürste im Grunde den ganzen Tag nach Gerechtigkeit. Das war mir schon als Kind wichtig. Ungerechtigkeiten waren mir immer zuwider. 

Mich interessieren die Fragen nach Gerechtigkeit im Leben. Ich beobachte zum Beispiel genau, wie gerecht oder ungerecht die Menschen in politischen Debatten miteinander umgehen. All das liegt mir sehr am Herzen. Schließlich habe ich auch als Juristin viel mit dem Thema Gerechtigkeit zu tun. Deshalb hat sich mir diese Seligpreisung am schnellsten erschlossen.  

DOMRADIO:DE: Mit welcher der Seligpreisungen tun Sie sich dagegen schwer? 

Weizsäcker: Für mich vollkommen unerwartet war es "Selig, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen". Das klingt erst einmal schön und wird viel zitiert, auf Todesanzeigen zum Beispiel oder auch als Wunsch. Aber wenn wir uns das genauer anschauen: Wer ist denn schon immer rein im Herzen? Also ich nicht! Vielleicht lässt sich das von Kindern sagen, die noch nicht wissen, was Schuld ist, die das nicht reflektieren. 

Dann heißt es weiter "Sie werden Gott schauen". Und ich frage mich, wie das überhaupt gehen soll. Schließlich ist in der Bibel mehrfach die Rede davon, dass wir Gott gar nicht schauen, ihn nicht sehen können, weil er viel zu groß ist. Was also soll das heißen? 

Und drittens ist die Aussage in die Zukunft gerichtet: "Sie werden Gott schauen". Also wenn ich das, was ich eigentlich gar nicht erfüllen kann, schließlich doch erfülle, werde ich irgendwann einmal Gott schauen. Aber ich will Gott doch jetzt haben. Ich will und brauche ihn jetzt als Hilfe und als jemand, zu dem ich beten kann, jetzt und nicht in irgendeiner Zukunft. Das alles hat mich selbst überrascht beim Nachdenken darüber, dass ich diese Seligpreisung eigentlich als die schwerste empfinde.

Beatrice von Weizsäcker

"Früher habe ich eigentlich nie mit Jesus gesprochen."

DOMRADIO.DE: In Ihre Überlegungen flechten Sie immer wieder auch Dialoge mit Jesus ein, was das Buch sehr persönlich macht. Sind das Gespräche, die Sie tatsächlich mit Jesus geführt haben? Oder sind es doch eher fiktionale, ausgedachte Gespräche, die Sie gerne führen würden? 

Weizsäcker: Wer weiß das schon? Früher habe ich eigentlich nie mit Jesus gesprochen. Das hat sich geändert, als mein Bruder in Berlin ermordet wurde. Wir waren natürlich alle vollkommen erschüttert und sprachlos und sind es immer noch. Damals habe ich ein Kreuz auf Instagram gepostet und dazu nur geschrieben "Gib auf meinen Bruder acht". Das war das erste Mal, dass ich mich direkt an Jesus gewandt habe. Ich habe das erst einmal vergessen und erst viel später ist mir aufgefallen, dass ich da tatsächlich Jesus direkt angesprochen hatte. 

Das war vielleicht die Initialzündung. Daraufhin habe ich mir überlegt, mir in allen Kapiteln Situationen vorzustellen, in denen ich mich mit Jesus unterhalte. Wir waren zusammen in den Bergen, wir waren in einem Wirtshaus, wir waren im Konzertsaal und er war bei mir zu Hause. Und das Komische war, dass ich wirklich das Gefühl hatte, dass er da war. Natürlich habe ich die Dialoge geschrieben, sie mit meinen Fingern getippt. Aber ich hatte das Gefühl, dass ich eigentlich nur etwas ausführe, was jemand anderes mir sozusagen in die Finger gezaubert hat. 

Ich hatte wirklich den Eindruck, dass er hier war und mir über die Schulter geschaut hat. Wir haben auch über Chat GPT gesprochen, über ganz verschiedene Sachen. Also kann ich nur sagen: Wer weiß das schon? 

DOMRADIO.DE: "(Link ist extern)Meine Seligpreisungen" haben Sie das Buch genannt. Einerseits natürlich, weil Sie die Seligpreisungen sehr detailreich und sehr konkret interpretieren. Andererseits formulieren Sie auch eigene Seligpreisungen. Was hat es damit auf sich? 

Weizsäcker: Als ich meine eigenen Seligpreisungen geschrieben habe, habe ich gar nicht an mich gedacht, sondern an andere Menschen, also an Freundinnen und Freunde, an Familienmitglieder, die bei mir sind und mir zuhören. 

Es geht bei den Seligpreisungen ja auch um Trost und Trauern, da heißt es ja "Selig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden". Da habe ich an Freunde gedacht, die in meiner tiefen Trauer da waren und mich getröstet haben. Das hat sich sozusagen übertragen, dass diese Freunde für mich selig sind, dass sie selige Menschen sind. Seligmenschen, die mich umgeben, die mir helfen, die mir Mut zusprechen. Sie sind selige Menschen, die sich für Gerechtigkeit in der Kirche einsetzen und eben nicht austreten, sondern drinnen bleiben. So hat sich das beim Schreiben transformiert, so sind meine Seligpreisungen für andere entstanden. 

DOMRADIO.DE: Sie sagen, dass Jesus seine Seligpreisungen wie einen Schnupperkurs anbietet. Wie meinen Sie das? 

Beatrice von Weizsäcker

"Wir sind es wirklich! Wir sind Gottes Kinder - gleich und frei. Alle Menschen."

Weizsäcker: Wir könnten die acht Seligpreisungen vergleichen mit Fächern, die man in der Schule oder an der Uni hat. Und jetzt könnte man meinen, dass man alle Fächer belegen muss, um weiterzukommen. Aber so, glaube ich, ist es eben nicht. Sondern es ist eher wie ein Schnupperkurs: Man schaut einmal nach der Sanftmut und dann wieder nach der Barmherzigkeit. Man muss nicht alles belegen und man wird auch nicht geprüft. 

Jesus ist niemand, der uns prüft und es geht auch nicht um Leistung. Es ist eher ein Angebot, Jesus näher zu kommen über die Seligpreisungen, welche immer einen gerade anspricht, ob es um den Frieden, die Trauer oder um die Gerechtigkeit geht. Deswegen fiel mir das Wort Schnupperkurs ein, in dem Sinne, dass man da mal eben hineinschaut und sieht, was wird. 

DOMRADIO.DE: Was ist für Sie die Essenz Ihrer Beschäftigung mit den Seligpreisungen? Was möchten Sie gerne an andere weitergeben? 

Weizsäcker: Gegen Ende meiner Beschäftigung mit den Seligpreisungen ist mir ein Satz eingefallen, der für mich so ein etwas wie die Quintessenz ist. Dieser Satz lautet "Selig, die wir Gottes Kinder heißen, denn wir sind es - gleich und frei". Bei Matthäus heißt es ja "Selig die Friedfertigen, denn sie werden Kinder Gottes genannt werden". Und bei der Beschäftigung mit den Seligpreisungen und beim Schreiben des Buches habe ich verstanden: "Wir sind es wirklich! Wir sind Gottes Kinder - gleich und frei. Alle Menschen." Das ist für mich die Quintessenz. Und dann bin ich auch noch selig, weil ich glaube, dass Jesus hält, was er verspricht in seinen Seligpreisungen. 

Das Interview führte Hilde Regeniter.

Quelle:
DR

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